Die Kunst, geniale Gedanken zu haben

Der Mensch ist von Natur aus zu kreativem Handeln fähig und nutzt dieses eigentlich ganz selbstverständlich – meist spontan, unbewusst und ohne dabei auch nur irgendeine Kreativitätstechnik zu benutzen. Doch wenn wir auf Knopfdruck kreativ sein sollen, verlässt uns unsere Kreativität regelmäßig. Warum ist das so? Warum gelingt vielen von uns kein willentlicher und gezielter Zugang zu unser Kreativität? Antworten darauf liefert Wolfgang Traub.

Der Mensch ist von Natur aus zu kreativem Denken und Handeln fähig und nutzt seine Kreativität ganz selbstverständlich – oft spontan und meist ohne sich dessen auch nur bewusst zu sein. Schauen Sie einfach nur Kindern beim Spielen zu. Wir sind kreativ und merken es ganz einfach nicht. Wo ist dann das Problem, wenn wir um gute Ideen und kreative Lösungen ringen?

Das Problem ist der bewusste, willentliche und gezielte Zugang zur Kreativität. Ein Zugang, der uns offen steht, wann auch immer wir ihn brauchen.

Da fliegen uns Ideen oft förmlich zu, wenn wir sie gar nicht gebrauchen können oder wollen. Wenn wir dann aber Haare raufend nach einer neuen, kreativen Lösung suchen, dann stehen uns häufig unerwartete Hindernisse im Weg.

Warum ist das so?

Ein kluges Sprichwort lautet: Not macht erfinderisch. Es besagt nichts anderes, als dass wir in Notfällen einen freieren Zugang zu unserer Kreativität haben. In Notfällen – warum dann nicht im Alltag? Sind in uns „Kreativitäts-Blocker“ am Werk?

Robin, ein englischer Bekannter aus meiner Londoner Zeit, war in jungen Jahren ein begeisterter Abenteurer. So wurde er einmal, irgendwo in der afrikanischen Steppe, nachts in seinem Nylon-Minizelt von einem Rudel Löwen geweckt – das Feuer, das die Löwen abschrecken sollte, war ausgegangen. Unter diesen Bedingungen konnte ihn nur eine wirklich kreative Idee retten, und die Idee ließ auch nicht auf sich warten: Er zündete kurzerhand das leicht entflammbare Zelt über seinem Kopf an. Die Tiere ergriffen die Flucht und er konnte sich auf einen Baum retten.

Ein sehr kreative Lösung, da besteht kein Zweifel.

Muss man wirklich erst in Not geraten, um kreativ zu sein?
Was hindert uns denn daran, von unserer Kreativität jederzeit Gebrauch zu machen? Es gibt genau vier Hindernisse, die wir überwinden müssen:

  1. die Trägheit unserer Gewohnheiten,
  2. die Ungeduld und die Erwartung, die perfekte Idee umgehend geliefert zu bekommen,
  3. die Angst, als Träumer oder Spinner angesehen zu werden, wenn wir den Boden der Rationalität verlassen, und
  4. der Perfektionismus, der uns hemmt, uns auf die irrationale Bühne der Kreativität zu wagen.

Die Trägheit der Gewohnheiten ist ein inneres Hindernis und leider tief in uns verwurzelt. Dabei sind Gewohnheiten überhaupt nichts Schlechtes – im Gegenteil, sie sind sehr hilfreich. Wir könnten unseren Alltag sicher nicht bewältigen, ohne ihn zu strukturieren, sich wiederholende Abläufe zu optimieren und daraus Gewohnheiten zu gestalten. Wir müssen schon genug organisieren, da spricht wirklich nichts dagegen, eine gelungene Organisationsstruktur zu übernehmen und zur Gewohnheit werden zu lassen. Das ist wie ein Autopilot, der uns durch die Routinen des Alltags führt.

Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie müssten jeden Morgen beim Aufwachen alles von A bis Z neu organisieren, vom Anziehen bis zum Zähneputzen! Kein schöner Gedanke!

Dafür nehmen wir auch mal in Kauf, dass wir im Urlaub pünktlich zu den gewohnten Nachrichten im Hotelzimmer sein müssen oder überhaupt außerstande sind, an einem anderen als unserem gewohnten Platz zu essen, fernzusehen oder effizient zu arbeiten.

Allerdings birgt dieser „Autopilot“ auch Gefahren in sich, wie Ihnen sicher jener Zeitgenosse bestätigen kann, der vor Jahren sein Auto fröhlich in einen Fluss lenkte, weil sein Navi nicht zwischen Brücke und Fähre unterscheiden konnte.

Achtsam sollte man bitteschön bleiben!

Gewohnheiten sind liebe Freunde, aber sie dürfen nicht mit Regeln verwechselt werden. Sie müssen uns zu Diensten und zu Nutzen sein – und nicht über uns bestimmen. Gewohnheiten dürfen uns leiten, aber nicht zu festen Grenzen werden.

Routine und Gewohnheiten in unserem Handeln erleichtern den Alltag, Denkgewohnheiten dagegen – bei aller Bequemlichkeit, die sie bieten – sind schlicht und einfach gefährlich.

Diesem Problem begegnet man in der Wirtschaft auf Schritt und Tritt. Bekannte Beispiele sind die klassischen Katalog-Versandhäuser oder die Musikindustrie, die jeweils große Schwierigkeiten haben, sich dem Internet-Zeitalter anzupassen. Sie haben an ihren Gewohnheiten festgehalten und die rasante Entwicklung des Internet verschlafen. Und das betrifft nicht nur diese beiden Branchen – wenn Sie einmal den Begriff Entwicklung verschlafen in eine Suchmaschine eingeben, dann werden Sie kaum eine Branche finden, in der nicht dieser Vorwurf laut wird.

Was hat das mit Kreativität zu tun? Wie eingangs schon festgestellt: Wenn ein System funktioniert, sich bewährt und zuverlässig ist, dann können Sie getrost auf jegliche Kreativität verzichten. Erst wenn Veränderungen anstehen, ist es Zeit für kreative Neuerungen – und genau da begegnen wir oft beträchtlicher Trägheit. Eine einmal als wertvoll erkannte Gewohnheit geben wir nicht so schnell auf (warum auch?) und stellen sie schon gewohnheitsgemäß nicht oder nur sehr ungern infrage. Es ist das Wesen einer Gewohnheit, sich nicht verändern zu wollen. Und so sträuben wir uns gegen jede Neuerung, bis es fünf vor zwölf ist – oder gar zu spät – und suchen die Schuld lieber bei den anderen.

Die Ungeduld ist das zweite Hindernis auf dem Weg zur Kreativität. Selbstverständlich gibt es viele spontane Ideen, aber die entscheidende, zündende Idee, die Sie ganz dringend suchen, gehört (fast) nie dazu. Warum das so ist, sehen wir weiter unten, wenn wir uns mit dem Ablauf eines kreativen Prozesses befassen.
Eine kreative Lösung kommt nicht von allein – wir müssen etwas dafür tun. Kreativität ist eine Dienstleistung unseres Gehirns, aber in diesem Fall sind wir nicht nur Kunde, sondern auch Betreiber dieser Dienstleistungszentrale.

Wenn die Ideen dann kommen, könnte sich das dritte Hindernis in unseren Weg stellen: die Angst, uns zu blamieren. Wir wollen ja nicht zum Spinner oder Träumer abgestempelt werden, da trauen wir uns und unserer Idee lieber mal nicht über den Weg. Die anderen haben diese Idee ja auch nicht, wollen wir uns damit wirklich zum Fenster heraushängen? Man möchte eben nichts Dummes sagen. Nicht im privaten Kreis, noch weniger in der Öffentlichkeit und schon gar nicht im beruflichen Umfeld.

Aber so kommen wir nie weiter! Mut zur Innovation – das wird doch immer gerne gefordert, warum sind wir nicht konsequent und ein bisschen mutiger?

Mit der Überwindung des mystisch geprägten Mittelalters, im Zeitalter der Aufklärung, wurde der Verstand, die Ratio, als einzige Grundlage eines richtigen Denkens verstanden. Das widerspricht der Kreativität zwar nicht, aber viele sich selbst als Rationalisten verstehende Menschen misstrauen der Kreativität schon deshalb, weil sie nicht auf Logik beruht. Sie fürchten das Irrationale in der Kreativität und erwarten stets rational durchdachte Konzepte anstatt unausgereifter Ideen.
Aber genau das liefert die Kreativität nicht. Sie liefert keine fertigen Ergebnisse, sondern das Rohmaterial: Gedanken, Ideen und Eingebungen, die anschließend rational bewertet und auf ihre Machbarkeit hin geprüft werden können.
Sind wir erst einmal in Not geraten, dann wird nicht lange diskutiert, dann ist jede Idee willkommen. Ohne Not dagegen igeln wir uns in unserer Bequemlichkeit ein, geben immer wieder freiwillig einer geistigen Trägheit nach und behalten unsere Ideen lieber für uns.
Eine Verschwendung! Hier liegen große Potenziale brach und wir lehnen uns zurück und warten auf bessere Zeiten …

Und zuletzt sind wir alle mehr oder weniger anfällig für einen Perfektionismus, der uns hemmt, uns auf die irrationale Bühne der Kreativität zu wagen. Schließlich steht die Kreativität im Ruf oder eher Verruf gesteigerter Emotionalität. Ein tagträumerischer kreativer Prozess verbraucht ja Zeit, in der nichts produziert wird und keine Unmengen Papier mit Notizen gefüllt werden. Da bleibt dann nichts vorzuweisen. Kann das noch Arbeit sein, oder ist das nichts als Faulheit? Da arbeitet man doch lieber weiter wie bisher, aber arbeitet, ganz egal, ob es Sinn macht oder nicht.
Die meisten Menschen haben, ohne es zu wollen, die Kreativität in vielen Bereichen ausgegrenzt und obendrein noch viel Eifer (und sicher auch unbewusste Kreativität) darauf verschwendet, diese Grenzen zu sichern. Grenzen, die wir ziehen, um uns das Leben zu erleichtern, werden still und heimlich zu Grenzen, die uns einschränken.
Man sagt, dass wenn Sie ein Huhn in einen Kreidekreis stellen, es diesen nicht verlassen kann oder will. Ich habe das nicht ausprobiert, aber ich will es mal glauben. Schön blöd, dieses Huhn, da sind wir uns doch einig?
Leider sind wir genauso anfällig für eingebildete Grenzen wie unsere gefiederten Freunde.
Ob Hühner nun tatsächlich so einfältig sind oder nicht, wie gesagt, ich weiß es nicht – wir als Menschen sind es leider schon. Schlimmer noch: Wir ziehen diese Kreidekreise selbst!
Jetzt, in diesem Moment, während Sie sich mit der Kreativität befassen, ist der Augenblick gekommen, diese Grenzen zu überschreiten. Die Zeit ist gekommen, ein eigenes, aber wenig genutztes Territorium zu betreten und die Trägheit unserer Gewohnheiten, unsere Ungeduld wie auch unsere Ängste und einen übersteigerten Perfektionismus über Bord zu werfen.
Nehmen Sie einfach in Besitz, was ohnedem Ihnen gehört!

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