Denken Sis schon quer?

Die einen gehen mit Scheuklappen Pflichtbewusst geradeaus, immer die Einbahnstraße entlang. Andere schauen links und rechts, biegen ab, gehen einen Umweg und kommen auch ans Ziel – ein anderes, oft sogar ein besseres. Schon Konfuzius wusste: Wenn du es eilig hast mache einen Umweg. Doch Querdenken, anders Denken ist gar nicht so einfach. Denn seit unser jüngsten Kindheit haben sich viele geflissentlich darum bemüht uns das auszutreiben.

Es war einmal ein König. Der schickte seinen Feldherrn mit Soldaten los und befahl ihnen folgendes: „Geht und vernichtet meine Feinde!“ So zog der Feldherr mit den Soldaten davon. Es vergingen viele Monate und keine Nachricht drang zum König. Da schickte er endlich einen Boten hinterher. Der sollte erkunden, was geschehen war. Als der Bote das feindliche Gebiet erreicht hatte, traf er auf ein Lager, aus dem schon von weitem das fröhliche Treiben eines Festes zu hören war. Gemeinsam an einem Tisch fand er dort den Feldherrn und seine Soldaten zusammen mit den Feinden des Königs.

Der Bote ging zum Feldherrn seines Königs und stellte ihn zur Rede: „Was soll das? Du hast deinen Befehl nicht ausgeführt! Du solltest die Feinde vernichten. Stattdessen sitzt ihr zusammen und feiert.“

Da sagte der Feldherr zum Boten: „Ich habe den Befehl des Königs sehr wohl ausgeführt. Ich habe die Feinde vernichtet, ich habe sie zu Freunden gemacht!“

Diese Geschichte zeigt im Grunde in kurzer und präziser Form, was einen Querdenker ausmacht. Er verlässt gewohnte Denkmuster und Strukturen und durchdenkt scheinbar unmögliche Alternativen oder anders, er betrachtet im wahrsten Sinne des Wortes – kritisch. So auch der Feldherr unserer Geschichte, er durchbrach das gewohnte Denkmuster: gegen einen Feind muss man kämpfen um ihn zu besiegen. Was heute vergleichbar wäre mit:  der Wettbewerber muss vom Markt verdängt und die Konkurrenz ausgebotet werden

Querdenker – was sind das für Menschen?

Nun, er vereint viele verschiedene Gaben, Fähigkeiten und Charakteristiken und es würde eine endlos lange Liste ergeben,  sonst wäre er auch kein Querdenker.  Er hat im gleichen Maße wie er Realist ist auch Fantasie. Das eine nicht weniger oder mehr, es ist ausgeglichen, denn ist das Verhältnis nicht ausgeglichen wird es schwer. Hat er zu viel Fantasie, ist er ein Träumer oder andersherum, ist er zu sehr Realist, eben kein Querdenker mehr. Die genaue Waage ist wichtig. Außerdem ist er ein scharfsinniger Beobachter und ein sehr genauer Zuhörer, ihm entgeht nur selten etwas.  Die Fähigkeit der Kommunikation ist selbstredend, denn ohne sie könnte der Querdenker seine Gedanken nicht ausdrücken.
Kurzum, er ist ein grandioser Spieler, einer, der mit Gedanken und Worten solange spielt, bis sie einen Sinn ergeben. Ähnlich wie Schachspieler oder Schauspieler. Wer bei diesem Vergleich jetzt schon sagt: „Habe ich gewusst, nichts Gescheites“,  hat die erste Hürde des Querdenkens schon nicht geschafft.  Wer sich darauf einlassen will, dem sollen die  Beispiele der beiden Spieler weiterhelfen.

Der Schachspieler

Ein Schachspieler hat die besonderen Gaben der Weitsicht, des Vorausdenkens und die Freude am systematischen Irrtum. Der Spieler betrachtet sich die Brettsituation und überlegt welche möglichen Züge sein Mitspieler ziehen kann: Wenn sein Gegner die Dame nach F5 zieht, mit welchem Zug muss er dann antworten und wie wird dann wiederum sein Gegner darauf reagieren. Oder was wäre wenn er die Dame gar nicht zieht und stattdessen den Läufer auf D8 platziert. So geht er Schritt für Schritt alle Möglichkeiten durch. Das kann Zeit in Anspruch nehmen, aber nicht deshalb, weil der Spieler sich unsicher ist, welche Optionen sein Gegner wählen wird, sondern weil er alle möglichen Optionen Schritt für Schritt durchspielt.  Erst wenn er alle Schritte im Geiste durchdacht hat, wählt er seinen Zug, von dem er denkt, dass es der günstigste ist. Nun ist der Gegner kein Trottel, sondern tut es ihm gleich und somit sind die Schachspieler wahre Meister des Querdenkens.

Der Schauspieler

Auch die Fähigkeiten eines guten Schauspielers sind gefragt. Wenn ein Schauspieler ein Angebot bekommt, dann liest er zunächst das Drehbuch, also die Story. In einem solchen Drehbuch sind nicht nur die Texte und die Verhaltens- und Spielanweisungen des einen Schauspielers vermerkt, sondern auch die der anderen Mitspieler.  Dieser Tatsache bedient sich der Querdenker, denn er liest eine Situation wie ein Drehbuch. Er beherrscht auch die Kunst, sich in die anderen Protagonisten hineinzuversetzen und spielt deren Part selbst durch.

Die Kunst des Perspektivenwechsels erweitert die Anzahl der Möglichkeiten, was eine Bereicherung darstellt. So bedient sich der Querdenker eines Tricks und spielt das „Interview“. Ein besonders beliebtes Stück. Das Stück ist ein Einakter und ziemlich leicht umzusetzen. Die Besetzung: Ein Interviewer und der Querdenker, gespielt in einer Doppelrolle vom Querdenker selbst. Der Interviewer ist natürlich neugierig und sensationslüstern und wartet darauf, dass der Interviewpartner (der Querdenker) einen Fehler macht und sich selbst entlarvt.

Der Querdenker wiederum antwortet auch auf die kritischsten Fragen überlegt und konzentriert. Und dann passiert es doch! Er bemerkt einen Fehler in seinem Gedankengang und der widerwärtige Interviewer hat gewonnen. Aber wie im richtigen Leben (Filmleben) klappt die erste Szene nicht immer gleich – Klappe, 2. Versuch!

Der Querdenker ist also ein Mensch, der eigensinnig und schräg denkt und hebt sich damit von den Menschen ab, die in gewohnten Bahnen (vielleicht Bequemlichkeit?) denken. Was nun falsch oder richtig ist, bleibt im Sinne des Betrachters oder was die eigene Erfahrung gelehrt hat. Eines jedoch kennt der Querdenker nicht, den Begriff „alternativlos“, welcher zu recht auch zum Unwort des Jahres 2010 gewählt wurde, denn alternativlos zu sein, heißt Unfähigkeit zum Querdenken zu sein.

Die Suche in einem Synonymlexikon nach einem anderen Wort für „alternativlos“, endet ergebnislos, es gibt keinen anderen Begriff dafür. Ganz anders bei dem Wort „Alternative“. Hier finden sich Worte und Begriffe wie Möglichkeit, Option, Gelegenheit, Chance, Variante.  Ein Begriff ist dabei besonders interessant „ andere Wahlmöglichkeiten“ und genau das untersucht ein Querdenker.

Die Gefahren des Querdenkens

Natürlich muss auch in Erwägung gezogen werden, dass Querdenker gerne in Verruf kommen und sich so manchen Vorwürfen auszusetzen haben. Nicht selten muss er hören, dass er weltfremd oder ein Träumer sei und im schlimmsten Fall (wenn auch unter vorgehaltener Hand) als Spinner abgetan wird.

Menschen mit einer neuen Idee gelten so lange als Spinner,
bis sich die Sache durchgesetzt hat.
(Mark Twain)


So muss sich jeder fragen,  inwieweit er in der Komfortzone des Schulterklopfens bleiben möchte oder wagt sich in die Zone der Auseinandersetzung zu begeben. Oder anders ausgedrückt, sollen die immer gleichen Gedankenmuster weiterhin im Kollektiv gehegt und gepflegt werden, um sich dann an den Nuancen zu erfreuen, die dann als Durchbruch oder Sieg gefeiert werden. Da gebe es noch eine zweite Variante:  Mut aufbringen und andere Möglichkeiten zu durchdenken, nämlich die, die keiner auf dem Plan hat und scheinbar nicht durchführbar sind – aber woher wissen wir das?

Die Chaosstruktur

Ist Querdenken mit einer Struktur bzw. einer geordneten Strategie überhaupt möglich? Es kommt auf die Struktur/Strategie an. Es gibt Methoden, die keinen Freiraum für „Undenkbares“ lassen und somit aus einem eigentlich gewollten Selbstdenken ein fremdbestimmtes Denken hervorrufen. Die Fremdbestimmung entsteht in solch einem Fall durch zu viel Regelwerk und zu wenig individueller Gestaltungsmöglichkeit innerhalb der vorgegebenen Struktur.
Deshalb muss eine Struktur/Strategie einen größtmöglichen Gestaltungs- und Handlungsfreiraum bieten. Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist aber im Grunde das Geheimnis des Erfolgs.

Natürlich ist eine Struktur/Strategie, die alles bis ins kleinste Detail vorgibt bequemer und es ist nur allzu menschlich, sich den bequemeren Möglichkeiten zuzuwenden. So muss die ideale Struktur/Strategie eben beides in angemessener Form bieten können. Vor vielen Jahren hat ein Modell die Welt erobert – Mindmap. Bevor dieses Modell bekannt war, wurden Gedanken und Ideen meist auf endlos langen Listen erstellt. Übersicht – Fehlanzeige!
Mindmap hatte eine Struktur/Strategie bereitgestellt, mit der es möglich ist, zum einen seine Gedanken völlig losgelöst von einer Ordnung festzuhalten und sie dennoch anschließend in einer Struktur wiederzufinden.

Kritische Betrachtung – die Alternative zum Querdenken

Zusammengefasst ist der Querdenker besser ist als sein umgangssprachlicher Ruf.
Ein Querdenker nämlich, der die vorgegebenen Denkmuster und Strukturen verlässt, den Mut hat auch scheinbar Nichtmögliches und Unmögliches in Betracht zu ziehen und alles vor einem endgültigen Urteil durchdenkt und durchspielt, der bei aller Denkfreiheit sich dennoch einer selbst gewählten Struktur bedient, übt im Grunde eine philosophische

Disziplin aus – nämlich die Kritik!

Ähnlich wie es dem Begriff Querdenker ergeht, ist es mit dem Wort „Kritik“. Meist wird Kritik verstanden als Aufzeigen eines Fehlers oder Missstandes verbunden mit der Aufforderung die abzustellen bzw. zum Guten hin zu verändern.
Doch ist mit Kritik im Ursprünglichen etwas ganz anderes gemeint, nämlich die Kunst der Beurteilung, des Betrachtens, der Hinterfragung und des Auseinanderhaltens von Fakten in Bezug auf einen Sachverhalt, eine Situation und/oder Person.

Ein wesentliches Merkmal einer kritischen Betrachtung ist die Sorgfalt, sich auf Fragen konzentriert. Wieder ein Unterschied zum Üblichen, denn allzu häufig werden viel zu schnell Antworten gegeben, teils sogar auf Fragen, die so nie gestellt wurden. Der Drang immer sofort mit einer Antwort parat zu sein, gehört nicht zu den Tugenden des Querdenkers (Kritikers), dass überlässt er anderen. Nein, er stattet seine Struktur/Strategie zu allererst mit Fragen aus und je ungewöhnlicher sie sind, desto größer sind die Chancen für eine gute Lösung, davon ist der Querdenker überzeugt.

Die Fragen dürfen  sich sogar unerhört und verrückt anhören, nur präzise müssen sie sein, darauf legt der Querdenker wert. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie der Querdenker agiert. In einer Talkshow diskutierten Politiker verschiedenster Parteien darüber, warum der Verteidigungsminister Herr zu Guttenberg eine so plötzliche Entscheidung getroffen habe.

Es wurde hin und her diskutiert und es fanden sich so manche Argumente. Das beeindruckt einen kritischen Denker nicht, er lässt sich nicht von einer scheinbaren Souveränität blenden. Vielmehr stellt er sich z. B. die Frage: Wenn Herr zu Guttenberg die Entscheidung auf später verlegt hätte, würden dann die gleichen Personen darüber diskutieren, warum er keine Entscheidungen trifft?  Eine Frage, die alles auf den Kopf stellt, vor allem die Kontra-Argumente der o.g. Diskussion.

Die Kunst des Fragens

Frag nicht so dumm, lass doch mal das ewige Fragen, du fragst mir noch ein Loch in den Bauch. Schon früh in der Kindheit wird das Fragen lernen oft unterbunden und das geht fließend über in die Anforderung nach Antworten. Ein Schüler bekommt für eine richtige Antwort eine gute Note. Das Fragen hingegen wird nicht benotet und im ungünstigen Fall sogar zum Nachteil des Schülers ausgelegt.

Das wird kultiviert, sodass auch später im Berufsleben die Frager meist als lästig gelten. Kunden, die zu viele Fragen stellen sind nervig, so werden sie gerne mal in lange Telefonschleifen verbannt. Von Mitarbeitern werden sowieso nur Antworten erwartet. Das hat Folgen, denn ist die Frage nicht sorgfältig formuliert, kann es auch nicht mit der richtigen Antwort klappen.

Der Kopf ist rund, damit man beim Denken die Richtung wechseln kann

Um ein anerkannter und geachteter kritischer Denker – kurz; Querdenker genannt – zu werden, bedarf es einer gewissen Übung. Wie in jedem Fach ist es zunächst wichtig das Fundament, die Basis, das kleine 1×1 oder eine Grundlage zu erlernen. Natürlich wird weder ernsthaft noch verbissen gelernt, sondern spielerisch, eben ganz in Querdenkertradition. 

Die 1. Lektion: Fragen stellen zu lernen oder alles auf den Kopf zu stellen. 

Bei den ersten Übungen sollte muss nicht gleich mit welttragenden Fragen oder philosophischen Diskursen eingestiegen werden. Nein, die Übung mit Humor und Spaß zu beginnen ist der richtige Einstieg und dazu sind ganz banale oder auch absurde Alltagsfragen bestens geeignet, wie z. B.,

  1. Warum steht auf Sauerrahm-Bechern ein Verfallsdatum?

  2. Wie würden Stühle aussehen, wenn wir die Kniescheiben hinten hätten?

  3. Warum besteht Zitronenlimonade größtenteils aus künstlichen Zutaten, während im Geschirrspülmittel richtiger Zitronensaft drin ist?

  4. Auf den meisten Verbrauchsgütern steht “Hier öffnen”. Was schreibt das Protokoll vor, wenn dort stehen würde:  “Woanders öffnen?“

  5. Wenn die Blackbox in einem Flugzeug unzerstörbar ist, warum ist nicht das ganze Flugzeug aus diesem Material?

  6. Wird Recyclingpapier auch aus  recyceltem Toilettenpapier recycelt?

 

Die 2. Lektion: Beobachten, hinhören, neugierig sein und wundern

Sind die Fragen gestellt heißt es Augen und Ohren auf.  Das ist eine wichtige Übung, denn unser Gehirn hat die Eigenschaft (antrainiert) von dem, was um uns herum geschieht, gar nichts an uns heranzulassen. Man sieht zwar, aber man schaut nicht hin, man hört zwar, aber man hört nicht zu, man bemerkt zwar etwas, aber man denkt sich nichts dabei.  Der Querdenker beschränkt sich nicht aufs denken, er beobachtet, sieht hin, hört zu und lässt zu.

Die 3.  Lektion: Fragen stellen

Auch wenn Fragen (z. B. die o.g. Übungsfragen) noch so absurd, überflüssig, ausweglos oder gar lustig erscheinen,  alle Antworten und Gedanken, die einem einfallen und auffallen notieren.

Zum Beispiel zur Frage nach dem Verfallsdatum beim Sauerrahm:  Zur Reifeinformation; je näher das Verfallsdatum, desto reifer der Rahm

Die 4. Lektion: Die Struktur

Ob nun mit Mindmap, Post-it, auf DIN-A3 Plakat gemalt oder im Notizbuch, Tagebuch oder mit Luhmans Zettelkasten, richtig ist, was den Anwender weiterbringt und mit was er sich wohlfühlt. Entscheidend ist nur eins, dass der Anwender, also der Querdenker, sich in seiner Arbeit entwickeln kann.

Die 5. Lektion: Filtern, Überprüfen, Untermauern oder Eliminieren.

Auch das macht einen Querdenker aus, die Kunst des Eliminierens, also etwas für falsch anzuerkennen, wenn es so ist. Von allen Ansätzen ist das was übrig bleibt die Lösung. Der Weg zu einem konstruktiven und innovativen Querdenker ist also relativ einfach, meist fehlt nur der Mut. Hier hilft vielleicht ein Zitat eines Meisters im Querdenken:


Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.
(Mahatma Gandhi
)

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