Bürokratie aushalten

Viele Unternehmen empfinden ihre eigene Strukturen als „viel zu bürokratisch“. Die Vorgänge, die in diesen Strukturen laufen, finden aber natürlich trotzdem statt, egal was davon gehalten wird. Das liegt vor allem daran, dass bürokratische Systeme, wie beispielsweise die Verwaltung der Finanzen eines Staates oder eines (größeren) Unternehmens, auf Selbstverständlichkeiten aufbauen, die notwendigerweise individuelle Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen – Verwaltung wäre anders gar nicht möglich.

Bürokratien beschränken Menschen auf Personen

Personen sind keine Menschen, sondern in ihrer Komplexität deutlich reduzierte, formale Erwartungsstrukturen. Im Gegensatz zu Menschen finden Personen in Formblättern, Tabellenkalkulation und Prozessschritten bis hinab zur reinen Nummernvergabe Platz. (Nur) so können Menschen verwaltet werden: 

(Nur) Bürokratie macht es möglich, dass sehr verschiedene Gegebenheiten mit den gleichen Ritualen (Vorgängen) behandelt werden können.

Bürokraten müssen also so tun, als ob die Menschen, die zu verwalten sind, alle gleich wären, als würden sie sich nicht voneinander unterscheiden. Und genauso werden sie dann auch behandelt, als wären sie alle gleich. Das erzeugt Ungerechtigkeit, denn natürlich repräsentieren Personen die Existenz der jeweiligen Menschen dahinter nur äußerst unvollständig. Und natürlich kann man es mit Bürokratie, wie mit allem, auch übertreiben und etwas an sich Nützliches dazu benutzen, um jemanden damit zu ärgern oder dessen Freiheiten über das notwendige Maß hinaus einzuschränken. Besonders dann wird die Reduktion individueller Komplexität von Menschen als ungerecht empfunden. Bürokratie funktioniert aber nicht, um Menschen zu zwiebeln (und schon gar nicht, um die Funktion dazu zu missbrauchen). Bürokratie funktioniert, weil sie gebraucht wird, um die Verwaltungsprobleme großer Organisationen zu lösen.

Dass trotzdem immer wieder die Abschaffung von Bürokratie gefordert wird, ist ein sich nicht abnutzender Irrtum (oder ein Wahlversprechen). Solange ihre Funktion gebraucht wird, wird das nie gelingen, weil Bürokratie ignorieren muss, was einzelne Individuen wollen. Die Alternative zum Abschaffungsreflex wäre, zunächst zu verstehen, was Bürokratie ist und dass sie ungerecht sein muss. Seit 2000 Jahren hat man noch keine Andeutung einer Alternative gefunden, Verwaltung scheint ganz offensichtlich nicht anders zu funktionieren. Wenn das verstanden ist, muss Bürokratie (falls sie übertrieben wurde) auf den notwendigen Teil eingeschränkt werden. Nur konkret kann festgestellt werden, wo sie hingehört und wo nicht. Wo sie (zwecks Verwaltung) unersetzlich ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als sie auszuhalten.

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