Authentisch bleiben – auch unter Stress

Einen authentischen, souveränen Auftritt erwartet man schlichtweg bei einer Präsentation. Aber was ist, wenn in der ersten Reihe ein erklärter Feind sitzt, der ganz süffisant lächelnd auf den ersten Fauxpas wartet? Oder wenn ich gerade erfahren habe, dass mein neues Auto auf dem Parkplatz nicht unerheblich demoliert wurde … Das sind Situationen, in denen man lieber aus der Haut fahren möchte anstatt in sich ruhend Authentizität auzustrahlen.

Sie können sich natürlich aufregen, dann wird Ihr Vortrag vermutlich schlecht werden. Sie können aber auch etwas dafür tun, dass Sie in Ihrer Mitte bleiben und mit gewohnter Strahlkraft Ihren Vortrag halten. Das liegt bei Ihnen.

Verstandesmäßig ist uns klar, dass wir auf die Provokation des Lieblingsfeindes nicht reagieren und uns genauso von einer anstehenden Autoreparatur mit all dem Organisations- und Schreibkram nicht wirklich aus der Konzentration bringen lassen sollten. Aber der Verstand ist das eine. Die Emotionen können durchaus verrücktspielen und unseren Verstand lahmlegen. Insofern ist auch für außergewöhnliche Belastungen eine Vorbereitung sinnvoll. Nehmen wir zuerst die einfachere Situation, die Beschädigung des Autos. Spielen Sie sie in Gedanken durch. Kreisen Sie als Adler über der gesamten Szene und versuchen Sie, die Ursache für Ihre Aufregung zu finden. Sind Sie vielleicht sauer auf den Lastwagenfahrer, der ja nun wirklich sein Metier beherrschen sollte? Fühlen Sie sich vom Schicksal schlecht behandelt, weil gerade Ihr Auto demoliert wurde (und nicht das danebenstehende)? Gibt es noch weitere Beobachtungen?

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Und nun gehen Sie einen Schritt weiter. Indem Sie den Lastwagenfahrer verurteilen, schaffen Sie eine starke energetische Verbindung zu ihm, obwohl Sie ihn gar nicht persönlich kennen. Oder, in anderen Worten, Sie machen eine Schublade auf, die erst wieder geschlossen werden muss, damit Ihre Konzentration und Sammlung zu hundert Prozent wiederhergestellt ist. Nehmen Sie Ihre Wut, Ihre Verurteilung des Lastwagenfahrers sehr deutlich war. Eventuell kann es hilfreich sein, mit kurzen Worten Ihre Emotionen schriftlich festzuhalten.

Der nächste Schritt wäre nun, von der anderen Seite heranzugehen und sich vorzustellen, wie dem Lastwagenfahrer dieses Missgeschick möglicherweise passiert ist. Fragen Sie sich, unter welchen Bedingungen der Mann fahren muss, was ihn unter Druck setzen könnte. Hat er vielleicht einen sehr engen Zeitplan? Hat ihm sein Chef heute Morgen gesagt, dass die Aufträge schneller abzuarbeiten sind, damit er seinen Arbeitsplatz nicht gefährdet? Will er heute vielleicht die Aufträge etwas schneller erledigen, weil er mit seinem Sohn zu einem Fußballspiel gehen möchte?

All diese Fragen können dazu führen, dass Sie mit Verständnis auf den Lastwagenfahrer blicken. Merken Sie, wie Ihre Wut sich langsam legt? Im nächsten Schritt können Sie dann betrachten, dass möglicherweise die Beschädigung des Autos gar nicht der entscheidende Punkt gewesen ist, sondern dass die Beschädigung des Autos in Ihnen eine Emotion ausgelöst hat, die vielleicht gar nichts direkt damit zu tun hat (siehe auch Kapitel 9 Unangenehmes – die Zügel in der Hand behalten).

Verführung zu Wut

Mit einem Schmunzeln können Sie nun feststellen, dass Sie sich von einem äußeren Ereignis haben verführen lassen, in Verurteilung oder Wut zu verfallen, die Sie eigentlich nur selber schwächen. Wenn Sie diese Arbeitsschritte ein paar Mal gemacht haben, werden Sie merken, dass Sie äußere Ereignisse als das stehen lassen können, was Sie sind, nämlich äußere Ereignisse. Und Ihre Art, darauf zu reagieren, bestimmen Sie selber. Sie bleiben, wie in diesem Buch schon häufiger erwähnt, Herr beziehungsweise Frau Ihrer Situation und insbesondere Ihres Gefühlslebens. Und wenn Ihnen also jemand die schlechte Nachricht über Ihr Auto überbringt, so können Sie in Ihrer Mitte bleiben und ruhig und gelassen sagen: »Darum kümmern wir uns nachher.«

Einfluss auf das Gefühlsleben

Nehmen wir nun das zweite Beispiel: den erklärten Feind in der ersten Reihe. Benutzen Sie die soeben erworbenen Fähigkeiten, nähern Sie sich ihm genauso an. Letztlich ist es auch hier so, dass Sie aus Ihrer Mitte gedrängt werden, wenn Sie ein äußeres Ereignis als für Sie gültige Wahrheit betrachten und zu sich heranziehen beziehungsweise ihm gestatten, Einfluss auf Ihr Gefühlsleben zu nehmen. Es geht wieder in erster Linie nicht um die Person, sondern um Ihre Entscheidung, sich aus Ihrer Mitte bringen zu lassen oder nicht. Ermöglichen Sie sich auch hier wieder, sich auf der emotionalen Ebene damit auseinanderzusetzen. Fragen Sie sich, wie diese Person dazu kommt, mit so viel Energie gegen Sie vorzugehen. Vielleicht verkörpern Sie ja etwas, was wiederum bei ihr etwas auslöst? Vielleicht hegt dieser Mensch einen tief gehenden Neid gegen Sie, weil Sie ihm eine Stelle weggeschnappt haben? Oder weil es Ihnen vergönnt ist, Projekte mit einer glücklichen Hand zu erledigen? Oder weil er glaubt, dass Sie mehr Glück bei Frauen beziehungsweise bei Männern haben? All dies könnte seine beziehungsweise ihre Wut und Vehemenz erklären. Vielleicht sind Sie nicht persönlich gemeint, sondern dienen der Person als Projektionsfläche? Wenn von der Person tatsächlich feindliche Handlungen ausgehen, sollen die mit dieser gedanklich-emotionalen Arbeit nicht entschuldigt werden, ganz im Gegenteil. Jedoch können Sie für sich eine klare Grenze setzen und Ihren Emotionen erlauben, nicht mehr auf die Provokation zu reagieren. Wie auch immer, Sie entscheiden.

Tipp: Diese Arbeit mit sich selbst ist sehr anspruchsvoll und Sie brauchen eine gewisse Routine, bis es Ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Für manchen ist diese Denkart neu, denn wir wurden in unseren Ausbildungen und bisherigen Berufsverläufen zumeist sehr einseitig verstandesmäßig gefordert. Schwierigkeiten der geschilderten Art sind aber nicht allein verstandesmäßig zu lösen, sondern nur zugleich auf einer tieferen emotionalen oder, wenn Sie so wollen, auch seelischen Ebene. Und es braucht eben eine gewisse Übung, hiermit bewusst umzugehen. Wenn Sie diese Entwicklung nicht vollziehen, kann es sein, dass Sie im völlig unpassenden Moment von einer Emotion übermannt werden, was Sie dann tatsächlich aus Ihrer Mitte stößt.

Kritische Fragen

Ein weiterer Punkt sind die (eventuell nur befürchteten) kritischen Nachfragen. Wovor fürchten Sie sich? Gehen Sie ganz offen und ehrlich mit sich um, Sie sind es sich schuldig. Haben Sie das Gefühl, fachlich nicht standhalten zu können? Oder haben Sie auf der gefühlsmäßigen Seite das Gefühl, in den kritischen Fragen verberge sich eine Ablehnung Ihrer Person? Bitte jetzt keine Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen treffen, eventuell trifft ja sogar beides zu. Forschen Sie einfach weiter. Machen Sie sich Notizen, erinnern Sie sich an vergangene vergleichbare Situationen. Und beginnen Sie mit der Arbeit. Auf der fachlichen Seite können Sie sich durch eine einfache Maßnahme sehr viel Sicherheit schaffen. Stellen Sie alle Fragen zusammen, die möglicherweise vom Publikum kommen könnten. Seien Sie sehr kreativ bei dieser Aufgabe. Diese Fragen schreiben Sie alle untereinander und dann rechts Ihre Antworten. Sie werden erleben, dass Sie nun jeder Diskussion relativ entspannt gegenübertreten können.

Komplizierter ist es, mit dem zweiten Aspekt umzugehen. Sie befürchten, dass sich in diesen Fragen eine Ablehnung Ihrer Person ausdrückt? Gehen Sie auch wieder an diese Fragestellung heran mit dem Verständnis für den Fragenden. Vielleicht benutzt er, wie Ihr Lieblingsfeind, Ihre Person und/oder Funktion als Projektionsfläche für seine eigenen Probleme? Je mehr Sie es schaffen, diesem Menschen mit Verständnis gegenüberzutreten, umso weniger werden Sie emotional provoziert von dem, was Sie hinter der Frage vermuten. Sie merken schon, wieder ist es Ihre Entscheidung, was Sie empfinden. Selbst wenn ein Fragender Sie persönlich angreifen möchte, ist es immer noch Ihre Entscheidung, ob Sie sich dieses zur eigenen Wahrheit machen. Das ist natürlich emotional nicht so leicht, dürfte Ihnen aber mit einiger Übung gelingen (vergleiche auch Kapitel 9 Unangenehmes – die Zügel in der Hand behalten).

Kompakt: Die Unabhängigkeit von solchen Angriffen ist nur möglich, wenn Sie emotional überhaupt nicht darauf reagieren. Diese Unabhängigkeit und dieses In-seiner-eigenen-Mitte-Ruhen ist etwas, das Sie sich mit den dargestellten Schritten (oder selbstverständlich natürlich auch auf andere Weise) erarbeiten können. Aus meiner Sicht wird nur dieses In-sich-Ruhen auf Dauer Bestand haben, da es Sie dazu bringt, aus Ihrer Ruhe heraus auf jeden Widerspruch und jede Kritik souverän zu reagieren.

Keine schützende Mauer

Dazu noch ein grundsätzlicher Gedanke: wenn Sie sich vor diesem Angriff durch – bildlich gesprochen – den Aufbau einer Mauer schützen wollen, verhärten Sie sich selber. Die Kräfte, mit denen Sie die Mauer von Ihrer Seite her stützen, sind mehr oder weniger identisch mit den Kräften, mit denen von der anderen Seite gegen diese Mauer vorgegangen wird. Sie werden also, wenn Sie auf derselben Ebene wie der Angreifer agieren, die Fronten mit Sicherheit verhärten. Damit haben Sie sich wieder außerhalb Ihrer Mitte begeben, den Provokationen des Angreifenden Futter gegeben, und er wird seine Bemühungen verstärken. Möglicherweise steht seinerseits dahinter ja auch noch der Wunsch, Aufmerksamkeit zu bekommen, und sei es auf negative Weise. Jedoch entscheiden Sie, ob Sie dem entsprechen wollen. Oder ob Sie bei sich bleiben können und der Person signalisieren, dass diese Auseinandersetzung zum Beispiel nicht in diesen Rahmen gehört, dass man diese Angelegenheit zu einem anderen Zeitpunkt (bei dem keine Bühne für ein theatralisches Schauspiel vorhanden ist) im Detail betrachten sollte etc.

Beispiel: Authentische Politikerin

Astrid ist Politikerin. Sie engagiert sich seit ihrer Jugend auf der regionalen Ebene, hat eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Sie hat eine vitale mitreißende Ausstrahlung und schafft es, auch bei schwierigen und kontroversen Themen eine gute konstruktive Gesprächsatmosphäre zu erzeugen. Man spürt sehr deutlich, dass sie das tut, was ihr liegt, und dass sie sich dort auch am richtigen Ort fühlt. Sie ist über die kommunalen und überregionalen Themen bestens orientiert, kann mit den Bürgern in detaillierte Diskussionen einsteigen und beherrscht die Besonderheiten des politischen Geschäftes. Ihr hilft, dass ihr Vater auch politisch aktiv ist und über viele Jahre Landrat war. Ihr Ziel ist es, für die Menschen bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Dabei wirkt sie ruhig und ausgeglichen und lächelt auch nach anstrengenden kontroversen Diskussionen.

Wie macht Astrid das? Ihre bemerkenswerte Fachkompetenz und ihre überdurchschnittliche Kommunikationsfähigkeit sind die Grundlage ihrer Arbeit. Dazu gehört auch, dass sie stets präsent ist, wenn sie mit Menschen spricht, und sich für deren Denkweise und Probleme interessiert. So kann sie sich offen und direkt in Diskussionen und Meinungsbildungsprozesse einbringen, da sie weiß, was die Menschen bewegt. Was ihr aber die Kraft gibt, über die vielen Jahre ihre Vitalität und ihr Interesse aufrechtzuerhalten, ist die Arbeit an sich selbst. Das In-sich-Ruhen auch unter widrigsten Umständen ist das Ergebnis eines von ihr selbst in die Wege geleiteten Entwicklungsprozesses. Ein wichtiger Punkt hierbei ist die Verfeinerung der Wahrnehmung für sich selbst und seine eigenen inneren Bewegungen. Astrid prüft, bevor sie in die Öffentlichkeit tritt, in welchem Zustand sie innerlich ist, ob sie sich zentriert oder durcheinander fühlt. Und kann dann die Energie für den anstehenden Auftritt bündeln.

Über folgendes Erlebnis war sie selbst erstaunt. Als bei einer Versammlung ein offensichtlich rechtsradikal angehauchter junger Mann anfing, entsprechende Lieder abzusingen, ging sie, ohne zu zögern nach vorne, legte diesem doppelt so breiten und eineinhalb Köpfe größeren und leicht angetrunkenen Mann die Hand auf die Schulter und machte ihm klar, dass das hier nicht erwünscht sei. Nach kurzem Wortwechsel entfernte sich der Mensch. In der Rückschau beschreibt sie die Situation so, dass die tiefe Verinnerlichung ihrer Überzeugung, dass rechtsradikale Auswüchse nichts mit ihrer politischen Richtung und vor allem ihrer persönlichen Überzeugung zu tun haben, zu einem spontanen und intuitiven Verhalten geführt hat. Dies besaß die notwendige Kraft, die Situation zu beherrschen, die bei normaler Betrachtung als unbeherrschbar gegolten hätte. Denn eine heftige Bewegung dieses starken Mannes hätte sie zu Boden geschleudert.

Astrid findet es sehr interessant, was energetisch zwischen Menschen vorgeht. Sie spürt, was von einer Person ausgeht, ahnt, was deren Motivation ist, und ist überzeugt davon, dass eine Wahrnehmungsfähigkeit für diese Prozesse eine zugewandte und lebendige Kommunikation ermöglicht. Deshalb hat sie zum Beispiel eine Ausbildung in Reiki gemacht und den ersten Grad erworben. So kann sie in sich ruhend das komplizierte politische Tagesgeschäft überstehen und sich daneben mit lächelndem Gesicht und strahlenden Augen ihren Kindern und ihrem Mann widmen.

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