Agil arbeiten mit dem Passion-Modell

Agile Methoden werden als der Heilsbringer verkauft: Kreativer, besser, schneller, günstiger, … Doch trotz aller Methoden, Tools und Techniken bleibt der Erfolg aus. Ein Grund: Der Mensch. Genau hier setzt das Passion-Modell an. Es ermöglicht gute, funktionierende und leidenschaftliche Teams zu entwickeln – passionierte Teams, die auch unter suboptimalen Bedingungen hervorragend arbeiten.

Als ich mit agilen Methoden gestartet bin, war ich primär mit Scrum unterwegs. Ich war überzeugt davon, dass Scrum nur dann funktionieren kann, wenn du alle Elemente nutzt. Etwas weglassen, kam für mich nicht in die Tüte. Alle, die anderer Meinung waren, hatten es aus meiner Sicht einfach nicht verstanden. Kurz gesagt: Ich war ein Scrum Dogmatiker.

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Erst mit der Zeit verstand ich, dass agile Methoden wie Scrum nur ein Teil der Wahrheit sind. Viel wichtiger ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der diese Methoden eine Chance haben, zu überleben. Es braucht eine Umgebung, in der jeder sein volles Potenzial ausschöpfen kann; eine Umgebung, in der passionierte Teams entstehen können. Wenn das gelingt, dann ist der Rest eigentlich ganz einfach. Ohne diese Umgebung ist agiles Arbeiten zum Scheitern verurteilt. Leider habe ich das mehr als einmal erleben müssen.

So ist dann vor ein paar Jahren mein PASSION Modell entstanden. Es basiert auf meinen Erfahrungen aus über fünfzehn Jahren Arbeit mit Unternehmen und Teams, sowie auf diversen Untersuchungen, die man in den letzten Jahren, unter anderem bei Google gemacht hat. Das PASSION Modell beschreibt sieben Bereiche, ohne die agiles Arbeiten auf Dauer nicht möglich ist. Das heißt nicht, dass diese Bereiche sofort voll ausgebildet sein müssen, aber parallel zur Einführung agiler Methoden wie Scrum muss an diesen Themen gearbeitet werden. Diese Bereiche sind:

  • Psychological Safety
  • Agility
  • Strong Vision
  • Strength Orientation
  • Independence
  • One Team
  • Never Stop Learning

Zur einfacheren Einordnung habe ich jeden der sieben Bereiche noch mal in vier Abstufungen unterteilt. Sie sollen dir eine Orientierung geben, wo du dich mit deinem Unternehmen aktuell befindest und wo du als nächstes ansetzen solltest.

Psychologische Sicherheit

Untersuchungen der Teams bei Google und Cisco haben gezeigt, dass das Thema »Psychological Safety« einen wichtigen Stellenwert bei erfolgreichen (agilen) Teams spielt. Psychologische Sicherheit ist dann gegeben, wenn die Mitarbeiter sich integriert fühlen, Fehler gemacht werden dürfen und jeder den Status quo in Frage stellen darf, ohne befürchten zu müssen, dass es negative Konsequenzen hat. Erst dann werden Mitarbeiter ohne Angst ihre Komfortzone verlassen und wirklich wachsen.

Im PASSION Modell gibt es die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Blaming and Fingerpointing: Schuld sind immer die anderen. Anstatt den Fehler bei sich zu suchen, sucht man immer die Schuld beim anderen.

Stufe 2  |  Überall Elefanten: Das Team ist sehr oberflächlich unterwegs. Die wirklich wichtigen Themen (die Elefanten), welche das Team tatsächlich blockieren, werden nicht angesprochen und ignoriert.

Stufe 3  |  Offenheit: Man spricht Probleme offen an, ohne Angst haben zu müssen, dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt. Gefühle sind aber tabu.

Stufe 4  |  Psychological Safety: Jeder im Team kann sich voll öffnen. Auch über Gefühle wird offen gesprochen. Das bietet die Basis, das wahre Potenzial des Teams zu entfalten.

Anpassbarkeit

In der heutigen Zeit gehört Veränderung zum Alltag. Wenn du nicht bereit dazu bist, Dinge im Unternehmen zu verändern, wirst du mit Agilität keine Freude haben. Der Wille zur Veränderung ist Grundvoraussetzung für erfolgreich gelebte Agilität. Agilität löst keine Probleme, sondern macht diese transparent. Lösen musst du diese aufgedeckten Themen immer noch selbst.

Im PASSION Modell gibt es die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Stillstand: Das Unternehmen ist nicht anpassungsfähig. Man macht die Dinge so, wie man sie schon immer gemacht hat. Veränderungen werden rigoros abgelehnt.

Stufe 2  |  Schneckentempo: Anpassungen sind möglich, aber nur sehr langsam.

Stufe 3  |  Offenheit: Veränderungen sind möglich und werden regelmäßig umgesetzt.

Stufe 4  |  Anpassungsfähigkeit: Das Unternehmen reagiert kontinuierlich und ohne Druck von außen konstruktiv auf Veränderungen und testet neue Ideen mit Herz und Verstand.

Starke Vision

Solange Mitarbeiter nicht wissen, wohin es gehen soll, können sie auch keine sinnvollen Entscheidungen treffen. Das wiederum schränkt die Selbstorganisation ein und animiert zu falschen Annahmen und oft zu Aktionismus. Ohne eine starke, erstrebenswerte Vision kann in einem Unternehmen keine echte und nachhaltige Agilität entstehen.

Das PASSION Modell kennt die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Keine Vision: Es existiert keine Vision. Kein Mitarbeiter weiß, wohin die Reise geht.

Stufe 2  |  Unbekannte Vision: Es gibt eine oder mehrere Visionen, die den Mitarbeitern aber nicht bekannt sind.

Stufe 3  |  Schwache Vision: Die Vision ist dem Team bekannt, allerdings ist die Vision leidenschaftslos, zu lang und keiner kann sie sich merken oder einfach nicht erstrebenswert.

Stufe 4  |  Starke Vision: Das Unternehmen wird von einer starken Vision geleitet, mit der sich jeder Mitarbeiter eindeutig identifizieren kann.

Stärkeorientierung

Laut einer internen Cisco-Studie von 2016 zeichnet Spitzenteams aus, dass die Teammitglieder gemäß ihren Stärken eingesetzt sind. Statt die Schwächen abzustellen, macht es mehr Sinn, die Stärken der Mitarbeiter weiterzuentwickeln. Man stellt einen Mitarbeiter nun mal nicht wegen seiner herausragenden Schwächen ein.

Das PASSION Modell kennt die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Fokus auf Schwächen: Es gibt einen starken Fokus auf die Schwächen der einzelnen Mitarbeiter. Die Mitarbeiter werden nicht gemäß ihrer Stärken eingesetzt.

Stufe 2  |  Fokus auf Verfügbarkeit: Es gibt weder einen Fokus auf Stärken noch auf Schwächen. Mitarbeiter werden den Teams nach Verfügbarkeit zugeteilt.

Stufe 3  |  Fokus auf Stärken: Mitarbeiter werden ihren Stärken gemäß eingesetzt.

Stufe 4  |  Fokus auf Synergie: Bei der Zusammenstellung der Teams wird explizit darauf geachtet, dass sich die verschiedenen Stärken der Teammitglieder ergänzen.

Unabhängigkeit

Je weniger ein Team von unternehmensweiten Prozessen und Tools abhängt, desto flexibler arbeitet es. Nur wenn ein Team seinen Prozess und seine Tools, zumindest in Teilen, selbst bestimmen kann, kann echte Agilität entstehen. Der Fokus liegt klar auf der Wertschöpfung und nicht auf Prozesse.

Das PASSION Modell kennt die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Höchste Abhängigkeit: Teams im Unternehmen unterliegen den Bestimmungen globaler Prozesse und Tools und halten diese strikt ein.

Stufe 2  |  Tayloring: Teams im Unternehmen halten sich an globale Prozesse und Tools und liefern die notwendigen Artefakte. Allerdings nicht immer genau in den vorgegebenen Prozessschritten.

Stufe 3  |  Unabhängigkeit: Das Team bestimmt und verantwortet seine Prozesse und Tools im Rahmen der Unternehmensvorgaben selbst.

Stufe 4  |  Incubators: Teams sind komplett unabhängig vom Rest des Unternehmens, sowohl hierarchisch als auch auf Prozess- und Tool-Ebene.

Ein guter Weg, um mehr Unabhängigkeit im Unternehmen zu etablieren, ist die Umstellung von einer Matrixorganisation zu Projektorganisationen. Das geht selbstverständlich nicht von heute auf morgen, aber du kannst damit durchaus auch parallel starten. Eine andere Idee ist es, die Abhängigkeiten transparent zu machen.

Fokus

Wenn ein Mitarbeiter in mehreren Teams parallel arbeitet, sinkt seine Arbeitsleistung. Ab drei Projekten parallel, ist die Verlustleistung größer als die tatsächliche Arbeitsleistung. Gleichzeitig sinkt das Teamzugehörigkeitsgefühl. Oft fühlen sich diese Mitarbeiter ihren Fachabteilungen mehr zugehörig als zu den Teams, in denen die tatsächliche Wertschöpfung für das Unternehmen geschaffen wird. Je weniger Projekte man parallel fährt, desto effizienter arbeitet die Organisation.

Das PASSION Modell kennt die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Hundert Prozent Auslastung: Der Fokus in der Organisation liegt darauf, alle Mitarbeiter hundertprozentig auszulasten. Dadurch kommt es zu einer hohen, ineffizienten Parallelisierung.

Stufe 2  |  Spezialisten: Das Unternehmen hat einen hohen Anteil an Experten beziehungsweise Spezialisten. Dadurch gibt es viele Mitarbeiter, die in mehr als drei Projekten parallel arbeiten.

Stufe 3  |  Generalisten: Das Unternehmen fokussiert sich auf die Ausbildung von Generalisten, um möglichst flexibel agieren zu können.

Stufe 4  |  Hundert Prozent Projektzugehörigkeit: Mitarbeiter arbeiten immer möglichst zu hundert Prozent an einem Thema. Dadurch sinkt die Verlustleistung auf ein Minimum und die Effizienz der Organisation auf ein Maximum.

Höre nie auf, zu lernen

In der heutigen Welt kann man es sich nicht mehr erlauben, langsam zu sein. Man muss in der Lage sein, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten – und auch bereits getroffene Entscheidungen zu hinterfragen. Für passionierte Unternehmen ist Lernen Teil der DNA. Ein agiles Unternehmen braucht regelmäßig neue Impulse von außen.

Das PASSION Modell kennt die folgenden Abstufungen:

Stufe 1  |  Stillstand: Das Unternehmen entwickelt sich nicht weiter und verharrt in alten Strukturen und Prozessen.

Stufe 2  |  Lernen nach Vorschrift: Jeder Mitarbeiter im Unternehmen hat das gleiche Fortbildungsbudget, welches nicht am tatsächlichen Bedarf ausgerichtet ist.

Stufe 3  |  Bildungsaffinität: Das Unternehmen ist in der Lage, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten, und akzeptiert, dass mitunter neues Wissen von außen nötig ist.

Stufe 4  |  Neugier: Das Unternehmen ist ständig dabei, Neues zu lernen und offen für Input. So beeinflusst es den Fortschritt in seinem Fachgebiet maßgeblich und erfindet sich immer wieder neu.

Wie agil ist dein Unternehmen?

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