Kann die Energiewende so gelingen?

Sauberer Strom aus regenerativen Energien – für alle, immer und bezahlbar. Die Protagonisten zeigen in atemberaubenden Berechnungen, wie das gelingt. Schöne saubere neue Welt oder Wolkenkuckucksheim? Mit etwas technischem Verstand, einem Blick auf den eigenen Stromzähler, das Wetter unterstützt von etwas Schulphysik kommt man aber schnell ins Zweifeln. Prof. Dr. Wolfgang Ströbele (über 25 Jahre unter den TOP 5 der deutschen Energieökonomen) illustriert einige eklatante Denkfehler der Energiewende.

Die Energiewendepolitik will in relativ kurzer Zeit das bisherige Energiesystem auf die beiden Säulen „rationellere Energieverwendung“ und „Nutzung erneuerbarer Energien (EE)“ und verstärkte Nutzung elektrischer Systeme wie Wärmepumpen oder E-Autos umstellen. Dabei nimmt sie technische und andere Restriktionen in der Realität nicht ausreichend wahr.

Lesetipp!

Im Mai 2022 ist Prof. Dr. Wolfgang Ströbeles neues Buch „Energiewende einfach erklärt – Von guten Absichten und unbequemen Fakten“ erschienen!

Derzeit liegt der EE-Beitrag zum Endenergieverbrauch (Wärme 16,5 %, Strom 41 %, Kraftstoffe 7 %, …) insgesamt unter 20 %: Davon größtenteils EE-Stromerzeugung sowie Biomassenutzung für Wärmezwecke.

Dank EE-Stromerzeugung soll der zügige Ausstieg aus der Verstromung von Kohle (bis 2030?) und zugleich auch ab Ende 2022 der Kernenergie gelingen. Da Wasserkraft und Biomasse-Stromerzeugung in Deutschland bereits gut ausgebaut sind, Geothermie nur an wenigen Stellen genutzt werden kann, ver­bleiben letztlich Wind- und Solarstromerzeugung als wichtigste Stützen neben einigen Gaskraftwerken.

Wind vs Sonne – Unterschiedlicher kann es kaum sein

Photovoltaik bringt ca. 52 % ihrer Jahresstromerzeugung in den Monaten Mai bis August, jedoch nur 12 % in den Monaten November bis Februar. In diesen vier Wintermonaten ist der Strombedarf gegenwärtig um 20 % höher ist als in den vier Sommermonaten. Zudem lassen das Heizen mit Wärmepumpe und das Aufladen von E-Autos den Stromverbrauch im Winter künftig stark steigen; wegen der Wärmepumpen besonders hoch an extrem kalten Tagen – an denen uns jedoch kaum Stromimporte möglich sind. Frankreich muss bei Kälte seine Bürger bitten, auf möglichst viele Stromverbraucher stundenlang zu verzichten, da auch in Südfrankreich sehr viele Heizungen elektrisch sind.

Windstrom ist zwar durchschnittlich im Winter besser verfügbar als im Sommer und ist je nach Wetterlage im Minimum stundenlang mit 2 – 5 % und im Maximum 90 % Verfügbarkeit der Kapazitäten extrem volatil. Häufig sind über viele Stunden oder wie Ende März 2022 sogar fast vier Tage (94 zusammenhängende Stunden) durchschnittlich ≈ 4,8 % der gesamten Windkapazitäten verfügbar.

Die Krux mit den Lastspitzen

Im Winter gibt es seit langem werktags eine zweite abendliche Lastspitze des Bedarfs mit rund 74 – 78.000 MW. Die auf für 2030 angestrebten 15 Millionen E-Fahrzeuge mit Li-Ionen-Batterien lösen stark ansteigende Lasten besonders ab 17 Uhr aus. Für deren Aufladung sind riesige Wasserstoff-Erzeugungssysteme und Wasserstoffspeicher sowie -Wiederverstromungssysteme nötig: Selbst wenn ab 17 Uhr gleichzeitig nur 4 % der E-Autos mit durchschnittlich 50 kW Ladeleistung aufladen wollen, erhöht alleine dieses die Abendspitze für mehrere Stunden um 30.000 MW.

Dunkelflaute ist der Todfeind der EE-Stromerzeugung.

Das ist ein Plus von 38 % auf die heutige Abendspitzenlast an Werktagen. Hinzu kommt in den kalten Wintermonaten noch der Strombedarf der Wärmepumpen. Zugleich entfällt im Winter ab 17 Uhr die Photovoltaik. Nimmt man eine fiktive Windkraft-Kapazität von 150.000 MW mit nur 4,8 % Verfügbarkeit (≈ 7.200 MW) an, liefern alle EE-Anlagen ca. 20.000 MW. (Man beachte: Der Strom-Leistungsbedarf in MW zum Laden der E-Autos ist höher als der gesamte Beitrag der EE-Anlagen)

Der Bedarf an Speichern und Wiederverstromungstechniken für Wasserstoff ist gigantisch!

Für einen Abend könnten rund 250 Mill. kWh Strom fehlen. Um diese zu erzeugen, benötigt die Brennstoffzelle rund 500 Mill. kWh gespeicherten Wasserstof. Dafür wäre eine zusätzliche „überschüssige“ vorherige Stromerzeugung von 830 Mill. kWh nötig. (Bei der Umwandlung von Strom in gespeicherten Wasserstoff zurück in Strom entstehen Umwandlungsverluste i.H. von rund 70 %). Und falls so eine Wetterlage drei Tage andauert, brauchte man nur für die Stromerzeugung 1,5 Mrd. kWh H2 (45.000 t H2), um den Black-Out zu vermeiden.

Die Stromerzeugung ab 2030 für einen Strombedarf von 800 Mrd. kWh läge bei 20 % Zwischenspeicherung via H2 mit den Verlusten bereits bei um 1.200 Mrd. kWh. Alles „grün“?

Zu berücksichtigen ist auch, dass zukünftig ein erheblicher Teil des Strombedarfs zur Wärmeerzeugung genutzt wird.  Hier gibt es große Unterschiede bzgl. des Temperaturniveaus, gewerblicher Nutzung (Produktion) oder für Warmwasser und Heizung. Gerade letzteres fällt natürlich vor allem in den Wintermonaten an.

Großstadt, Land, Industrie, Privathaushalte brauchen ganz unterschiedliche Lösungen

Bei der ganzen Diskussion um die Nutzung erneuerbarer Energie bleibt ein Aspekt vollkommen unberücksichtigt. Auf dem Land sind ganz andere technische Lösungen notwendig (möglich) als in einer Großstadt. Beim Einfamilienhaus auf dem Land hat man ganz andere Möglichkeiten als in einem Wohnblock mit Dutzenden, gar Hunderten von Wohnungen. Verdeutlicht man sich die Größenordnungen des benötigten Wasserstoffs, den technischen Aufwand für die Anlagen vor und denkt an die realen Umsetzungsgeschwindigkeiten mit Planungs- und Genehmigungsvorläufen sowie Facharbeitermangel, Rohstoffknappheit (Kupfer, seltene Erden …), dann sind „schöne Mo­dell­rechnun­gen“ im Computer mit zügiger Umsetzung leider irrelevant oder zumindest kaum nützlich für die reale Politik.

Geld zurück!

Bei den „Erstattungsdiskussionen“ einer CO2-Steuer gehen die heutigen Akteure von großen erzielbaren Steuereinnahmen aus, die anschließend pro Kopf „rückerstattet“ werden sollen. Wenn nun 400 Mill. t CO2 mit je 62,50 € besteuert werden, entspräche das einem „Rückerstattungs-“ Volumen von 25 Mrd. Euro.

Mit der CO2-Steuer ist jedoch eine Lenkungsabsicht verbunden: Gehen wie gewünscht die CO2-Emission auf 100 Mill. t zurück und stiege der CO2-Preis auf 125 €/t CO2, so sänke das CO2-Steueraufkommen auf 12,5 Mrd. Euro.

E-Autos sind nur ohne “Straßenbenutzungsgebür” günstiger als Benziner


Das wäre die Hälfte des Betrags der ersten Periode! Und das angepriesene E-Auto ist nur dann im Betrieb günstiger als ein Benziner, solange es keine „Straßenbenutzungsgebühr“ bezahlen muss. Derzeit ist sein fiskalischer Beitrag nur ein Drittel eines Benziners. Die frühere „Mineralölsteuer“ hatte immerhin über 40 Mrd. € Aufkommen p.a. Doch wer weiß das alles?

Gute Absichten reichen nicht

Manche Redaktionen deutscher Medien, welche häufig nicht einmal Kilowatt und Kilowattstunden auseinanderhalten können, hingegen beim „fairen Betriebskostenvergleich“ von Ben­ziner und E-Auto die zu bezahlende Mineralölsteuer beim Ben­ziner schlicht „vergessen“ sind teilweise sehr wenig von solider Fach­kenntnis der Energiewirtschaft getrübt; ebenso manche bekannte Politiker*innen, die bspw. den Strom „im Netz speichern“ wollen oder ähnlich Gehaltvolles erzählen.

Der Lexikon-Ersatz WIKIPEDIA ist bei den wichtigen Energiewende-Themen eine derart sachlich schlechte und teils dubiose Plattform geworden, dass man von deren Nutzung zu diesem politisch wichtigen Thema abraten muss.

Es gibt riesige Aufgaben der Zukunft, die vor einer „gelungenen Energiewende“ von Politik, Bürger*innen und vor allem mit Einbeziehung kompetenter Ingenieur*innen schrittweise zu bearbeiten sind. Wenn stattdessen die „Energiewende“ vor allem dank guter Absichten funktionieren soll: Dann gute Nacht!

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