Coaching – aber bitte mit System!

„Ich weiß schon: systemisch heißt, dass alles doch irgendwie zusammenhängt“, begann mal ein Kritiker eine Diskussion mit mir über systemische Ansätze der Beratung. Und weiter: „Was soll ich denn mit dieser Einsicht sinnvolles anfangen, außer der Erkenntnis, dass nicht alles allein in meiner Macht liegt?“ Da diese Banalisierung systemischen Denkens weit verbreitet ist, will ich gern an dieser Stelle einige Zeilen zur Klärung hinzufügen.

Ein Coach wird von der Personalabteilung eines Unternehmens gebeten, einen Manager darin zu unterstützen, mit seinem Team kooperativer umzugehen. Es war zum Konflikt gekommen, da sich Teammitglieder über seinen Führungsstil beschwert haben und sich der Manager wiederum über die geringe Kooperationsbereitschaft des Teams beschwerte. Der Coach sollte nun den Manager kommunikativ »fit« machen. Im Coaching stellte sich dann heraus, dass der Manager gegen den Willen des Teams zum Chef berufen wurde. Der frühere Teamchef, der sehr beliebt war, war von der Firmenleitung in eine andere Position versetzt worden. Die Teammitglieder »mauerten« jetzt gegen den neuen Chef. Der reagierte zunehmend ungehalten und die Lage eskalierte. Nachdem aus dem Coaching ein Teamentwicklungsprozess wurde, kam ans Tageslicht, dass im Team das Gerücht umging, der neue Chef habe über Beziehungen den alten Chef »herausgemobbt«, was im Team eine starke Verärgerung und eine Abwehrhaltung ausgelöst hatte. Dieses Gerücht stellte sich dann allerdings als haltlos heraus. Der alte Chef hatte aus familiären Gründen selbst um die Versetzung gebeten.

Dieser Fall aus meinem Buch „Change!“ zeigt, wie wenig hilfreich vordergründige Problembeterachtungen und reine Ursache-Wirkungs-Analysen sein können. Scheinbare Fakten und Wahrheiten entpuppen sich oft genug als subjektive Wahrnehmungen. Da wir aber immer wieder unsere Sichtweisen mit Wahrheiten verwechseln, geht so manches schief, geschäftlich wie privat. Wie kommen wir aus dieser Falle raus? Eben hier hilft die systemische Perspektive. Macht die nicht alles viel komplizierter? Keineswegs. Sie liefert allerdings meist etwas ungewöhnliche Perspektiven.

Nicht kompliziert, aber ungewöhnlich

Die systemische Sichtweise ist schon eine Provokation in einer Gesellschaft, die immer alles unter Kontrolle haben will. Transportiert sie doch die Forderung in Unternehmen und Organisationen, sich von kausalistischem Denken, also der Vorstellung reiner Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu verabschieden. Nicht einfach in einer Welt, in der alles auf Knopfdruck funktionieren soll. Die systemische Perspektive interessiert sich nicht so sehr für Dimensionen wie Problem, Ursache oder sogar Schuld, sondern viel mehr für die Wechselwirkungen zwischen den Elementen sozialer Systeme, sei das nun in einer Familie, einer Firma oder einer Organisation.

Warum das so wichtig ist? Kommunikation ist keine Einbahnstraße und daher ist jede Reaktion auch eine Ursache für weitere Reaktionen. So gesehen ist ein Problem zunächst nichts anderes als Feedback. Und so ist in Konflikten die Suche nach Schuldigen oft müßig. Zumindest dann, wenn man nicht bestrafen, sondern Konflikte lösen will. Das gilt übrigens auch für innere Konflikte. Wir alle sind multiple Persönlichkeiten, auch wenn uns das manchmal nicht so recht ist. Ambivalenz ist auch eine Kompetenz, eine sehr starke zudem, denn sie verschafft uns eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten.

Menschen übernehmen in Unternehmen und Organisationen bestimmte Rollen. Da wir aber sehr unterschiedliche Rollen einnehmen, sind auch unsere Sichtweisen sehr unterschiedlich. Der Chef hat eine andere Wahrnehmung als die Mitarbeiter, die Buchhaltung eine andere als das Marketing. Wahrheit bekommt aus dem systemischen Blickwinkel immer eine subjektive Note. Unsere Wahrnehmungen sind dadurch geprägt, wer wir sind und wie wir wurden. Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Da wir Menschen autonome und selbstorganisierte Wesen sind, kann Beratung zwar wichtige Impulse setzen, aber niemals intervenieren im Sinne von „das Problem coachen wir jetzt mal weg“. Interventionen sind im systemischen Kontext allenfalls Angebote oder Einladungen. Was ein Klient daraus macht, entscheidet er autonom. Die Veränderungskompetenz liegt bei ihm selbst. Der Coach unterstützt den Prozess auf professionelle Weise durch gezielte Fragen, Feedback, Übungen.

Prinzipien im systemischen Coaching

Systemisches Coaching folgt dabei folgenden Prinzipien:

  • Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile.
    Soziale Systeme entwickeln eigene Kulturen. Verhalten in Systemen lässt sich daher nur systemisch erklären. Verstehen können wir Verhalten nur dann wirklich, wenn wir das Umfeld beleuchten.
  • Ein Problem ist ein Symptom.
    Oder anders formuliert: Probleme sind das Resultat misslungener Lösungsversuche. Betrachten wir aber nur das Problem an sich, versuchen wir oft genug, das Feuer zu „bekämpfen“ aber nicht die Brandquelle zu löschen.
  • Lösungsfokussierung.
    Die Betrachtung des Problems ist oft schon das Problem. Wer Ursachen sozialer oder innerer Konflikte klären will, scheitert schon an der unterschiedlichen Betrachtung des Problems. Im Coaching geht es daher darum, den Problemkontext zu verlassen und zu einem Lösungskontext zu gelangen. Die Frage lautet also nicht: „Was genau ist die Ursache für das Problem?“ Sondern die Frage lautet: „Was genau muss geschehen, damit das Problem nicht mehr auftritt?“
  • Fokus auf Wahrnehmungen, nicht auf Wahrheiten.
    Es geht (mit Ausnahme eindeutig überprüfbarer Fakten) nicht darum, was vermeintlich wahr ist, sondern um die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Menschen. Problemsituationen entstehen meist nicht durch Fakten, sondern dadurch, wie wir Situationen erfassen und wie wir folglich damit umgehen. Was der eine als bedrohlich empfindet, ist für den anderen eine Herausforderung.
  • Wahlmöglichkeiten erhöhen.
    Menschen nehmen in Problemsituationen die Auswege nicht wahr und laufen immer wieder gegen die Wand – oft nur zehn Zentimeter neben der offenen Tür. Ein Wechsel der Perspektive hilft hier weiter. Lösungen lauern überall! Oft sind es verschüttete oder im Problemkontext nicht wahrgenommene Kompetenzen und Potentiale, die im Coaching an die Oberfläche gelangen und dann für Veränderungsarbeit zur Verfügung stehen.
  • Segeln statt rudern.
    Dynamiken des Systems nutzen, nicht gegen sie arbeiten. Denn wie sich ein System ändert, bestimmt nicht der Impulsgeber, sondern das System. Im Coaching werden Wege erarbeitet, wie Menschen sich selbst ändern können, um innerhalb des bestehenden Systems zum Ziel zu kommen.
  • Dynamisch Handeln.
    Die Wirkung von Impulsen auf lernende Systeme ist nicht eindeutig.Die Navigation in lernenden Systemen, so auch Coaching, ist damit ein dynamischer Prozess, der große Aufmerksamkeit und fortwährende Überprüfung von Wegen und Zielen erfordert. Nicht nur Erfolge, sondern auch Rückschläge sind Stationen auf dem Weg zum Ziel.

Ziel von systemischen Coaching kann es nicht sein, zu „richtigen“ Lösungen zu gelangen. Ob eine gefundene Lösung „richtig“ ist, lässt sich vorab nicht berechnen. Vielmehr zielt systemisches Coaching darauf ab, für den Coachee nützliche Lösungen zu erarbeiten. Nützlich kann grundsätzlich alles sein, was den Handlungsspielraum real erhöht und zu tragfähigeren Denk- und Handlungsmustern in Bezug auf das Coachingziel führt. Tragfähig können nur solche Lösungen sein, die an den vorhandenen Potentialen des Coachee ansetzen und diese erweitern.

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