Wer die Kurve nicht kriegt, fliegt raus

Ein politischer Senkrechtstarter, ein sehr beliebter zudem, legt eine brachiale Bruchlandung hin. Nein, es war keine Bruchlandung, sondern ein zweiwöchiger Kampf gegen das Offensichtliche, bis es nicht mehr ging. Wie konnte das geschehen? „Ein tragischer, aber typischer Verlauf“, sagt Change-Experte Constantin Sander und erklärt die Dialektik einer Krise.

Um ehrlich zu sein, ich mag die Begrifflichkeit nicht besonders: Krisenmanagement ist ein so abgegriffenes Wort. Und es klingt so nach kontrolliertem Chaos. Das ist doch ein Widerspruch in sich, oder? Und es klingt so dreimalschlau. Man stelle sich vor, ein Schiff schlägt Leck und der Kapitän sagt: „Leute, jetzt mal ruhig Blut, wir machen jetzt professionelles Krisenmanagement“. Ist das nicht absurd? Dennoch: In Politik und Wirtschaft trennt sich hier die Spreu vom Weizen. Die es können, werden Helden, die es nicht können, stürzen halt ab oder gehen taumelnd zu Boden. „Ich bin am Ende meiner Kräfte“, sagte Karl Theodor zu Guttenberg in seiner Abtrittsrede. Man nimmt es ihm ab. Aber das ist ein zumindest vorübergehendes, fast zwangsläufiges Karriereende, das so hätte nicht kommen müssen. Im Fall Guttenberg hat das Krisenmanagement brachial versagt.

Krisenmanagement ist eine heikle Angelegenheit, für die man kein Drehbuch schreiben kann, denn jede Krise entwickelt ihre eigene Dynamik. Checklisten helfen da kaum weiter. Aber Wachsamkeit und Sensibilität für deutliche Signale wären hilfreich gewesen. Im Fall Guttenberg wurden diese Signale sträflich übersehen. Allerdings hat hier nicht nur der massiv unter Druck stehende Betroffene versagt, sondern vor allem das ihn umgebende System. Denn die Krise verlief geradezu lehrbuchhaft. Es taugt als Schaustück für jeden Change-Workshop. Man hätte gewarnt sein können.

Flucht in die Negation

Um das zu verstehen, werfen wir einmal einen Blick auf die Dialektik der Krise. Wenngleich Krisen immer Einzelfälle sind, so lassen sich doch typische Phasen herausstellen. Es beginnt immer mit einer Störung des Betriebsablaufs. Die ist nicht unbedingt sofort virulent und bedrohlich, kann aber eine enorme Dynamik entwickeln. Im Falle Guttenbergs war es ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem berichtet wurde, dass Guttenbergs Dissertation nicht gekennzeichnete Zitate enthalte. Die Medien stürzen sich auf das Thema. Weitere kopierte Textstellen tauchen auf, innerhalb von zwei Tagen braut sich ein Sturm zusammen. Guttenberg ein Rosstäuscher? Die Plagiatsaffäre schockiert das politische Berlin und ist Topic Number One. Phase eins.

Doch sehr schnell beginnt die typische Phase zwei der Krise: Der Betroffene und sein Umfeld negieren das Problem. Ein Klassiker. Es wird beschwichtigt, kleingeredet, geleugnet. Guttenberg räumt schließlich zwar Fehler ein, weist aber den Plagiatsvorwurf „mit allem Nachdruck“ zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Internet-Initiative GuttenPlag-Wiki allerdings schon zahlreiche weitere Plagiatsstellen im Netz offengelegt, die den Standpunkt des Ministers als unhaltbar erkennen lassen. Diesen deutlichen Warnschuss haben auch die Verantwortlichen im Umfeld des Ministers offensichtlich nicht gehört oder wollten ihn nicht hören. Dass sich der Fokus des Betroffenen unter dem öffentlichen Druck verengte und seine Handlungsweise beeinträchtigte, ist verständlich. Dass aber das ihn umgebende System hier kläglich versagte, indem es seine offensichtlich unhaltbaren Positionen noch stützte, ist erschreckend. Man glaubte wohl, das abwettern zu können und mit dem Rückenwind der ministrablen Popularität weitersegeln zu können. Dass dies nicht ohne Gesichtsverlust gelingen würde, war zu dem Zeitpunkt schon klar. Zu erdrückend waren die Fakten gegen Guttenberg.

Aber anstatt den Minister zu diesem Zeitpunkt aus der Schusslinie zu nehmen, geht man zum Gegenangriff über, projiziert das Problem auf den politischen Gegner und die Medien („Neidkampagne“, „Hetzjagd“) und spaltet die Persönlichkeit Guttenbergs in einen Wissenschaftler und einen Minister. Die Psychologie der Krise nimmt jetzt fast pathologische Züge an. Derartige Abspaltungen kennen Therapeuten aus der Psychotherapie. Ein sehr menschlicher Selbstschutz, um psychische Dissonanzen zu überwinden. „Nicht ich habe da gehandelt, sondern ein fehlerhafter Teil in mir.“ Psychotherapeuten sind bemüht, diese Teile zu integrieren, denn nur so kann eine verantwortungsvolle und heilende Auseinandersetzung mit diesen Anteilen stattfinden. Aber Politiker sind nun mal keine Therapeuten.

Verengte Blickwinkel

Weiterhin ganz typisch: Die Analyse des Momentes, nicht des Prozesses. Um im Moment nicht das Gesicht zu verlieren, wird Durchhalten als Parole ausgegeben. Eine recht simple Prozessbetrachtung hätte helfen können. Denn zu diesem Zeitpunkt ist bereits belegt, dass Guttenberg seine Arbeit auf hunderten von Seiten zusammenkopiert hat, sein Titel wohl nicht zu halten ist und sich ein juristisches Nachspiel anbahnt, das nicht nur den Minister noch weiter beschädigt. Vor allem steht das Delikt im diametralen Gegensatz zum Bild Guttenbergs in der Öffentlichkeit. Aber auch hier nur halbherzige Korrekturversuche. In seiner Not gibt Guttenberg den Doktortitel zurück – wohl in der Hoffnung, damit die Affäre zu beenden. Die Universität Bayreuth erkennt ihm aber kurzerhand den Titel ab, der Nachfolger seines Doktorvaters nennt ihn einen Betrüger. Jetzt geht es nicht mehr um den Titel, um vergessene Fußnoten, sondern um seine politische Integrität. Das konservative Selbstverständnis steht endgültig zur Disposition und das Verhalten des Ministers im eklatanten Widerspruch zu von ihm selbst proklamierten Werten. Auch hier kein Innehalten bei allen Beteiligten. Augen zu und durch. Der Moment wird gesehen, nicht der nachhaltige politische Schaden.

Der öffentliche Druck eskaliert weiter. Schließlich ist das Maß voll, Guttenberg hält dem nicht stand und tritt zurück. Wohl auch deshalb, weil selbst seine Anhänger beginnen, Kritik am Minister und am Krisemanagement zu üben („Ich schäme mich nicht nur heimlich“, „Sargnagel der Demokratie“). Das ist der Beginn der typischen Phase drei, die rationale Einsicht in das Problem. Der Minister läuft in seiner Abtrittsrede noch einmal rhetorisch zu Höchstform auf, obwohl er am „Ende seiner Kräfte“ ist. Phase vier, die emotionale Akzeptanz und der Stimmungstiefpunkt sind erreicht. Jetzt beginnt das Sortieren, das Neuordnen und, wie wir aus zahlreichen Krisenverläufen wissen, beginnt erst hier eine echte Chance zum Neubeginn. Jetzt ist endgültig klar, dass die alten Muster versagt haben, neue müssen her. Hier entscheidet sich, ob es einen Neuanfang geben kann. Wer an diesem Punkt die Kurve nicht kriegt, fliegt endgültig raus.

Warnsignale überfahren

Was lässt sich aus dieser Affäre lernen?

  1. Warnsignale sind dazu da, anzuhalten und Luft zu holen. Oft werden diese Signale als unnötige Störung empfunden und übersehen. Aber Störungen haben immer Vorrang.
  2. Falsche Solidarität ist fatal. Es bringt nichts, dem Betroffenen noch Honig um den Bart zu schmieren, wenn der Bart schon ab ist. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Nicht der ist dein Freund, der dir nach dem Munde redet, sondern derjenige, der dir unliebsame Wahrheiten verkündet.“ Daher:
  3. Feedback einholen und Feedback geben. Wer in der Krise steckt, dem droht der verengte Blickwinkel. Er sollte sich von Außenstehenden beraten lassen, sich eine zweite und dritte Meinung einholen. Offenes, kritisches Feedback. Dieses Regulativ hat im Fall Guttenberg katastrophal versagt und dadurch ihn und das ihn umgebenden System mehr beschädigt als nötig.
  4. Nicht auf den Moment fokussieren, sondern auf den Prozess. Wenn ich ein Gewitter aufkommen sehe, hilft die Erkenntnis wenig, dass der Wind ja bisher nur leicht zugenommen hat. In sicherer Erwartung des Gewitters ist es ratsam, die Position aufzugeben und in Deckung zu gehen. Im Falle Guttenberg wurde die Negationsphase bis fast zum Schluss aufrechterhalten. Katastrophal.
  5. Eigene Position mit eigenen Werten vergleichen. Stellen Sie eine Diskrepanz zwischen beiden fest, dann entweder die Werte aufgeben oder die Position anpassen. Aufgabe der Werte ist aber immer mit Glaubwürdigkeitsverlust verbunden. Wer auf verlorenem Posten steht, sollte den also dringend räumen. Je länger damit gewartet wird, umso fataler die nachhaltigen Schäden. Der Fall Käßmann hat gezeigt, dass eine wertekonforme Position besser ist und nachhaltigen Schaden abwenden kann.
  6. Eine schlechte Presse ist stärker als gute Umfragen. Wer sich der Medien als Sprachrohr bedient, ist abhängig von der veröffentlichten Meinung und nicht von der öffentlichen.

Hätte zu Guttenberg gehalten werden können und sollen? Ich glaube nicht. Ich denke, das frühzeitige Räumen eines verlorenen Postens hätte ihm die Chance eröffnet, rechtzeitig auf sicherem Gelände in Deckung zu gehen – wenn auch mit starken Blessuren. Das wurde versäumt und so wurde aus einer plagiierten Dissertation eine Glaubwürdigkeitskrise. Wer einen kapitalen Fehler macht, sollte den schonungslos zugeben können und ihn nicht auch durch schlechtes Krisenmanagement toppen. Kapitale Fehler zu machen ist schon schlimm genug, die klaren Fakten zu negieren oder zu relativieren, ist schlimmer.

 

 

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