Richtig oder falsch ist ein glitschiges Thema

Von Kindesbeinen an, vielleicht sogar schon früher, sind wir mit richtig und falsch konfrontiert. Es regelt unser Leben und beeinflusst unsere Befindlichkeit. Es ist so allgegenwärtig, dass wir es kaum noch bemerken und oft nicht infrage stellen. Wenn wir damit anfangen, führt uns das in Opposition.

Es geht bei den meisten richtig/falsch-Themen nicht um quantitative Fragestellungen. Zwei plus Zwei ist zweifelsfrei Vier – da muss man über richtig oder falsch nicht entscheiden. Im Alltag begegnen uns richtig/falsch-Themen als Wertungsfragen. Du hast richtig gehandelt, deine Entscheidung war falsch. Und hier wird es schnell knifflig, zumindest wenn man ein bisschen gründlicher darüber nachdenkt.

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Schlau statt peferkt
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Richtig/falsch sind menschengemachte Dimensionen

Der Stärkere bestimmt, was richtig und was falsch ist, der Mächtigere gibt richtig und falsch vor. Das beginnt im Elternhaus und setzt sich in Schule und Berufsleben fort. Das kann zu unserem Nutzen sein, indem es uns zum Beispiel vor Schaden bewahrt, es kann sich aber auch gegen uns wenden. Denn:  Richtig und Falsch sind „Erfindungen“, um uns in den Griff zu bekommen. Recht zu haben, heißt Macht zu haben … und … wer Macht hat, hat Recht. Dagegen kann man aufbegehren, aber für den Schwächeren kann es übel ausgehen, wenn er auf seinem „richtig“ besteht.

Richtig/falsch ist eine gesellschaftliche Machtdimension

Diktatoren benutzen richtig und falsch, um die Menschen in ihrem Land zu disziplinieren, um die Bevölkerung „auf Linie“ und unter ihre Knute zu bekommen. Sie sichern und mehren ihre Macht, indem sie vorgeben, was richtig und was falsch ist und das brutal durchsetzen. Es gilt das Prinzip „Da die Meinung des Diktators richtig ist, sind alle anderen Meinungen falsch!“ Machtmissbrauch beginnt genau an diesem Punkt, und ist die Grundlage von Diktaturen.

Dabei kann der Diktator (oder sei es auch die kleine Gruppe eines Politbüros) seine richtig/falsch-Definition nicht durchsetzen ohne die Hilfe größerer Helfergruppen. In allen Diktaturen ist zu besichtigen, dass der im Alltag auf den Menschen lastende Druck von den „Bütteln“ des Diktators erzeugt wird. Sie folgen der Macht, manche sogar vorauseilend. Sie benutzen sein richtig/falsch, um sich zu erhöhen und die anderen zu unterdrücken.

Machtmissbrauch gibt es auch in der „freien“ Welt

Fast jeder hat am eigenen Leibe Beispiele für Machtmissbrauch erlebt, mindestens im Berufsleben, wenn der Chef seine Meinung durchdrückt, manchmal sogar entgegen besseren Wissens, nur um sein Gesicht nicht zu verlieren. Damit kann man meistens noch leben. Kritisch wird es, wenn einen die Cancel Culture trifft. Sie ist genau das: Machtmissbrauch! Klar kann ein Einzelner oder eine Gruppe definieren, was er oder sie für richtig hält. Aber wenn diese Gruppe sich zu der Meinung aufschwingt, dass damit alle anderen falsch liegen und diese dann vehement und bis zur Existenzvernichtung bekämpft, dann ist das Machtmissbrauch. Um dieses Phänomen zu verstehen, muss man sich einen weiteren Aspekt von richtig/falsch vor Augen führen:

Richtig und falsch ändern sich mit der Zeit

Sie wechseln die Richtung und folgen Situationen, wandelnden Einschätzungen und sich verändernden Bedingungen. Was in der Vergangenheit richtig war, kann heute falsch sein und umgekehrt. Beispiele dafür gibt es viele, von Benimmregeln bis zum Umgang mit Minderheiten. Wir sollten diesen Zusammenhang stets beachten, wenn wir heute Menschen vergangener Epochen und ihr Wirken bewerten und bevor wir ihre Denkmäler umstürzen.

Unabhängig davon gilt aber: Richtig ist, was die meisten für richtig halten.

Wenn viele Menschen der Meinung sind, dass Klimaschutz das existenziell wichtigste Thema unserer Zeit ist, dann wird dieses Thema auf die Agenden kommen und zu Maßnahmen führen. Solange nur einige Aktivisten dafür demonstrieren, entsteht keine Bewegung. Sollte also FFF durch seine die Normalbürger mitunter abstoßende Art der Ansprache in der Aktivistenecke bleiben, wird seine Wirkung unzureichend sein.

Nicht richtig und falsch sind wichtig,
sondern wie wir damit umgehen!

Richtig/falsch ist ein „Annäherungsproblem“

Und jetzt wird es praktisch: Wie können wir mit diesem „glitschigen“ Thema umgehen?

Wir sollten einfach davon ausgehen, dass in jedem „richtig“ auch ein Stückchen „falsch“ steckt und umgekehrt. Ich kann meine Ansicht für richtig halten, gehe aber stets auch davon aus, dass daran etwas falsch sein könnte. Das muss mich keineswegs verunsichern, sondern es bewahrt mich davor, alle anderen Auffassungen als falsch einzustufen. Ich kann mich trotzdem kraftvoll für das engagieren, was ich für richtig halte, erlaube aber anderen Menschen deren eigene Sicht und Handlungsoption. Ich streite nicht bis zum Exzess um mein „richtig“, sondern ich streite mit aller Konsequenz für Toleranz.

Der richtige Umgang mit „falsch“ kann „falsch“ richtig machen

Zugegeben, das klingt jetzt etwas kryptisch, ist aber ein wichtiger Ansatz für den beruflichen Alltag und für Führungskräfte. Wenn ich dafür einen anderen Begriff wähle, wird klarer, was ich meine: Fehlerkultur. Wir müssen richtig/falsch nicht als Faktum verstehen, das man setzt und damit basta, sondern als Prozess, den wir gestalten können. Wir diskutieren die richtig/falsch-Frage, bewerten sie in Abständen neu, korrigieren und passen an. Damit verliert richtig/falsch seinen Absolutheitsanspruch und wird pragmatisch.

Ich habe mich in diesem Essay intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt: https://www.humanagement.de/news-wissen/humanagement-blog/essay-ueber-richtig-und-falsch

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