Die Opferstrategie

Kennen Sie das auch? Da ist wieder mal etwas schief gelaufen und kaum werden wir mit der Misere konfrontiert, sprudelt es aus uns heraus: “Du bist schuld …” und schon ist man fein raus, denn man kann ja nichts dafür. Doch ein negativer Beigeschmack bleibt …

Die erste sichtbare Konsequenz daraus ist, dass wir aufhören, anderen oder den
Umständen die Schuld am Zustand unseres Daseins zuzuweisen. Aussagen wie

  • „Du bist schuld, dass …“
  • „Die sind nun einmal so, wie sie sind, und ich kann nichts ändern“

haben immer den negativen Beigeschmack, dass sie uns selbst zum Opfer machen.

Denn solange „jemand“ oder „etwas“ schuld ist, ziehen wir uns damit selbst
aus der Affäre und lehnen jegliche Eigenverantwortung ab. Wir können schließlich
nichts dafür und tragen also auch keine Verantwortung — nicht einmal für das
eigene Leben, weil dies ja stets von Umständen bestimmt wird, auf die wir
offensichtlich keinen Einfluss haben. Wer stets nur den anderen oder den
„Umständen“ die Schuld gibt, stellt sich damit als unschuldig hin —
und lenkt damit von sich selbst und seiner eigenen Verantwortung ab.

Das Einnehmen einer solchen Opferhaltung ist eine sehr häufig anzutreffende
Strategie, um vom eigenen Selbst abzulenken. Denn aus dieser Haltung heraus
reagieren die Betreffenden in schwierigen Situationen fast reflexartig und
automatisch so, dass sie die Schuldfrage in den Vordergrund stellen und
dabei natürlich die Schuld ganz eindeutig und ausschließlich bei anderen
sehen. Sie selbst haben mit dem Problem und seiner Entstehungsgeschichte
natürlich überhaupt nichts zu tun. Gleichzeitig finden Sie zahlreiche
Argumente und Gründe dafür, dass das eigene Verhalten in einer schwierigen
Situation richtig oder zumindest unvermeidbar war. In Bezug auf ihr eigenes
Verhalten sind die selbsternannten Opfer zudem häufig überzeugt davon,
dass bestimmte Reaktionen völlig unabänderlich sind. Sie verharren in ihren
festen Vorstellungen von den Dingen und ihren Zusammenhängen, sodass es
ihnen häufig überhaupt nicht mehr in den Sinn kommt, dass es womöglich
auch andere Verhaltenmöglichkeiten und Alternativen, geben könnte. Sie
sehen nicht, dass es in ihrer eigenen Verantwortung und an ihrer eigenen
Initiative liegt, die vermeintlich unabänderlichen Gegebenheiten zu verändern.

Aus einer solchen Grundhaltung heraus ist es natürlich schwer, Erfolg zu
haben oder sich auch nur bewusste Ziele zu setzen. Schließlich kommt ja
immer irgendetwas dazwischen. „Opfer“ sind daher in der Regel weit
weniger erfolgreich und sehen sich stattdessen oft mit Misserfolgen und
Schwierigkeiten konfrontiert. Allerdings führen sie diese Schwierigkeiten
dann auch nicht auf ihr eigenes Verhalten zurück, sondern halten beharrlich
an ihrer Opferhaltung fest und schieben „die“ Schuld für die Misserfolge
anderen in die Schuhe. Mit dieser Strategie handeln die Opfer sich dann
in vielen Fällen noch weitere daraus resultierende Probleme ein. Und die
Misserfolge führen natürlich dazu, dass sie sich häufiger Kritik
ausgesetzt sehen und unangenehme Gespräche führen oder über sich ergehen
lassen müssen. Unzufriedenheit, Ärger, Depressionen und Frustration sind
die Folge, wodurch auch die emotionale Seite schwer belastet wird. Und wer
sich frustriert fühlt, wird auch im Kontakt mit anderen Menschen keine
besonders empathische Wirkung erfahren. Und auch daran sind dann wieder
die anderen oder die Umstände schuld — der Kreislauf beginnt also
von vorn und verstärkt sich von Mal zu Mal.

Es ist also keine Frage, dass die Opferstrategie langfristig gesehen alles
andere als eine Erfolgsstrategie darstellt. — Wenn Sie einmal
aufmerksam beobachten, was sich in Ihrem eigenen Leben ständig wiederholt,
werden Sie vermutlich feststellen, dass eine bestimmte Thematik viele
verschiedene Ebenen durchzieht. Wenn es Ihr Lebensthema ist, sich von
anderen ausgenutzt zu fühlen, begegnen Ihnen entsprechende Situationen
tagtäglich, beruflich und privat. Hier verhält es sich wieder ganz
ähnlich wie bei der sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Es stellt
sich ziemlich zutreffend genau die Situation ein, die wir zuerst vom
Gefühl erzeugt und schließlich durch unsere Gedanken intellektuell
vorhergesehen haben.

Wer solche Zusammenhänge anerkennt, erkennt auch, dass wir nicht „Opfer“,
sondern „Schöpfer“ unseres Lebens sind! Wenn wir die Verantwortung für
das eigene Leben nicht in andere Hände legen, wenn wir nicht davon
ablenken, dass wir der Schöpfer der Rahmenbedingungen unseres Lebens
sind, bedeutet dies auch, dass wir ebenso gut dazu in der Lage sind,
uns ein sinnstiftendes und erfülltes Leben zu kreieren. Und dies muss
keineswegs mit Mühsal und unzähligen Schwierigkeiten verbunden sein.
Genau dieser Gedanke ist jedoch stark verbreitet: Viele Menschen in
unserer Kultur glauben, dass etwas nur dann wertvoll ist, wenn es durch
möglichst viel Mühe und Anstrengungen geschaffen wurde. Wir brauchen
also erst etliche Leidensmarken, bevor wir uns das Gute gönnen. Und so
machen wir uns manchen Weg schwieriger, als er in Wahrheit ist. Auch
dies ist letztlich nichts anderes als ein Handlungsmuster, das im Laufe
des Lebens zur Gewohnheit wird. Oder auch nicht!

Übernehmen Sie also selbst die Verantwortung für Ihre persönliche
Lebenssituation und die jeweiligen Bedingungen, in denen sich Ihr
Dasein vollzieht. Machen Sie sich dabei immer wieder Ihre Gefühle
und Gedanken bewusst, denn: Jedes Gefühl und jeder Gedanke hat einen
Effekt. Wenn Ihre Gedanken erfüllt sind von Zorn, so hat dies Wirkung
und führt zu Ereignissen in Ihrem Leben, die Sie darin bestätigen,
dass Sie zu Recht zornig sind. Wenn Ihre Gefühle erfüllt sind von
Unsicherheit, ziehen Sie genau das an, was Sie befürchten. Wenn Sie
jedoch Schönheit im Herzen haben, werden Sie Schönheit finden. Auf
dieser Grundlage wird klar, dass die Realität, in der wir leben, zu
erheblichen Teilen ein Abbild unseres eigenen Selbst ist. Wenn Sie
Ihre Lebensbedingungen ändern wollen, gibt es dafür nur einen nachhaltig
wirksamen Weg: Entwickeln Sie ein stärkeres Bewusstsein für Ihr Selbst,
für Ihre Gefühle und Gedanken — und schieben Sie die Verantwortung,
weder für angenehme noch für unerfreuliche Ereignisse, nicht anderen oder
irgendwelchen Umständen in die Schuhe. Wir gewinnen Freude als Qualität
des Herzens, wenn wir Verantwortung für unser Leben selbst übernehmen,
wenn wir dankbar das annehmen, was uns gegeben ist, es kreativ einsetzen
und uns gleichzeitig bewusst von dem verabschieden, was wir nicht länger
brauchen.

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