Ein ungeheuer reizvolles Angebot

Stellen Sie sich vor, Sie bekommen das Angebot, in Ihrem Leben nie wieder negative Gefühle wie Angst, Trauer, Ärger, Frust, … zu empfinden. Verlockend, oder? Einen Haken hat die Sache allerdings. Es gibt nichts ohne Gegenleistung. Ähnlich wie Tim Thaler sein Lachen verkaufte – ist Ihr Einsatz noch etwas höher: Sie verzichten auf alle positiven Gefühle: Keine Freude, Liebe, Stolz, Zuversicht, … Nehmen Sie das Angebot an?

Wir haben diese Frage in den vergangenen zehn Jahren weit mehr als 25.000 Menschen im Rahmen von Vorträgen und Trainings gestellt. Was glauben Sie, ist dabei herausgekommen? Die Antwort: Wir können die Zahl der Personen, die das Angebot angenommen hätten, an den Fingern einer Hand abzählen. Warum ist das so? Weil wir alle wissen, dass negative Gefühle nun einmal Teil des Lebens sind, dass sie uns erst ermöglichen genau das Gegenteil, nämlich positive Gefühle wertzuschätzen und weil sie eben auch nützlich sind. Denn Angst warnt uns davor, dass eine Gefahr besteht, Ärger zeigt, dass gerade unsere Rechte verletzt werden, Frustration, dass wir nicht genügend Ressourcen zur Verfügung haben, Schuld, dass wir die Rechte eines anderen Menschen verletzt haben, Trauer, dass wir etwas verloren haben, und Peinlichkeit, dass wir gerade an Ansehen verloren haben. Sie tun dies insbesondere in ganz vortrefflicher Weise, wenn wir in der Lage sind, wie eben beschrieben, akkurat zu denken, nicht in irgendwelche Denkfallen tappen und somit Dinge nicht überzogen sehen.

Ich kann Sie mit diesem eben gemachten Angebot nun aber nicht einfach so im Regen stehen lassen und möchte Ihnen daher ein anderes Angebot machen. Dieses Angebot lautet, zu lernen, die positiven Dinge, die uns im Leben widerfahren und wahrscheinlich permanent passieren, »einfach« häufiger und bewusster wahrzunehmen. Sie erinnern sich: Resilienz hat vor allem etwas mit Wahrnehmungsprozessen, mit Perspektiven, die wir einnehmen, und der Art, wie wir denken, zu tun. Auch dies ist eine Eigenschaft, die hoch resiliente Menschen ganz automatisch und somit unbewusst haben, und die natürlich einen starken Einfluss auf ihr Wohlbefinden, ihren Optimismus und damit ihren Erfolg ausüben. Sie sehen das, was sie haben und das Positive, das ihnen im Leben widerfährt.

Entsprechend ist Positivity auch nicht das, was viele darunter verstehen: sich alles rosarot anzumalen also zum Beispiel, obwohl Sie vielleicht gerade arbeitslos geworden sind, Ihr Partner Sie deswegen und aus ein paar weiteren Gründen verlassen hat und Sie sich eingestehen müssen, dass Sie ein Alkoholproblem haben, sich vor den Spiegel zu stellen und zwanzig Mal zu sich zu sagen, dass alles ganz toll ist, dass es Ihnen ganz toll geht und eigentlich noch nie besser ging. Dann würden Sie sich anlügen und ebenso inakkurat denken, also etwas zu positiv sehen. Positivity ist in einer solchen Situation etwas anderes. Es bedeutet, ehrlich zu sich zu sein, seine Anteile an der Situation ehrlich herauszuarbeiten, seine Gefühle zuzulassen, daran zu glauben, dass es durch das eigene Handeln besser werden kann, und vielleicht auch, seine Situation mit der von anderen Menschen zu vergleichen, die einen Weg aus solch einer misslichen oder einer vielleicht noch viel schlimmeren Lage gefunden haben, und auch dadurch seine eigene Situation etwas erträglicher zu machen. Bei hoch resilienten Menschen können wir solche Haltungen dann häufig an Sätzen wie »Es gibt Menschen, denen es noch viel schlechter geht als mir« ablesen. Willy Brandt ist ein solcher Mensch, der einerseits als Bundeskanzler, SPD-Vorsitzender und Friedensnobelpreisträger einen sehr hohen persönlichen und beruflichen Erfolg hatte, auf der anderen Seite aber als Kind und Jugendlicher den Krieg, Niederlagen, Armut und Verfolgung durchstehen musste. Er sagte gegen Ende seine Lebens: »Ich habe die Erfahrung bestätigt gesehen, dass es hoffnungslose Situationen kaum gibt, solange man sie nicht als solche akzeptiert.«

Hoch resiliente Menschen sehen also die positiven Dinge, die ihnen im Leben widerfahren, und führen außerdem positive Erlebnisse und die damit einhergehenden positiven Gefühle aktiv herbei. Sie erinnern sich vielleicht an die Liste der negativen, nicht-resilienten Gefühle und die Themen, die dahinterstecken, die ich Ihnen beim Emotionsradar vorgestellt habe. Genau die gleiche Liste gibt es auch für positive, wir nennen sie auch resiliente Gefühle, und ich möchte Sie daher einladen, auch einmal Ihr Radar für diese positiven Gefühle einzuschalten:

  • Wir erleben Freude, gar Glück, wenn gerade alles so ist, wie es sein soll, und wenn uns etwas für uns Schönes widerfährt.
  • Wir erleben Stolz, wenn wir gerade eine tolle Leistung erbracht haben.
  • Wir erleben Zufriedenheit und Dankbarkeit, wenn wir merken, dass wir alles haben, was wir brauchen.
  • Wir erleben Interesse und Neugier, wenn wir vor einer Herausforderung oder Situation stehen, die genau unseren Vorstellungen entspricht.
  • Wir erleben Liebe, wenn wir anderen Menschen Kraft geben und diese auch wieder zurückbekommen.
  • Wir erleben Ansehen und Respekt, wenn andere Menschen gut über uns denken.
  • Wir erleben Demut, wenn wir ein realistisches Selbstbild und gleichzeitig einen Blick für das Ganze haben.
  • Wir erleben Zuversicht und Gelassenheit, wenn wir der Überzeugung sind, dass sich die Dinge zum Guten wenden werden, und wir daran glauben, dass wir selbst auf unser Leben Einfluss nehmen können.
  • Wir erleben Leidenschaft, wenn wir genau das tun, was uns entspricht.
  • Wir erleben einen positiven Selbstwert nicht dann, wenn wir uns immer ganz toll finden, sondern dann, wenn wir uns mit unseren Stärken und unseren Schwächen, also so wie wir nun einmal gerade sind, erst einmal annehmen.

Wie häufig erleben Sie diese einzelnen Gefühle? Gibt es in Ihrem Leben vielleicht ein Gefühl, das Sie häufiger erleben könnten, wenn Sie einmal realistisch und ehrlich auf Ihr Leben schauen würden? Auch hier mache ich in Trainings und Coachings immer wieder die Erfahrung, dass diese Fragen die Menschen, die ich bei ihrer persönlichen Entwicklung unterstütze, sehr nachdenklich stimmen. Denn diese Fragen stoßen genau in die Kerbe der in der Einleitung dieses Buches formulierten These: Wir haben so ziemlich alles, was wir benötigen, um ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen, und selbst wenn uns das Schicksal nicht mit den Rahmenbedingungen gesegnet hat, die wir erst einmal für ein erfolgreiches Leben benötigen, zeigen uns die Beispiele vieler wahrscheinlich hoch resilienter Menschen, wie viele Möglichkeiten ganz einfach direkt in uns selbst stecken, um diesem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Wir tragen die Instrumente also permanent mit uns herum, müssen also »nur« lernen, sie zu benutzen.

Beispiel Uwe Hück

Ein diesbezüglich bemerkenswertes Beispiel ist aus meiner Sicht Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der Porsche AG. Hück verlor im Alter von zwei Jahren seine Eltern durch einen Verkehrsunfall und wuchs in einem Kinderheim auf. Der gängigen Meinung folgend, hatte er als Sonderschüler somit erst einmal nur wenige Chancen, ein erfolgreicher Mensch zu werden. Heute ist er ein Mann, der die Zukunft eines äußerst erfolgreichen Unternehmens aktiv mitgestaltet. Im Titel seiner gerade erschienenen Autobiografie Volle Drehzahl – Mit Haltung an die Spitze kommt der Begriff Haltung daher sicherlich auch nicht zufällig vor und die Tatsache, dass er es allen »Kindern, die glauben im Leben keine Chance zu haben« widmet, zeigt: Auch bei ungünstigen Startbedingungen können wir enorm viel aus unserem Leben machen.

Was glauben Sie nun, was die Antworten sind, die die Menschen auf die Fragen nach den oben aufgelisteten positiven Gefühlen geben? Hier nur ein paar Beispiele: »Es stimmt schon, dass ich mir nie die Zeit nehme, mal auf meine Erfolge zu schauen und stolz darauf zu sein. Ich sehe das eigentlich als selbstverständlich an und gehe dann gleich zur Tagesordnung über«, »Es stimmt schon, dass ich viele Menschen um mich herum habe, die mir Kraft geben und mich auch respektieren. Ich denke nur nie daran«, »Es stimmt schon, dass ich einen Beruf habe, der mir sehr viel Spaß macht und in dem ich mich selbst verwirklichen kann« oder »Es stimmt schon, dass es mir eigentlich sehr gut geht, ich so ziemlich alles habe, was ich brauche«.

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