Wie es uns gefällt – Leadership aus sicht der Mitarbeiter

Leadership dreht sich immer um den Leader. Was erwarten eigentlich Mitarbeiter von ihm? Welche Kompetenzen sollte ein (agiler) Leader aus sicht der Mitarbeiter haben? Definitionen gibt es viele -meist normativer Art die mit viel Interpretaionsspielraum. Was für einen Leader brauchen aber die Menschen im Unternehmen um sich optimal entfalten zu können? Christian Polz illustriert, was menschlich agiles Leadership aus Sicht der Mitarbeiter bedeutet.

Bei der Beantwortung der Frage, was menschlich-agiles Leadership ausmacht und welche Kompetenzen ein menschlich-agiler Leader haben sollte, könnten wir eine lange Liste an Fähigkeiten aufstellen, die zu dem bereits zitierten digitalen »Eier legenden Wollmilchsau-Leader« führen würde, der alle möglichen und unmöglichen Fähigkeiten aufweist. Nach Christoph Lindinger und Nora Zeisel bedeutet Leadership, »Ergebnisse mit Menschen in einem inspirierenden und Sinn stiftenden Umfeld zu erzielen und dabei sich selbst, andere Menschen, Prozesse, den Markt und das Business weiterzuentwickeln«. Es geht darum, mit Leadership die eigene Persönlichkeit, die Mitarbeiter und Teams, die unternehmerischen Abläufe, den Markt und das Business voranzubringen. Der entsprechende Führungsstil basiert vorrangig darauf, situations- und personenorientiert vorzugehen und die Individualität des jeweiligen Menschen zu berücksichtigen, ohne die Ziele des Unternehmens aus den Augen zu verlieren. Leadership will und muss einen Beitrag leisten zur Erreichung der Unternehmensziele, wobei den Mitarbeitern zugetraut – und dies von ihnen auch erwartet – wird, sich eigenverantwortlich in die unternehmerischen Prozesse einzubringen. Der Leader passt sich den Rahmenbedingungen, den Bedürfnissen und der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur der Mitarbeiter, den Arbeitsaufgaben und den Eigenheiten der Teams an, was aufseiten der Mitarbeiter meistens ein höheres Engagement, eine zunehmende Initiative und einen gesteigerten Identifikationsgrad mit dem Unternehmen nach sich zieht.

All dies kommt dem, was ich unter einem am Menschen orientierten Leadership verstehe, sehr nah. In digitalen Leadership-4.0-Zeiten jedoch erweitert sich das Kompetenzportfolio erheblich. Führen in der digitalen Welt erfordert ein digitales Mindset und die Beherrschung zahlreicher weiterer technologischer Fähigkeiten und Methoden. Denken wir nur an die Kompetenz, Mitarbeiter durch die professionelle Nutzung der elektronischen Medien miteinander zu vernetzen – das heißt dann Social Collaboration – und mit ihnen mithilfe der modernen Medien zu kommunizieren. Doch statt nun eine Kompetenzliste der digitalen »Eier legenden Wollmilchsau-Leader« zu erstellen, möchte ich einen anderen Weg einschlagen.

Die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter als Maßstab

Gemäß dem Motto dieses Buches, stets den Menschen, den Mitarbeiter in den Fokus zu rücken, ist es zielführend, bei der Beantwortung der Frage nach dem Kern des menschlich-agilen Leaderships konsequent die Mitarbeiterbrille aufzusetzen. Wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, dass Menschen mehr leisten können und wollen, wenn sie zufrieden sind, mithin die Arbeitszufriedenheit hoch ist, sollte menschlich-agiles Leadership darauf abheben, primär einen Beitrag zu dieser Arbeitszufriedenheit zu leisten. Ein Blick in entsprechende Umfragen zeigt, dass dabei immer wieder Aspekte wie »Hoher Wohlfühlfaktor«, »Wertschätzung der eigenen Arbeit«, »Gutes Verhältnis zu den Kollegen und den Vorgesetzten« und »Unterstützung der persönlichen Weiterentwicklung durch die Führungskräfte« ganz weit oben stehen.

Ein Beispiel ist die Befragung Arbeitsmotivation 2018 der ManpowerGroup Deutschland, die bei einer »bevölkerungsrepräsentativen« Befragung von 1.022 Bundesbürgern zu den zentralen Ergebnissen gelangt, dass eine »angenehme und kollegiale Arbeitsatmosphäre sowie flexible Arbeitszeiten« die Arbeitsmotivation am meisten verstärkt und einer Mehrheit ein »inhaltlich spannender Job in einem netten Team« wichtiger ist als Geld. Auf dem Gewinnertreppchen stehen die drei folgenden Aspekte (www.manpowergroup.de/neuigkeiten/studien-und-research/studie-arbeitsmotivation):

  • Gutes Arbeitsverhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten
  • Flexible Arbeitszeiten, also zum Beispiel Gleitzeit oder ein Arbeitszeitkonto
  • Gutes Verhältnis zu Kollegen, auch über die Arbeit hinaus

Die Sprachlosigkeit der Führungskräfte

Als letzter Beleg ist das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup (www.gallup.de) zu nennen, das jedes Jahr seinen Engagement Index erhebt und feststellt, wie es um die emotionale Bindung deutscher Arbeitnehmer an ihr Unternehmen und ihren jeweiligen Arbeitgeber bestellt ist. Die Zahlen erschrecken jedes Jahr aufs Neue: Viele Mitarbeiter befinden sich in der inneren Kündigung und leisten nur noch Dienst nach Vorschrift. Hauptverantwortlich dafür sind laut Gallup erhebliche Defizite in der Personalführung.

Mitarbeiter fliehen gerne in die innere Kündigung, wenn sich niemand für sie als Menschen interessiert. Zu wenig Anerkennung und Lob, zu wenig Aufmerksamkeit, zu wenig Feedback, zu wenig Beteiligung und Einbindung etwa bei Entscheidungsprozessen – das sind die Faktoren, die zu der niedrigen emotionalen Bindung führen.

Marco Nink, Senior Practice Consultant bei Gallup, hat im Rahmen der Veröffentlichung des Engagement Index 2016 festgestellt: »Faktoren wie Arbeitsplatzsicherheit, Entlohnung, Sozialleistungen, flexible Arbeitszeit oder die Zahl der Urlaubstage sind für Mitarbeiter zwar durchaus wichtig, auf deren emotionale Bindung haben sie jedoch kaum Einfluss. So ist beispielsweise die Möglichkeit, das zu tun, was man richtig gut kann, fünfmal wichtiger als das Gehalt. Entscheidend sind außerdem Dinge wie Führungsqualität, eine herausfordernde, abwechslungsreiche und als sinnvoll empfundene Tätigkeit und die Kollegen. Emotionale Bindung wird im direkten Arbeitsumfeld erzeugt und der direkte Vorgesetzte ist dabei das A und O.«

Laut Engagement Index 2016 lässt dabei vor allem die Dialogfähigkeit der Führungskräfte zu wünschen übrig. Um es auf den traurigen Punkt zu bringen: Die Führungskräfte kommunizieren viel zu selten mit ihren Mitarbeitern, eigentlich eine unglaubliche Feststellung. Ein kontinuierlicher Austausch mit der unmittelbaren Führungskraft über das Jahr hinweg scheint kaum stattzufinden. Marco Nink führt dazu aus: »Dieses Ergebnis stellt Führungskräften ein schlechtes Zeugnis aus. Es ist die Aufgabe einer Führungskraft, die individuellen Leistungspotenziale der Mitarbeiter freizusetzen und zur Entwicklung des Einzelnen beizutragen. Es gilt herauszufinden, was ein Mitarbeiter gut kann und mag und wie er dementsprechend eingesetzt werden kann – dies lässt sich am besten im Gespräch herausfinden.«

In disruptiven Zeiten intensive Beziehung zu Mitarbeitern aufbauen

ManpowerGroup, Boston Consulting Group, Gallup: Aus diesen Untersuchungsergebnissen sollen die wichtigsten Felder abgeleitet werden, aus denen sich aus Sicht der Teammitglieder, mithin aus der Perspektive der Menschen, um die es bei der Teamarbeit und Teamführung geht, ein menschlich-agiles Leadership zusammensetzen sollte. Die ausgewählten Felder sind freilich subjektiv, da sie sich nicht nur auf die genannten Untersuchungen beziehen, sondern überdies in einem unmittelbaren Zusammenhang mit meinen persönlichen Erfahrungen stehen, wie sich Menschlichkeit und Agilität verknüpfen lassen, um die Teamperformance zu erhöhen. Existenziell sind die folgenden Felder:

Feld 1    den Mitarbeitern vertrauen
Feld 2    die Mitarbeiter in ihrem Alltag begleiten
Feld 3    die Teamleistungen wertschätzen
Feld 4    die Widerstandskräfte der Mitarbeiter stärken
Feld 5    Sinn stiften durch einen höheren Zweck
Feld 6    die Persönlichkeit der Mitarbeiter entwickeln
Feld 7    Und: den Mitarbeitern Zeit schenken

Wenn ich diese Punkte Revue passieren lasse, spiegeln sich in ihnen einige Aspekte wider, die einst mein Judotrainer – ich möchte ihn eigentlich eher als Judolehrer bezeichnen, weil es ihm neben unserer sportlichen Entwicklung auch immer um unsere Entwicklung als Person gegangen ist – zur Grundlage seiner Teamführung gemacht hatte und die auch ich in meiner aktiven Zeit als Judotrainer beherzigt habe. Als ich mich einst in jungen Jahren in einer Krise befand, die durchaus auch mit den sowieso schwierigen Jahren der Pubertät zusammenhing und mich an dem Sinn der täglichen Trainingsqual auf der Judomatte zweifeln und verzweifeln ließ, verlor mein Judolehrer nicht den Glauben an mich. Er sprach mit den damals wichtigsten Personen in meinem Umfeld – das waren neben meinen Eltern mein Bruder, der ja auch selbst als Judoka unterwegs war. Mein Trainer suchte mich des Öfteren privat auf und hat mir in zahlreichen intensiven Gesprächen den Spaß am Judosport zurückgegeben, auch indem er mir verdeutlichen konnte, dass mein Team mich damals brauchte und auf mich angewiesen war: »Christian, wenn du es nicht für dich tust, dann für deine Freunde, die dich brauchen.« Ähnlich verhielt sich mein Judolehrer, als ich – wie bereits kurz angesprochen – in den 1990er-Jahren meinen Kampfstil anpassen und verändern musste. Er hat mir im vertrauensvollen Gespräch deutlich gemacht, dass es neben dem Kampfsport darum geht, sich weiterzuentwickeln und sich für die Herausforderungen des Lebens zu wappnen. Auf jeden Fall ist es ihm durch die Zeit und Zuwendung, die er mir in den Gesprächen geschenkt hat, gelungen, mich dazu zu bewegen, mich wieder mit der notwendigen Hingabe und Leidenschaft dem Judosport zu widmen.

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