Drei Thesen für ein ärgerarmes Leben

Wenn du künftig mit Ärger intelligenter umgehen willst, könnten drei Grundhaltungen hilfreich sein.
Erstens: Von Natur aus gibt es keine Konflikte, nur Konfliktangebote.
Zweitens: Es gibt günstigen und ungünstigen Ärger.
Und drittens: Konflikte sind nicht nervig oder lästig, sie sind vielmehr Chancen zur Persönlichkeitsentwicklung.

Wer kennt ihn nicht, den gemeinen Dauerschwätze, der sich gern in Meetings tummelt und das Gespräch an sich reißt. Wie geht man aber mit solchen Quasselstrippen gekonnt um und holt sie wieder auf den konstruktiven Boden zurück? Antworten darauf hat die Moderationsexpertin Michael Stach.Wenn du künftig mit Ärger intelligenter umgehen willst, könnten drei Grundhaltungen hilfreich sein. Erstens: Von Natur aus gibt keine Konflikte, nur Konfliktangebote. Zweitens: Es gibt günstigen und ungünstigen Ärger. Und drittens: Konflikte sind nicht nervig oder lästig, sie sind vielmehr Chancen zur Persönlichkeitsentwicklung

These 1: Von Natur aus gibt keine Konflikte, nur Konfliktangebote.

Es liegt allein an dir, ob du aus den zahlreichen Angeboten auch zahlreiche Konflikte machst. Entscheide bei jedem Angebot, ob du und warum es annimmst.
Manche Menschen glauben, dass sich bestimmte Konflikte geradezu aufdrängen und dass sie keine Wahl haben, „Nein“ zum Konflikt zu sagen. Der Konflikt ist ihnen gewissermaßen übergeholfen worden. Nennen wir diese alternativlos-fundamentale Einstellung eine „Un-vermeidbarkeitsannahme“. Was viele bei dieser Opfer- bzw. Ohn-machtshaltung jedoch übersehen ist, dass es vor dem realen Kon-flikt, der tatsächlich eingetreten ist und der scheinbar eintreten muss-te, zuvor ein Konfliktangebot gegeben haben muss, das sie „dum-merweise“ angenommen haben.

Was ich damit meine wird deutlich, wenn wir Konfliktangebote mit Geschenkangeboten vergleichen: Wenn dir beispielswiese jemand zum Geburtstag voller Liebe und Leidenschaft eine Blumenvase schenkt, die bei dir jedoch statt Freude und Dankbarkeit eher eine Mischung aus Ekel und Entsetzen auslöst, wirst Du die Vase viel-leicht zunächst annehmen. Aber nicht wirklich. Solange „der mit dem fragwürdigen Geschmack“ noch da ist, wirst du sie vielleicht irgend-wo sichtbar abstellen, aber früher oder später wandert das uner-wünschte Teil in den Schrank oder du schenkst es weiter. (Von Kis-hon gibt es die herrliche Kurzgeschichte, bei der nach einem Jahr das einmal verschenkte Geschenk wieder bei der ersten Person an-kommt, nachdem es durch die gesamte Bekanntschaft jeweils weiter geschenkt wurde).

Es scheint offensichtlich vielen Menschen leichter zu fallen, ein ma-terielles Ding, in unserem Fall das Geschenk, nicht anzunehmen als immaterielle Dinge wie Worte, Stimmlagen oder Gesten. Die radikale „Dafür-stehe-ich-nicht-zur-Verfügung-Haltung“ versagt leider häufig bei kommunikativen Konfliktangeboten: Reizformulierungen („Du bist arrogant!“), lautes Schreien oder hochgezogene Augenbrauen schei-nen oft problemlos durch unser Netz an Abwehrmechanismen hin-durch zu diffundieren.
Meine Vermutung ist, dass das auch für dich gilt: Während du eine subjektiv als unpassend empfundene Blumenvase recht unaufwändig abwehren kannst, versagen deine Schutzschilder recht zuverlässig, wenn dein Gegenüber dich unerwünscht kommunikativ versorgt, um nicht zu sagen penetriert. Das vielleicht zunächst Überraschende: Für diese kommunikativen Übergriffe deines Gegenübers braucht es dein aktives Zutun! Die letztliche Störung im Sinne eines Konflikts entsteht also nicht durch die „Störungsanbieter“ (Dein Gegenüber als Sender) sondern durch dich als „Störungsannehmer“ (du als Emp-fänger). Denn die von außen auf dich eindringenden Signale können nur dann in deinem Garten die Blumen zertrampeln, wenn du das Gartentor (unbewusst) aufgelassen hast. Oder sogar (ungewollt) aufgemacht hast. Das Problem ist nicht der trampelnde Gartengast, das Problem ist dein unzureichend geschütztes Gartentor.

Wir halten fest. Von Natur aus gibt es keine Konflikte, nur Konfliktan-gebote. Es liegt allein an dir, ob du aus den zahlreichen Angeboten auch zahlreiche Konflikte machst. Entscheide bei jedem Angebot, ob du und warum es annimmst.

These 2: Es gibt günstigen und ungünstigen Ärger.

Günstiger Ärger ist jener Ärger, der dir hilft, dich in schwierigen Situ-ationen nicht zu verstecken, sondern entschlossen in Erscheinung zu treten. Du spürst Ärger meist dann, wenn wichtige Werte und dadurch deine Integrität in Gefahr sind. Der aufkommende Ärger übernimmt in diesen Momenten die Aufgabe, dich daran zu erinnern, dass etwas Wichtiges auf dem Spiel steht. Wenn also die Gefahr besteht, dass du etwas Wesentliches dauerhaft verlierst, dann hilft dir der Ärger in seiner günstigen Ausprägung, dich zu zeigen und dich zu behaupten. In dieser Funktion können wir den günstigen Är-ger als eine Art „Bio-Katalysator“ betrachten: eine natürliche Kraft-quelle zur Überwindung einer anfänglichen Hemmung.
Warum braucht es eine solche Aktivierungsenergie? Wer gegen Wi-derstände im Außen aufbegehrt, geht oft ein Risiko ein, nicht wahr-genommen oder sogar abgelehnt zu werden. Und diese Risikowahr-nehmung führt zu einem Angstempfinden. Ohne Ärger wärest du ge-schwächt, aufgeschmissen, blockiert, vielleicht sogar gelähmt. Der günstige Ärger hilft dir, Risiken einzugehen. Er tritt dir liebevoll in den Arsch, treibt dich und lässt dich denken: „So nicht, Freunde der Sonne, so nicht. Nicht mit mir!“
Worin unterscheidet sich der günstige Ärger vom ungünstigen Är-ger? Mit ungünstigem Ärger bezeichne ich zwei bestimmte Qualitäten von Ärger, und ich bin mir sicher, du kennst beide. Du kannst sie dir vorstellen wie die zwei Enden eines Kontinuums. An dem einen Ende steht die Haltung „Ich verstecke mich und meinen Ärger“. Im Außen gibt es eine aus Deiner Sicht unerwünschte Situation, nennen wir sie einen Zustand „inakzeptabler Ungerechtigkeit“. Du würdest gerne etwas sagen, aber du traust dich nicht. Oder du verdrängst die Wich-tigkeit und merkst erst später, dass du etwas hättest sagen wollen. Oder du schaust dich um und hoffst, dass ein anderer mutig genug ist, etwas zu sagen. Wieso auch immer du dich gerade zurückhältst, ein typischer Gedanke in so einem Moment könnte lauten: „Eigentlich müsste (mal) was gesagt werden, aber ich warte jetzt erst mal ab!“ Wer so denkt, verpasst oft das manchmal winzige Zeitfenster. Ich weiß, wovon ich rede.
Am anderen Ende steht: „Ich haue meinen Ärger einfach so raus, mir doch egal!“. Es sind die Momente, in denen wir den aufgestauten Är-ger nicht länger (aus-)halten können oder wollen und unkontrolliert ausflippen. Gerne auch zeitversetzt. Gerne auch vor „unschuldigen“ Dritten. Es sind jene Momente, in denen du kurz darauf oft Reue und Scham verspürst, weil nach deinem impulsiven Wutausbruch die Dinge nicht unbedingt besser geworden sind.
Wenn du dir diese beiden Enden des Ärgerbewältigungsspektrums anschaust, erkennst du die goldene Mitte. Es ist jene Stelle, an der dein Auftritt situationsgerecht passt. In einem passenden Moment mit passenden Worten den passenden Personen ein konstruktiv-wertschätzendes Feedback zu geben, das ist der Leitsatz dieses Mit-telpunkts. Und dieser Punkt markiert genau jenen günstigen Ärger, den ich oben beschrieben habe.

Wir halten fest: Zeitlich betrachtet durchläufst du drei Ärgermomente. Es beginnt mit dem Zeitraum für die erste Variante von ungünstigem Ärger (du unterdrückst deinen Ärger), der in günstigen Ärger über-geht (du drückst deinen Ärger wohlwollend-lösungsorientiert aus) und schließlich in die zweite Variante von ungünstigem Ärger übergeht (du erdrückst andere mit deinem Ärger). Auf dem Zeitstrahl: Vom Unterdrücken über das Ausdrücken zum Erdrücken – du hast die Wahl. Jedes Mal. Die Kunst ist es, den richtigen Zeitpunkt bzw. Zeit-raum zu erwischen. Wie das gelingen kann, erfährst Du in diesem Buch. Und das ist eine Ansage. Bei aller Bescheidenheit. Es gibt günstigen und ungünstigen Ärger. Günstiger Ärger ist dein notwen-diger Katalysator zur Selbstbehauptung, ungünstiger Ärger die reins-te Energie- und Zeitverschwendung. Finde den goldenen Mittelweg zwischen Schweigen und Schreien.

These 3: Konflikte sind nicht nervig oder lästig, sie sind vielmehr Chancen zur Persönlichkeitsentwicklung.

Du kannst dein ganzes Leben lang die anderen für dein Elend ver-antwortlich machen. Sätze wie: „Der da ist schuld, dass ich …“; „die hat mich …, und jetzt muss ich deshalb … „; oder auch „Wegen de-nen da muss ich jetzt ….“ Kommen dir vielleicht bekannt vor. Wenn es dir Freude macht und tatsächlich gut tut, die Ursachen deiner Lei-den immer wieder bei den anderen zu suchen, warum solltest du et-was ändern? Das Verführerische an dieser Strategie: Sie ist selbst-erhaltend. Wer es schafft, immer wieder die Schuld bei anderen zu suchen und zu finden, wird kaum einen Anreiz spüren, bei sich anzu-setzen. Warum der Frage nachgehen: „Und wie könnte ich dazu bei-getragen haben?“ oder auch: „Was könnte mein Anteil sein?!“ Im un-günstigen Fall käme noch raus, dass der Konflikt tatsächlich etwas mit dir zu tun hat. Und dann müsstest du am Ende noch dein Selbst-konzept ändern und das ideale bzw. idealisierte Bild, das du mühevoll in Jahre langer Arbeit von dir aufgebaut hat, bekäme Risse. Oder ginge im schlimmsten Fall sogar komplett in Flammen auf. Weil viele dieses Risiko scheuen, schauen sie oft nicht richtig hin. Schaust du richtig hin bzw. bist du bereit, richtig hinzuschauen?
Du hast also die Wahl: Entweder hältst du dich für unschuldig oder für teilschuldig bzw- -verantwortlich:

Haltung 1 ist für all jene geeignet, die Konflikte schnell vom Tisch haben wollen und sich nicht weiter entwickeln wollen, weil sie meinen, dass sie sich schon zu Ende entwickelt haben. Wer nicht mehr zur Schule, kann nichts mehr dazulernen. Leider weit verbreitet. Haltung 2 hingegen ist für „Selbstentwickler“, für alle, die wachsen wollen, weil sie erkannt haben, dass die Entwicklung mit der Schule und der Ausbildung nicht aufhört. Die spüren, dass in jeder Begegnung mit jedem Menschen neue Erkenntnisse winken, die inspirieren und aktivieren.

Wir halten fest: Konflikte sind nicht nervig oder lästig, sie sind vielmehr Chancen zur Persönlichkeitsentwicklung. In Wahrheit sind sie pure Geschenke. Wachse an dem, über den du dich ärgerst, statt ihn abzuwerten.

Schlusswort

Die drei Thesen zeigen: Es liegt zunächst allein an dir, ob du aus den zahlreichen Angeboten auch zahlreiche Konflikte machst. Betrachte dabei günstigen Ärger als Katalysator zur Selbstbehauptung und ungünstigen Ärger als Energie- und Zeitverschwendung. Und deute Konflikte prinzipiell um: Sie sind nicht nervig oder lästig, in Wahrheit sind sie einzigartige Chancen zur Persönlichkeitsentwicklung.

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