Dahin gehen, wo viele Menschen sind?

Ein verbreiteter Ratschlag beim Netzwerken ist, auf möglichst vielen Veranstaltungen zu tanzen. Überall wo Menschen sind, lassen sich Kontakte knüpfen – so die einhellige Meinung. Das ist auch richtig. Allerdings nur unter einer Voraussetzung …

Wenn ich Menschen kennenlernen will, muss ich sie treffen. Also ist jede Gelegenheit, bei der Menschen zusammenkommen, geeignet, Kontakte zu machen. Sportveranstaltungen, Konzerte, Reisegruppen, Lesungen, Bürgerversammlungen, Elternabende und Arbeitskreise, alles ist dafür geeignet. Und diese Veranstaltungen bieten außerdem die Möglichkeit, ganz einfach Kontakte mit Henkel zu bekommen. Die Veranstaltungen bieten nämlich ein Thema. Und alle, die hingehen, sind an diesem Thema interessiert. Und das ist der Henkel, den ich am Kontakt brauche, um zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich mit der Person wieder ins Gespräch kommen möchte, anzuknüpfen.

Es gibt eine entscheidend wichtige Voraussetzung, wenn man diese Art der Veranstaltungen, die ja in bestimmter Weise Freizeitcharakter tragen, für die Kontaktanbahnung nutzen will. Man muss sich selbst für das Thema interessieren! Wirklich! Nichts ist schlimmer, wenn einer der Besucher des Opernballs nur darauf aus ist, Leute anzusprechen und seine Visitenkarten zu zücken. Abgesehen davon, dass ein solches Verhalten ziemlich geschmacklos ist und nicht für gutes Benehmen spricht, wird diese Person auch sehr schnell isoliert sein. Und es geschieht ihr recht, denn Menschen wollen sich in ihrer Freizeit amüsieren, erholen und nicht belästigt oder genötigt werden. Kontakte mit Henkel, die möglicherweise auch zukünftig Bestand haben können, entstehen bei solchen Gelegenheiten nur dann, wenn ein echtes Interesse am Thema die beiden sich begegnenden Seiten verbindet. Wenn aus einer solchen Übereinstimmung, und nicht aus einer hintergründigen Absicht, ein Kontakt entsteht, dann kann sich daraus schnell eine richtige Beziehung entwickeln. Und damit sind wir schon im mittleren Kreis.

Beziehungen schaden nur dem, der keine hat!

Während man Kontakte bei fast allen Gelegenheiten bekommen kann, stellt sich das für die Entwicklung von Beziehungen etwas anders dar. Zwar gibt es die Fälle, bei denen sich zwei Menschen nur anschauen und sofort eine innige Verbindung spüren. Das nennt man Liebe auf den ersten Blick und fällt in den Intimbereich. Alle anderen Arten von Beziehung, seien es freundschaftliche oder professionelle, also die Beziehungen des mittleren Kreises, benötigen Inhalte. Das kann mit dem berühmten Henkel am Kontakt beginnen, bedarf dann aber einer ganz wesentlichen Zutat, nämlich der Kommunikation. Menschen müssen miteinander reden oder intensiven Schriftwechsel betreiben, um Beziehung aufzubauen. Das ist übrigens die wesentliche Essenz der Luhmann’schen Theorie sozialer Systeme: Kommunikation bildet das System. In unserem Falle also entsteht durch Kommunikation ein soziales System zwischen zwei Personen.

Wenn wir also Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen wollen, um irgendwann einmal eine tragfähige Sandwich-Connection zu haben, müssen wir Gelegenheiten für Gespräch suchen. Es gilt die Faustregel: Je mehr wir reden, desto mehr Beziehung entwickelt sich.

Damit meine ich nicht irgendwelches belangloses Gerede – dadurch wird nämlich nur Zeit verbraucht. Beziehung entsteht dadurch nicht, höchstens Abneigung. Belangloses Gerede finden wir beim sogenannten Small Talk und eben auch in den sozialen Medien. Das ist einer der Gründe, warum viele ernsthafte Menschen sich dort nicht einbringen, was ich persönlich schade finde. Beziehungen entwickeln sich durch inhaltliche Gespräche, indem man sich über gemeinsam interessierende Themen austauscht, durchaus auch streitet. Mit dieser inhaltlichen Seite der Kommunikation, des beziehungsbildenden Gesprächs, beschäftige ich mich im nächsten Kapitel. Hier soll es um die Gelegenheiten gehen, bei denen solche beziehungsbildenden Gespräche möglich sind.

Wenn wir uns umschauen, dann entdecken wir überall diese Gelegenheiten. Jeder Austausch zwischen Arbeitskollegen, der innerhalb, außerhalb oder zwischen den offiziellen Meetings stattfindet, ist eine solche Gelegenheit. Jedes Treffen im Freundeskreis kann Beziehungen entwickeln. Bei allen möglichen Gelegenheiten, vom Treffen eines Schachzirkels über die Gartenparty des Vereins bis zur Busreisegruppe, können beziehungsbildende Gespräche stattfinden.

Vor einigen Jahren war ich mit einer Reisegruppe – das Reisen in Gruppen ist normalerweise nicht meine Art, aber in diesem Ausnahmefall hatte es sich so ergeben – in Etappen per Bus unterwegs. Der Bus war gerade einmal zur Hälfte besetzt, sodass jeder Mitreisende einen Doppelsitz in Anspruch nehmen konnte. Bei der ersten Etappe hielt ich das genauso. Auf der anderen Seite des Ganges saß ein Mann und im Laufe der Zeit kamen wir ins Gespräch. Da ging es zunächst um das Land, in dem wir gerade unterwegs waren, um das nächste Reiseziel und so weiter. Am nächsten Tag saßen wir dann schon nebeneinander und unterhielten uns über alles Mögliche, von beruflich bis privat. Die Zeit ist halt lang bei so einer Busfahrt. Jedenfalls waren wir am Ende der Reise ziemlich gut übereinander informiert, hatten viele gemeinsame Interessen gefunden und beschlossen, uns bei nächster Gelegenheit mal zum Essen zu treffen. Das haben wir dann auch gemacht und auf diese Weise unsere Bekanntschaft fortgesetzt, vertieft und ausgebaut. Heute sind wir ziemlich eng befreundet, tauschen viele Gedanken und Ideen aus und helfen uns gegenseitig. Sandwich-Connection eben!

Damit beziehungsbildende Gespräche in Gang kommen, müssen drei Bedingungen erfüllt sein.

Erstens braucht es ein für alle interessantes Thema, denn sonst droht Small-Talk-Alarm.

Zweitens darf niemand die Unterhaltung dominieren, denn wenn nur einer oder eine redet, ist der andere still und das ist nun einmal kein Gespräch und keinesfalls beziehungsbildend.

Drittens gilt für beziehungsbildende Gespräche in Gruppenzusammenhängen, dass ein Moderator die zweite Bedingung – dass jeder zu Wort kommen kann – sicherstellen muss. In Privatrunden funktioniert das oft spontan, in beruflichen Zusammenhängen, mit einer größeren Neigung einiger Akteure zur Selbstdarstellung, muss dafür gelegentlich viel Aufwand getrieben werden.

Um Letzteres zu demonstrieren, hier ein kleines Beispiel: Einer meiner Freunde, nennen wir ihn Dieter, ist professioneller Netzwerker. Er veranstaltet in regelmäßigen Abständen Lunch-Treffen. Dazu überlegt er sich ein Thema und lädt aus seinem riesigen Netzwerk einen Keynote-Speaker ein. Dieser muss sich bereit erklären, das Thema in fünfzehn Minuten impulsgebend abzuhandeln – mehr Zeit bekommt er nicht. Dann beginnt Dieter mit der Auswahl der Teilnehmer. Sie ist alles andere als zufällig. Die Teilnehmer müssen natürlich Interesse für das Thema haben. Viel wichtiger ist es Dieter jedoch, dass sie als Personen zusammenpassen. Er entwickelt eine beträchtliche Fantasie, wer aus seinem eigenen Netzwerk vielleicht vom anderen etwas brauchen, jemandem etwas liefern oder ihn anderweitig unterstützen könnte. Und nach diesen Ideen stellt er den Teilnehmerkreis zusammen. Bei zwanzig Teilnehmern ist der Kreis geschlossen. Nichts geht mehr, keine Ausnahmen.

Dann beginnt die Veranstaltung und Dieter macht die einzelnen Personen miteinander bekannt. Niemand sagt etwas zu sich selbst, denn das birgt die Gefahr, dass einzelne Personen sehr viel Raum für sich beanspruchen und andere dafür nicht zu Worte kommen. Dieter unterbindet das, indem er die Vorstellung selbst übernimmt. Er macht das auf eine so charmante Weise, die nicht nur die Teilnehmer in ein interessantes Licht rückt, sondern auch zeigt, wie sehr sich Dieter mit jedem Einzelnen beschäftigt hat. Damit schafft er die Grundlage für die anschließenden Gespräche, die dann sehr schnell über das Veranstaltungsthema hinausgehen und mitunter überraschende Verbindungen schaffen. Man kann sich leicht vorstellen, dass im Laufe der Zeit ein ziemlicher Run auf diese Lunch-Veranstaltungen eingesetzt hat. Heute bewältigt Dieter vier bis fünf solcher Veranstaltungen pro Monat. Die Leute kommen, weil sie dort wirklich Beziehungen entwickeln können. Und für Dieter lohnt sich der Aufwand allemal.

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