Vertrauen – Die Grundvoraussetzung für Menschlichkeit in Organisationen

Unbestritten scheint, dass Vertrauen einen positiven Effekt auf Mitarbeiterbindung und Mitarbeiterengagement wie auch Arbeitsmotivation und Zufriedenheit hat und damit auch auf die individuelle und organisationale Performance.

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Wenn Menschen aus neurobiologischer Sicht eine Tendenz zu einem kooperativen Verhalten zeigen, dann scheint Vertrauen ein Teil des notwendigen Kontextes zu sein, damit Menschen dem inhärenten Wunsch nach Kooperation und damit auch sozialer Eingebundenheit nachkommen können. Vertrauen ist in diesem Sinn keine Fähigkeit, die den Menschen allein auszeichnet, doch ist Vertrauen die Grundlage, auf der sich eine Kultur der Menschlichkeit entfalten kann.

Vertrauen im Organisationskontext ist wissenschaftlich betrachtet ein weites Feld. Hier geht es aber weniger um eine tiefe akademische Auseinandersetzung des Begriffs und Konzepts von Vertrauen als um die Suche nach einem pragmatischen und dennoch fundierten Ansatz und Verständnis, wie Vertrauen entsteht und welche Auswirkungen Vertrauen hat. Pragmatisch unterscheiden wir zwischen Erfüllungsvertrauen und Psychologischem Vertrauen.

Erfüllungsvertrauen und Psychologishches Vertrauen

Erfüllungsvertrauen ist als eine Eintrittswahrscheinlichkeit zu verstehen, mit der eine andere Person ein bestimmtes Verhalten, ein Versprechen oder eine getroffene Abmachung einhält (Gambetta 1988). Eine andere Qualität des Vertrauens beantwortet die Frage, ob man der Person als Mensch vertraut, was wir Psychologisches Vertrauen nennen.

Die wegweisenden Arbeiten von Mayer, Davis und Schoormann (1995) weisen darauf hin, dass Vertrauen vor allem aus der Beziehungserfahrung entsteht. Dabei spielen drei Aspekte in der Einschätzung desjenigen, dem man vertraut, eine Rolle:

  • Wie werden die Fähigkeit und das Können der Person eingeschätzt (Erfüllungsvertrauen)?
  • Wie wird das Wohlwollen der Person eingeschätzt (psychologisches Vertrauen)?
  • Wie wird die Integrität der Person eingeschätzt (psychologisches Vertrauen)?

Integrität bedeutet, dass man davon ausgeht, dass die zu vertrauende Person einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat und dass sie kongruent handelt, also das tut, was sie sagt. Denn letztlich brauchen wir nur dann Vertrauen, wenn wir ein Risiko eingehen. Wenn mein Handeln kein Risiko mit sich birgt, kann ich Vertrauen haben, muss ich aber nicht. Unter Risiko wird verstanden, dass eine Person sich durch den Akt des Vertrauens vulnerabel macht, also verwundbar oder angreifbar. Das bedeutet aber auch, dass wenn wir Vertrauen erleben, die menschlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, sozialer Eingebundenheit und Respekt erfüllt werden – alles Voraussetzungen, die dazu führen, dass Menschen aus rein neurobiologischer Sicht in einen kooperativen, motivationalen Zustand kommen. Aus dieser Sicht scheint Vertrauen eine Voraussetzung zu sein, eine Kultur zu schaffen, in der Menschen sich entfalten können. Wenn eine Kultur der Menschlichkeit Persönlichkeitsentwicklung als wichtig erachtet, dann müssen die Mitarbeitenden darauf vertrauen, dass sie sich in einem sicheren Raum bewegen, in denen ihnen mit Wohlwollen und Integrität begegnet wird. Andernfalls würden sie das Risiko, sich zu öffnen und damit verletzlich zu zeigen, nicht eingehen.

Due Qualität des Vertrauen bezeichneit die Psychologische Sicherheit

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Diese Qualität des Vertrauens bezeichnet die Harvard-Professorin Amy Edmondson im organisatorischen Kontext mit Psychologischen Sicherheit. »Psychological safety is a sense of confidence that the team will not embarrass, reject, or punish someone for speaking up« (Edmondson 1999: 354). Psychologische Sicherheit zeigt sich in einem Team dann, wenn die Mitglieder bereit sind:

  • Schwäche zu zeigen (Fehler einzugestehen, Unwissenheit zuzugeben, um Hilfe bitten et cetera).
  • in Auseinandersetzung zu gehen und das zu sagen, was sie für richtig und bedeutsam halten (Kritik zu äußern, beziehungsweise den Status quo auch über Hierarchiegrenzen hinweg zu hinterfragen).

Immer dann, wenn sich Menschen tendenziell wirkungsorientiert verhalten, ist wenig Psychologische Sicherheit vorhanden. Wirkungsorientiert bedeutet, dass Mitarbeitende das, was sie für bedeutsam, richtig und wahr halten, nicht sagen, weil sie negative Konsequenzen fürchten (Hoffmann und Hanisch 2021).

Wer hat nicht schon einmal solche oder ähnliche Erfahrungen gemacht, dass in Projektsitzungen, Timelines abgenickt werden, die praktisch keiner für realistisch hält, aber keiner sich traut, dies zu äußern. Allenfalls beim Verlassen des Besprechungsraum und im anschließenden Mittagessen mit den Kollegen schüttelt man den Kopf über so viel Irrationalität. Ein Klient erzählte uns, dass er am Anfang in seiner neuen globalen Rolle tatsächlich einmal in der oben beschriebenen Situation die Frage aufgeworfen hätte, wie realistisch die vorgeschlagene Einschätzung wäre. Darauf wurde ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er offenbar seinen Bereich nicht im Griff habe, wenn er nicht in der Lage wäre, den Zeithorizont einzuhalten. Solche Aussagen zerstören Psychologische Sicherheit.

In ihrem Buch »An everyone culture« von Kegan und Lahey (2016: 1) konstatieren die beiden Autoren gleich zu Beginn, dass die meisten Menschen in ihren Organisationswelten noch einen zweiten Job machen, für den sie nicht bezahlt werden, der aber viel Zeit und Energie kostet: In der Hoffnung und im Versuch, ihre Schwächen, Unsicherheiten und Fehlerhaftigkeiten (die jeder Mensch hat) zu verbergen, betreiben viele Mitarbeitende (vom Arbeiter bis zum Top Manager) Impression-Management, in dem sie sich möglichst unangreifbar, überlegen und souverän zeigen. So versuchen die Mitglieder der meisten Organisationen möglichst ihr wahres Innenleben und auch Erleben, also ihren Ich-Raum – zumindest in Situationen der Unsicherheit – zu verbergen. Schlimmstenfalls versuchen sie eher, wenn sie bestimmten Entscheidungen nicht zustimmen, die persönliche Überzeugung mittels politischen Spielchens oder auch Gerede hinter dem Rücken durchzubringen, als dass sie den Mut aufbringen, direkt in eine Auseinandersetzung zu gehen. Bestenfalls zeigen sie ein Verhalten, dass man sozialen Konformismus nennt, also eine Tendenz, dass sich Gruppenmitglieder so verhalten, wie sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird (Hoffmann und Hanisch 2021: 4).

Psychologische Sicherheit weist also auf ein gruppendynamisches Erleben hin. Nicht ein Einzelner vertraut einem anderen, sondern ein Einzelner vertraut der Gruppe, dass die vorgebrachten Anliegen, wertschätzend und wohlwollend aufgenommen werden. Der Fragebogen, mit dem Psychologische Sicherheit in Team erfasst wird, unterstreicht diesen gruppendynamischen Aspekt (Edmondson 1999).

Kommunikation auf Augenhöhe braucht Psychologische Sicherheit

Psychologische Sicherheit führt also dazu, dass Kritik auch über Hierarchiegrenzen hinweg und Kommunikation auf Augenhöhe möglich wird. Der Wunsch und die Forderung nach Kommunikation auf Augenhöhe begegnet uns in unserer beraterischen Praxis immer öfter. Dabei werden die Herausforderungen einer solchen Kommunikation von vielen massiv unterschätzt, weil in jeder Beziehungsgestaltung die Verteilung von Macht und die Ausprägungen des Ranges einen Einfluss auf die Kommunikation haben. Beide Begrifflichkeiten, Rang und Macht, hören sich möglicherweise für viele nicht mehr zeitgemäß an. Aber es wäre vermessen und auch naiv, etwas Faktisches zu leugnen, was in Beziehungsgestaltungen eine Rolle spielt. Grundsätzlich zeigt sich der Rang in drei Ausprägungen, wobei die beiden ersten eher äußerlich sichtbar und faktisch sind und der letzte weniger offensichtlich und im ersten Moment weniger einflussreich erscheint: (1) Sozialer Rang, (2) Struktureller Rang, (3) Psychologischer und Spiritueller Rang.

Sozialer Rang beschreibt den sozialen Status innerhalb einer Gesellschaft. Je nach betrachteter Gesellschaft können andere Aspekte den sozialen Status definieren, aber in aller Regel sind das vor allem Beruf, Ausbildung, ökonomische Situation, wie auch Herkunftsfamilie (neureich, adelig, Arbeiterfamilie, Professorenfamilie). Darüber hinaus spielen meist Alter, Gesundheit, Gender, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, aber auch in bestimmten Gesellschaften Religionszugehörigkeit eine Rolle.

Struktureller Rang bezieht sich auf die Position, die eine Person in dem betrachteten System einnimmt. Ein GL-Mitglied hat einen höheren strukturellen Rang als Abteilungsleitende oder Mitarbeitende. Lehrer haben einen höheren sozialen Rang als ihre Schüler. Häufig, aber nicht immer, sind sozialer und struktureller Rang gekoppelt. Es kann aber auch sein, dass die vorgesetzte Person aus einfacheren Verhältnissen kommt oder einen geringeren Bildungsabschluss hat als der Mitarbeitende.

Psychologischer und spiritueller Rang beschreibt das innere Selbstbewusstsein einer Person, unabhängig vom strukturellen und sozialen Rang. Es gibt Menschen, die sehr in sich ruhen und mit sich und der Welt zufrieden sind. Häufig ist dieser Zustand das Ergebnis eines fordernden inneren (psychologischen) Prozesses. Der Dalai Lama wäre ein Beispiel für eine Person mit einem hohen psychologischen und spirituellen Rang. Aber es können auch Menschen sein, die gar nicht in der Öffentlichkeit stehen und auch sonst keine besondere Rolle einnehmen.

Wir sind der Meinung, dass der Rang so etwas wie der Elefant im Raum ist. Er ist wirksam, mächtig und wird ungern benannt, weil wir gerne so tun, als hätte das alles keine Auswirkungen auf uns sowie auf die Beziehung und die Kommunikation. Dabei wird ebenso häufig übersehen, dass mit dem jeweiligen Rang auch bestimmte Privilegien verbunden sind. Häufig sind diese Privilegien so selbstverständlich, dass der sich daraus ergebende Vorteil für die Person gar nicht bewusst ist. Dagegen nehmen Menschen, die einen Rang nicht haben, die damit verbundenen negativen Auswirkungen oder mangelnden Privilegien viel stärker wahr.

Gerade im Organisationskontext sind vor allem die strukturellen Ränge sehr offensichtlich. Ob Kommunikation auf Augenhöhe gelingt, ist daher eine Gestaltungsaufgabe, die insbesondere von der Person wahrgenommen werden muss, die den höheren Rang einnimmt. Viele Führungskräfte sind zu wenig achtsam, wie sehr ihre Rolle und damit ihr Rang einschüchternd wirkt. Ein guter Gradmesser, ob Kommunikation auf Augenhöhe gelebt wird, ist der Reversibilitätstest (Wolf und Jiranek 2016: 69). Dabei stellen Sie lediglich folgende Frage: Kann das, was A zu B sagt, auch sanktionsfrei und genauso selbstverständlich B zu A sagen?

Zurückkommend auf die Frage, was Menschlichkeit in Organisationen bedeutet, ist die Antwort hier: Das Gefühl nach Gleichwertigkeit ist ein tiefes menschliches Bedürfnis und umschließt die Würde des Menschen. Psychologische Sicherheit schafft einen Kontext, in dem Kommunikation auf Augenhöhe über Hierarchieebenen und unterschiedlichen Rollen hinweg möglich wird. Organisationsweit wird das aber nur gelingen, wenn durch entsprechend institutionell verankerten Regeln, Gebote, Kommunikations-, Führungskräfte- und Achtsamkeits-Trainings eine Kultur gestaltet wird, mit denen die Menschen – und zwar sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte – auch die Kompetenzen erwerben, solche psychologisch sicheren Räume zu gestalten.

Psychologische Sicherheit ermöglicht Persönlichkeitsentwicklung

Wenn wir Vertrauen im Organisationskontext als Psychologische Sicherheit verstehen, dann entsteht ein Raum, in dem Kritik geäußert und Fragen gestellt werden dürfen. Die Glaubwürdigkeit steigt, wenn Fehler zugegeben werden – unabhängig von der Rolle und der hierarchischen Position. Interessanterweise hat Edmondson festgestellt, dass Teams mit hoher Psychologischer Sicherheit sogar eine höhere Fehlerquote aufweisen, aber nicht, weil sie mehr Fehler machen, sondern weil sie bereit sind, die Fehler offenzulegen, um daraus zu lernen. Insgesamt spielt das Konzept der Psychologischen Sicherheit für die Gestaltung von Lernräumen eine wichtige Rolle (Meyer, Wrba und Bachmann 2018: 194). Dabei ist interessant, dass Psychologische Sicherheit allein nicht zu einem produktiven Zustand des Lernens führt, sondern nur dann, wenn die Teammitglieder auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

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