Vergiftete Angebote

Werte stehen im Mittelpunkt. Moderne Organisationen organisieren sich drum herum. Eventuell darf in die Nähe des Epizentrums noch so etwas wie Rendite, kulturelle Freiheit, Eigenverantwortung. Ganz gleich wie! Gesteuert wird mit Sinn. Doch dieses New Work nervt. Wir brauchen einen Chef, der entscheidet. PUNKT! So wissen wir alle, woran wir sind. Und woher soll eigentlich die Zeit für die ganzen Veränderungen kommen? Wir haben jetzt schon zu viel zu tun. Da ist kein Platz für ein neues Führungsluftschloss.

„Werte total!“ Moderne Organisationen stellen die Werte in ihren Mittelpunkt. Bestenfalls beide, die messbaren wie Umsatz, Rendite oder Fluktuation und die kulturellen wie Freiheit, Eigenverantwortung oder Kreativität. Egal wie, auf jeden Fall steuern wir uns künftig mit Sinn. New Work geht mir auf den Geist. Ich will einen Chef, der entscheidet. PUNKT! So wissen doch alle, woran sie sind. Woher soll eigentlich die Zeit für die Veränderung kommen? Ich hab jetzt schon zu viel zu tun. Da passt dieses neue Führungsluftschloss keinesfalls mehr rein.

Gute Transformationen beginnen mit Misstrauen

Unsere besondere Situation bringt Firmen ins Nachdenken. Einige davon entdecken beim sprichwörtlichen Blick in den Spiegel, dass sie vom Weg abgekommen sind. Ihre Führung ist weder Fisch noch Fleisch. Wo früher Disziplin und Ordnung wertgeschätzt wurde, trifft heute Hedonismus auf Spätpubertät. Da riechen die wohlfeilen Versprechen der neuen Arbeit faulig und verdorben. Beim Einstieg mit Kunden habe ich oft die Gelegenheit, persönlich mit Mitarbeiter:innen zu sprechen. Für einige von ihnen sind meine Worte bestenfalls vergiftete Angebote. Als ich diesen Ausdruck zum ersten Mal hörte, wurde ich hellhörig. Ich fragte nach: „Was meinst Du damit?“ Die Antwort war ein Offenbarungseid:

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„Naja, bei uns traut keiner keinem über den Weg. Ich meine, schon zwischen den Kollegen gibt es kaum Vertrauen. Und zur Führung, mit der du redest, noch weniger. Jetzt kommst du daher und erzählst uns was von Angeboten zur Beteiligung. Der Sicherheit, mitgestalten zu können. Ich hör da zuerst mal Gruppendruck. Klingt super, ist aber totaler Mist. Ein von vorne herein vergiftetes Angebot eben.“

Es gibt keinen Vertrauensvorschuss

In vielen Veränderungsvorhaben sprechen die Führungskräfte und wir Berater gern davon, was der Belegschaft zuzutrauen ist. In den vergangenen zwanzig Jahren hörte ich dazu häufig: „Es geht kaum ohne einen Vertrauensvorschuss von uns an die Kolleginnen. Den müssen wir ihnen geben.“

Ganz ehrlich, das halte ich inzwischen für eine toxische Anmaßung. Andersherum wird ein Schuh daraus. Wer ernsthaft grundlegende Veränderungen erreichen möchte, sollte sich anstrengen, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu gewinnen. Diese Arbeit liegt bei den heute Führenden und kaum in der Belegschaft. So antwortete ich dem Kollegen von oben:

„Ich nehme mit, dass wir dir erst einmal zeigen müssen, wie ernst wir es meinen. Ich freue mich, wenn du so lange da bleibst, dass wir das gemeinsam prüfen können.“

Danach erklärte ich ihm offen, was ich die nächsten Wochen in seiner Firma begleiten werde und was nicht. Und wir vereinbarten uns lose auf ein erneutes Treffen in vier Monaten, um drauf zu schauen, ob die Führung zusammen mit mir liefern konnte. Doch was wollen wir eigentlich liefern?

Beteiligung ist kein Schlaraffenland

Viele sprechen im Zusammenhang mit neuen Arbeitswelten von der Kraft der Mitarbeiterbeteiligung. Das Versprechen, durch sie werden die Mitarbeitenden selbstwirksam. Doch ist es so einfach? Kürzlich rief mich der Geschäftsführer einer Beratungsfirma an. Vor über zwei Jahren moderierte ich einen Workshoptag in seiner Firma. Damals ging es um die Frage, wie sich seine Belegschaft besser einbringen konnte. Im Nachgang entwickelten die Kolleg:innen ein neues Gehaltssystem. Außerdem gestalteten sie das Vorgehen bei Neueinstellung um. Die Krönung der Beteiligung war sicherlich der frisch ausgeklügelte Vertriebsprozess. Er beinhaltete Kundensegmentierung. In ihm gibt es verschiedene Angebotspfade. Die Mitarbeiter beschrieben zudem ihre Wunschaufträge. All das erklärte mir der Eigentümer. Und schloss seine Ausführungen mit dem Vorwurf:

„Das haben die alles ohne mich gemacht. So weit so gut. Dann gab es dieses Jahr die Gelegenheit, ein eigenes Produkt zu entwickeln. Ich sagte, lasst es uns tun. Sie lehnten samt und sonders ab. Da gründete ich kurzerhand eine andere Firma dafür. Eine, die ich klar hierarchisch führe. Ich entscheide alles. Jetzt, am Ende des Jahres, macht die Beraterfirma mit der ganzen Selbstbeteiligung ein sattes Minus. Das was sie da entwickelt haben, geht einfach am Markt vorbei. Und die Produktfirma? die macht gleich im ersten Jahr einen satten Gewinn. Da wollte ich mal von dir wissen, was du dazu sagst?“

Ich musste schmunzeln. Schon früher wollte er immer Beweisen, wo ich mir zu viel von den Menschen verspreche: „Was willst Du von mir hören?“ Er platzte heraus: „Na die ganze Einbeziehungschose ist damit nachgewiesenermaßen weltfremd! Das ist doch jetzt wohl klar.“

Ich wusste noch zu wenig und fragte weiter: „Stehen sie für den Verlust gerade?“ Er zögerte:„Wie? Nein, natürlich fange ich ihre Miesen über den Gewinn der anderen Firma auf. Ich riskier ja wohl nicht meine Firma!“ Dann ergänzte er: „Aber nur als Kredit, das sag ich dir.“

Die Erkenntnis klingt vielleicht erst einmal schräg, doch die Mitarbeiter haben Recht, diesem Chef zu misstrauen. Sie durften sich eigenmächtig an internen Fragestellungen abarbeiten. Dennoch bleibt die Konsequenz ihres Tuns aus. Papa erspart ihnen, die negativen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auszuhalten. Er hält seine schützende Hand über sie und erklärt überspitzt formuliert: „Sie sind doch nur Kinder.“ Diese Beteiligung ist genau das, was der Kollege von oben meinte – ein vergiftetes Angebot. Wann also funktioniert Selbstwirksamkeit?

Es geht um Erwachsensein

Bemühen wir hier mal den Schenkelklatscher: Das Leben ist kein Ponyhof. Ich erfahre dann etwas über mich, wenn mir die Wirkung meines Tuns gespiegelt wird. Für meine Weiterentwicklung ist dabei ausschlaggebend, dass der Spiegel so offen und ehrlich ist, wie möglich. Dadurch gehe ich künftig sinnvoller mit meinen Gestaltungsmöglichkeiten um. Ich sollte also jedem misstrauen dürfen, der das Spiegelbild verzerrt. Erst recht, wenn er/ sie es gut meint.

Sie gewinnen das Vertrauen ihrer Belegschaft, sobald sie anfangen tatsächlich mit offen Karten zu spielen. Im Guten, wie im Schlechten. Dann funktioniert Beteiligung. Dann wird Ihre Firma selbstwirksam. Dann machen Sie ein durch und durch gesundes Angebot.

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