Sieben Regeln für erfolgreiche Einstellungsinterviews

Schon so mancher Bewerber hat sich nach einem Vorstellungsgespräch verwundert die Augen gerieben – vor allem dann, wenn er den Zuschlag für den Job bekommen hat. Da hat doch der Personaler die ganze Zeit über Vorzüge der Kantine referiert, sein Mitarbeiterentwicklungsprogramm gelobt und das Firmen-Yoga gepriesen. Nur eins hat er versäumt: Dem Bewerber die richtigen Fragen zu stellen und vor allem die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Dabei ist ein informatives und zielführendes Einstellungsinterview gar nicht so schwer.

Niemand ist ein Menschenkenner

Diese einfache Regel meint, dass wir uns nicht selbst überschätzen und unserer Intuition nicht vertrauen sollen, die uns ab und zu einmal sagt, dass wir nach 3 Minuten schon wissen, wer unser Gegenüber ist. Menschen bilden sich innerhalb der ersten 30 Sekunden ein Urteil über einen bis dahin fremden Menschen. Nach 30 Sekunden haben wir unser Gegenüber eingeschätzt und in eine Schublade gesteckt. Gerade in Personalauswahlsituationen führt dies natürlich zu fatalen Einschätzungen und Bewertungsfehlern. Hier sind wir gefordert, uns offen zu halten und Informationen bewusst und interessiert aufzunehmen und nicht zu schnell abschließende Urteile zu fällen. Ist unser erster Eindruck nach 30 Sekunden oder vielleicht auch nach 3 Minuten gebildet, wirkt der bereits erwähnte Aspekt der Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler. Laut diesem neigen wir dazu, nur die Informationen aufzunehmen, die zu unserer gefassten Meinung passen. Die Regel „Niemand ist ein Menschenkenner“ soll Ihnen sagen, dass Sie sich Zeit für Personalauswahlgespräche nehmen müssen. 30 Minuten reichen nicht aus, um einen Menschen kennenzulernen. Wenn Sie ein einfaches Interview führen, dann sollten Sie ein bis zwei Stunden hierfür einplanen. Darüber hinaus ist es wichtig, mit einer offenen, neugierigen Grundhaltung auf den Kandidaten zuzugehen.

Gehen Sie hypothesengeleitet vor

Die Regel „Gehen Sie hypothesengeleitet vor“ sagt uns, dass wir mit einer sogenannten Null-Hypothese in ein Bewerbungsgespräch hineingehen sollen. In der Regel bilden wir uns bei der Durchsicht der Bewerbungsunterlagen eine Meinung. Manchmal schauen wir Unterlagen an und denken: „Naja, vielleicht. Schauen wir uns im Gespräch mal an“, manchmal denken wir aber auch: „Wow. Der/Die ist bestimmt der/die richtige Kandidat/in“. Nach dieser Meinungsbildung tritt wieder die Gefahr von Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehlern auf, das heißt, wir versuchen wieder unsere einmal gebildete Meinung zu bestätigen. Wenn wir mit der Hypothese in ein Bewerbungsgespräch gehen: „Der/Die ist es auf jeden Fall“, geben wir dem Bewerber gegebenenfalls zu viel Vorschusslorbeeren, überhören unkritische Sachen, die überhaupt nicht zur ausgeschriebenen Position passen und überbewerten die scheinbar passenden Aussagen des Kandidaten. Gehen Sie hypothesengeleitet und mit einer Null-Hypothese vor, heißt, wenn Sie mit der Grundhaltung: „Beweis mir, dass du der/die Richtige bist“ in ein Bewerbungsgespräch gehen, verringern Sie die Gefahr in eigene Wahrnehmungs- oder Beurteilungsfallen zu tappen.

Nutzen Sie Messwiederholungen

Studien haben gezeigt, dass ein einfaches Interview kaum eine verwertbare Vorhersagekraft für den beruflichen Erfolg des interviewten Bewerbers hat. Der Zusammenhang zwischen der Aussage des Interviews und dem tatsächlichen später eingetretenen beruflichen Erfolg war fast null. Abbildung 6 gibt das Maß der Vorhersagegüte unterschiedlicher Auswahlverfahren für den späteren tatsächlichen beruflichen Erfolg wieder.

Eingesetztes Verfahren   Vorhersagegüte*
Ein Interview, rein sprachliche Ebene
(Quote kann durch Leitfäden [Struktur] oder praktische
Übungen [situativ] verbessert werden)
.15
Tests.35-.50
Mehrere (5) Interviews, durchgeführt von
verschiedenen Interviewern    .
.50-.70
Assessment-Center.45-.70
Nach Ablauf der Probezeit.68
  

Die in der Abbildung aufgeführten Zahlen machen deutlich, dass, je mehr Eindrücke wir von einem Kandidaten gewinnen, desto besser auch unsere Auswahlentscheidung wird. Sicherlich wird bei einem sehr erfahrenen Interviewer auch ein Einzelinterview in seiner Vorhersage-Qualität besser, aber ob es die Güte von mehreren Interviewern, Assessment-Centern oder auch der Probezeit erreicht, bleibt fraglich. Das heißt, für Sie ist es wichtig, Ihren Auswahlprozess so zu gestalten, dass Sie möglichst mehrere „Messzeitpunkte“ mit dem Bewerber haben. Dies können Sie über mehrere Gespräche erfüllen, aber natürlich auch über mehrere Interviewer in einem Gespräch, genauso wie bei der Nutzung verschiedener Auswahlbausteine oder eines Assessment-Centers. Grundsätzlich haben Sie schon mehrere Messzeitpunkte, wenn Sie

  • die Auswertung der Bewerbungsunterlagen vornehmen,
  • ein Telefoninterview führen,
  • ein erstes Interview mit zwei Interviewern
  • und ein zweites Interview mit zwei Interviewern nehmen.

Wenn Sie so vorgehen, werden Sie eine relativ hohe Treffsicherheit in Ihren Personalauswahlentscheidungen haben. Verbessern können Sie diese noch, indem Sie ein Assessment-Center nutzen.

Bleiben Sie im Bedeutungswald der Bewerber

Mit dem Bedeutungswald der Bewerber ist gemeint, dass Sie mit Bewerbern über die Dinge reden sollen, zu denen die Bewerber schon eigene Erfahrungen sammeln konnten. Stellen Sie sich vor, Sie wählen einen Hochschulabsolventen für Ihr Trainee-Programm aus und Sie wissen genau, dass der Trainee im Rahmen des Programms in Projekten arbeiten muss. Jetzt formulieren Sie Fragen zur Projektarbeit, um zu erfahren, wie er damit umgehen würde. Dieser Trainee, der von der Hochschule kommt, hat noch nie in Projekten gearbeitet, das heißt, das, was er Ihnen jetzt erzählen wird, über sein Verhalten und seine Arbeit in Projekten, entspringt allein seiner Fantasie und beruht nicht auf realen Erfahrungen. Von seinen Erfahrungen, seinem tatsächlichen Handeln, seinen Erfolgen oder Misserfolgen, kann jemand nur erzählen, wenn Sie Fragen zu den Bereichen, Kompetenzfeldern und Aufgaben stellen, die er tatsächlich schon wahrgenommen hat. Einen Hochschulabsolventen sollten Sie also tunlichst nach Erfahrungen mit Hausarbeiten, Studienarbeiten oder Ähnlichem fragen, aber nicht nach Projekten und anderen Aufgabenfeldern, in denen er noch keine Erfahrungen sammeln konnte. Versuchen Sie Ihre Fragen auf die für den Bewerber bekannten Lebens- und Arbeitsbereiche umzuformulieren.

Beachten Sie die schwer veränderbaren Persönlichkeitsmerkmale

Es gibt einen sehr schönen Satz, der aussagt, dass wir Menschen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen einstellen, aber uns aufgrund ihrer persönlichen Merkmale wieder von ihnen trennen. Im betrieblichen Alltag hat dieser Satz eine hohe Wahrheit. Wenn es zur Trennungsentscheidung kommt, ist diese in der Regel in der Persönlichkeit des Mitarbeiters begründet, der nicht in das Team, nicht zur Führungskraft, nicht zum Unternehmen passt. Das heißt, im Personalauswahlprozess ist es von besonderer Bedeutung, auf die schwer veränderbaren Persönlichkeitsmerkmale von Bewerbern einzugehen, hier möglichst viele Informationen zu gewinnen, um eine gute Entscheidung treffen zu können. Abbildung 7 zeigt die Kompetenzpyramide, deren Fundament die schwer veränderbaren Persönlichkeitsmerkmale mit Werten und Motiven bilden.
Bei der Auswahlentscheidung können Sie Kompromisse im Bereich des Wissens der Kandidaten und im Bereich der Verhaltenskompetenzen der Kandidaten eingehen. Beide Bereiche sind trainierbar, am leichtesten der Wissensbereich, aber auch Verhaltenskompetenzen können mit einem etwas höheren zeitlichen Aufwand trainiert werden. Nicht veränderbar sind dagegen die Persönlichkeitsmerkmale. Selbstverständlich kann ein Mitarbeiter ein anderes als seiner Persönlichkeit entsprechendes Verhalten zeigen. Dies wird aber nicht zu einer langfristig zufriedenstellenden Leistung und Zufriedenheit des Mitarbeiters führen. Früher oder später wird der Mitarbeiter die durch seine bewusste Verstellung erzeugte Belastung massiv spüren und unzufrieden werden und das Unternehmen verlassen. Zu dem Gesichtspunkt der Mitarbeiterbindung ist die Passung der Persönlichkeitsmerkmale ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Um diese Persönlichkeitsmerkmale zu erkennen, können Sie zum einen Persönlichkeitstests nutzen, aber Sie können auch Ihr Frageverhalten darauf ausrichten, mit dem Kandidaten mehr über diese Aspekte zu sprechen. Informationen hierzu finden Sie im nächsten Absatz und in Kapitel 4 Fragen über Fragen ab Seite 89.

Vom Episodischen zum Selbstreflektorischen

In Personalauswahlgesprächen können Sie häufig beobachten, dass viel über Situationen und gegebenenfalls Verhaltensweisen mit Kandidaten gesprochen wird. Was bei einem Informationsaustausch auf diesen Ebenen nie offengelegt wird, sind Motive oder auch Persönlichkeitsmerkmale der Kandidaten. Sie erfahren vielleicht noch etwas über Verhaltenskompetenzen, aber warum ein Kandidat sich so verhält oder warum ihm bestimmte Dinge wichtig sind, erfahren Sie nicht. Diese Aspekte sind aber leistungs- und bindungsrelevant. Das in Abbildung 8 auf der folgenden Seite gezeigte Fragendreieck steuert Ihr Frageverhalten so, dass Sie auch bis zu den Persönlichkeitsmerkmalen vordringen können.
Wenn Sie einen bestimmten Kompetenzbereich eines Kandidaten kennenlernen wollen, beginnen Sie ihn zu fragen, ob er eine entsprechende Situation bereits kennengelernt hat, zum Beispiel: „Welche Situationen gab es, in der Sie Konflikte mit Kollegen hatten?“. Hören Sie sich die Ausführungen des Kandidaten an, wenn er Situationen beschreibt, und wählen Sie eine dieser Situationen aus. Nutzen Sie dann Stufe 2 im Fragendreieck und fragen Sie nach dem konkreten Verhalten des Kandidaten, zum Beispiel: „Was genau haben Sie getan, um den Konflikt zu lösen?“. An dieser Stelle kommt eine weiter oben beschriebene Kompetenz zum Tragen, die des Nachfragens. Geben Sie sich nicht zu schnell mit den Antworten der Kandidaten zufrieden, sondern fragen Sie so lange nach seinem Verhalten, bis Sie wirklich einen guten Eindruck davon erhalten haben. Haben Sie verstanden, wie der Kandidat sich verhalten hat, dann wechseln Sie zum nächsten Schritt, dem selbstreflektorischen Fragen. Hierbei geht es darum zu erfahren, warum der Kandidat sich so verhalten hat, was er damit erreichen wollte und warum ihm dieses Verhalten wichtig war und welche Erfolge er damit erreichen konnte. Mit selbstreflektorischen Fragen wollen Sie erreichen, dass der Kandidat über sich, sein Verhalten und seine Beweggründe nachdenkt und Ihnen diese mitteilt, damit Sie etwas über seine Motivation und Persönlichkeit lernen. Weiterführende Fragen zu den selbstreflektorischen Fragen finden Sie in Kapitel 4 Fragen über Fragen ab Seite 89.

Nicht nur reden, sondern zeigen lassen

Bewerbungsgespräche sind dadurch gekennzeichnet, dass wir mit den Kandidaten über deren Verhalten, deren Meinung, deren Wünsche reden. Alle, die ein paar Jahre im Berufsleben sind, haben bereits erfahren, dass zwischen Reden und Handeln durchaus größere Unterschiede bestehen können. Verbal äußern wir Meinungen, Ansichten, Verhaltenskompetenzen oder auch persönliche Kompetenzen, die nicht unbedingt mit unserem realen Verhalten übereinstimmen müssen. Dies ist auch in Bewerbungssituationen so. In einem Auswahlgespräch reden Sie immer nur über den Kandidaten. Wie er sich wirklich verhält, erfahren Sie aber nicht. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, Kandidaten im Auswahlinterview auch durchaus mal zum Handeln zu bekommen. Das heißt, Sie können in jedes Interview auch sogenannte situative Bausteine einbauen. Ein situativer Baustein kann ein kurzes Verkaufsgespräch, ein kurzes Mitarbeitergespräch, ein Kollegengespräch oder Ähnliches sein. Insbesondere Gesprächssituationen lassen sich wunderbar und sehr leicht in Auswahlinterviews einbauen. Sie können Ihren Bewerber aber auch mit anderen Aufgabenstellungen wie analytischen Fragestellungen, unternehmensbezogenen Fragestellungen, kleinen Präsentationssituationen oder Ähnlichem konfrontieren, um etwas über sein tatsächliches Handeln und seine Verhaltenskompetenzen zu erfahren. Bedenken Sie immer, dass sich Menschen, gerade in Auswahlsituationen, natürlich auch von ihrer besten Seite darstellen wollen und immer ihr Kompetenzspektrum etwas größer beschreiben werden, als es in Wirklichkeit eigentlich ist. Welche situativen Bausteine Sie nutzen können, erfahren Sie in Kapitel 5 Vom Reden zum Zeigen – Lassen Sie sich Kompetenzen beweisen ab Seite 239.

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