Wer die Wahrheit propagiert, macht den anderen zum Lügner. Setzt sich diese Haltung durch, würden in letzter Konsequenz andere Meinungen vielleicht eines Tages sogar verboten.
Wir alle neigen dazu, die Dinge schnell und vorwiegend in gut oder böse, wahr oder falsch einzusortieren und die Geschehnisse um uns herum ständig nach diesem Schema zu bewerten. Das ist an sich vernünftig – schließlich müssen wir täglich unzählige kleine und bisweilen auch einige große, folgenschwere Entscheidungen treffen, die zu bewerten uns eigentlich die Informationen und Zeit fehlen. Deshalb nutzen wir sogenannte Heuristiken, also einfache Faustregeln.
- Elektroautos mögen eine faszinierende Chance zu Senkung des CO2-Ausstoßes sein, verursachen aber neue Probleme an anderen Stellen – sei es durch neue Arbeitslosigkeit oder den Abbau seltener Erden.
- Ein Künstler kann Konsumkritik üben, aber kommerziell dennoch erfolgreich sein.
- Der Shutdown ganzer Volkswirtschaften dämmt einen Virus wirksam ein, ist aber – je nach persönlicher oder kultureller Perspektive – keineswegs eine alternativlose Entscheidung.
Wer all das infrage stellt, für sich andere Antworten sucht und eine andere Meinung bildet, ist genauso wenig verrückt wie derjenige, der das eben nicht tut. Wenn wir trotzdem vermeintliche Wahrheiten als gesetzt und unveränderlich hinnehmen, geben wir unser Schicksal in andere Hände. Dann bekommen diejenigen die Verantwortung, die uns ihre Sicht der Dinge als endgültig verkaufen – und die Deutungshoheit über den Diskurs gewonnen haben.
Wir glauben an sie, lassen uns verführen und hoffen auf Erlösung. Sei es, dass sie für uns den Klimawandel stoppen, unser Leben mit Technologien erleichtern (die aber vieles eher verkomplizieren) oder den politischen Sumpf bei denen »da oben« endlich einmal trockenlegen. Später aber staunen wir über die Konsequenzen: Weil wir wegen unseres Verhaltens denunziert werden. Uns das Geld aus der Tasche gezogen wird. Oder, noch viel schlimmer, unsere Freiheit am Ende zerbricht.
Gute und schlechte Manipulation
Bemühen wir uns also, die zwanghaften Vereinfachungen künftig zu vermeiden. Akzeptieren wir, dass das Leben unauflöslich widersprüchlich und komplex ist. Erwarten wir daher besser keine Erlösung durch andere, nur weil diese gute Geschichten erzählen und selbstbewusst auftreten. Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir unsere Wirklichkeit selbst erzeugen.
Ich ziehe daher die Eigenverantwortung dem Wahnsinn der Massen vor und lade Sie ein, die angeblichen Tatsachen und Meinungen, die Ihnen so täglich begegnen – keinesfalls für abgeschlossen und selbstverständlich hinzunehmen. Hinterfragen Sie, schärfen Sie Ihre Beobachtungsgabe und machen Sie sich Ihr eigenes Bild, das dann für Ihre Wirklichkeit und Ihre Entscheidungen gültig ist.
Bleiben Sie immer offen für andere Meinungen, revidieren Sie Ihre ab und zu, aber vertrauen Sie unbedingt Ihrem Urteil und Ihrem eigenen Blick auf das Leben. Rennen Sie nicht jedem Hype hinterher und reduzieren Sie vor allem Ihren News-Konsum. Das kann Sie gegen eine ungewollte Manipulation durch Meinungsmacher impfen – wie verheißungsvoll deren Anliegen auch immer sein mögen.
Manipulation
Es stammt aus dem Lateinischen und bedeutet »Hand- oder Kunstgriff« (von manus, die Hand). In unserem Sprachgebrauch steht es für eine heimliche Einflussnahme. Menschen sollen dazu gebracht werden, Dinge zu tun oder zu lassen, die sie sonst nicht getan oder unterlassen hätten. Irgendwie klingt der Begriff schäbig und unlauter – und das hat seinen berechtigten Grund. Meinungsmacher haben ihre Ziele, die sie mit ihren Kommunikationsmustern erreichen möchten.
Aber klar ist auch: Unser Leben wäre undenkbar, ohne dass wir andere beeinflussen oder von diesen beeinflusst werden. Nehmen wir das kleine Mädchen, das seinen Eltern mit gekonntem Augenaufschlag ein Küsschen gibt, um abends länger aufbleiben zu dürfen. Oder die Komplimente, die jeden Flirt garnieren und die Menschen selbst im besten Lichte zeigen. Oder den Kollegen, der seinem Büronachbarn einen Kaffee spendiert und freundlich um dessen Hilfe bittet.
Meinungsmacher gibt es,
weil wir uns Erlöser wünschen.
Verhandlungen sind ohne Kniffe zur Einflussnahme gar nicht denkbar. Wer mit seinen neuen Ideen die Welt erobern, sein Leben und das anderer Menschen verbessern und die Öffentlichkeit für seine Anliegen gewinnen möchte, der muss zwangsläufig andere überzeugen und für seine Interessen werben. Manipulation läuft oft intuitiv ab und sie dient dazu, die eigenen Ziele tatsächlich zu erreichen.
Verantwortung verpflichtet
Es ist doch so: Verantwortung verpflichtet uns, dafür zu sorgen, dass die Dinge einen guten Lauf nehmen und dabei nichts und niemand zu Schaden kommt. Das ist belastend, daher wollen wir gar nicht für alles verantwortlich sein und auch nicht alles wissen. Vieles an Verantwortung delegieren wir und lassen uns dabei gerne führen. Das ist komfortabel und völlig in Ordnung – wenn uns dadurch kein unsittlicher und ungewollter Schaden entsteht. Die neuen Meinungsmacher sind einerseits eine Mahnung an uns, nicht alles zu glauben, ihnen nicht blind zu folgen und unserer eigenen Einschätzung stärker zu vertrauen. Andererseits sind sie eine Inspiration: Wollen wir im Leben etwas erreichen, andere für unsere Ziele gewinnen und eigeninitiativ die großen und kleinen Dinge des beruflichen und privaten Alltags voranbringen, können wir von ihnen jede Menge lernen (auch wenn wir mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht der nächste Bundeskanzler oder Silicon-Valley-Milliardär werden). Nennen wir diese Art der Manipulation vielleicht besser Motivation: Wir mögen es, begeistert zu werden und lassen uns gerne faszinieren. Und wer andere für sich einnimmt, kann sich von diesem Rausch auch zu Höchstleistungen tragen lassen. Daran ist nichts verkehrt, und wir können so in der Gemeinschaft auch unmögliche Dinge zusammen erreichen.
Wo wären wir ohne die Selbstdarsteller, Verkäufer und Angeber?
Unser Imponiergehabe hat einst den Abschied vom Affentum eingeleitet. Denn als wir Menschen begannen, unsere verborgenen Qualitäten mittels teurer »Signale« zu bewerben, wurde das zum Motor für Innovation und Kreativität, wie der Soziologe Eckart Voland und der Medienwissenschaftler Matthias Uhl herausgefunden haben. Es kam zur Initialzündung der heutigen Kultur. Selbst die Höhlenmalereien oder der Bau der Pyramiden waren eine pure Prahlerei zur Imagepflege. Soziales Verhalten ist in hohem Maße Selbstdarstellung. Es ist keinesfalls moralisch verwerflich und sogar ökonomisch absolut geboten, sich selbst im besten Lichte erscheinen zu lassen und für die eigenen Positionen zu trommeln – das gilt in einer Zeit der totalen sozialen Vernetzung mehr denn je.
Hätte die Single damals eingeschlagen, wäre Sebastian Callies heute vielleicht noch mit seiner Rockband unterwegs. Hat sie aber nicht. Stattdessen studierte er Politik-, Medien- und Kommunikationswissenschaft und startete eine Laufbahn als Journalist und Werbetexter. Heute berät Sebastian Callies mit seiner Kommunikationsagentur einige der größten Unternehmen der Welt – vom Silicon Valley bis Göteborg, von Bangalore bis Bielefeld. Sein Thema ist Markenführung im digitalen Zeitalter.