Der positive Umgang mit Angst

Wer kennt nicht die Angst vor etwas Unbekannten, etwas Unberechenbaren … Es ist ein körperlich-psychischer Zustand, der uns hemmt, im schlimmsten Fall handlungsunfähig macht. Ein Leben ohne Angst, das wäre es! Nur leider gibt es das nicht. Also können wir nur lernen, mit der Angst umzugehen. Wir brauchen Strategien, unsere Ängste zu kontrollieren, zu überwinden und Blockaden aufzulösen. Welche das sind, verrät einer, der es wissen muss: Gerhard Buzek,ehemaliger Offizier des österreichischen Bundesheeres und UN-Beobachter in Nordafrika und im mittleren Osten.

Angst, so meinen wir im ersten Moment ihres Auftretens, ist ein Gefühl und ein körperlich-seelischer Gesamtzustand, den wir loswerden und überwinden wollen. Unsere Lebensqualität leidet unter Gefühlen der Angst und wir denken, dass ein Leben ohne Ängste wesentlich lebenswerter wäre, als jenes mit den immer wieder emporkriechenden oder schlagartig auftretenden Ängsten. Welche Formen des Umgangs mit Angst kennen wir? Wie kontrollieren wir sie, welche Strategien der Überwindung oder Auflösung von Blockaden wenden wir an?

Einer der beschreitbaren Wege ist nicht so sehr die brachiale Überwindung der Angst, gewissermaßen koste es, was es wolle, sondern die Angstverwandlung in positives, mutiges Handeln. (Köhler 2012: 46 ff.) Angstverwandlung ist nicht das Bekämpfen der Angst im Außen, sondern der Mut zur bewussten Einbeziehung von Angst. Einbeziehen bedeutet bildlich, die Angst aktiv ein Stück näher an sich heranzulassen, sich ihr aus nächster Nähe zu stellen. Für die Konfrontationen mit Angst sind Kraft und Mut vonnöten. Mut, um es überhaupt bis zur Entscheidung zu bringen, die Angst einzubeziehen und Kraft, um diese kontrolliert näher zu ziehen, das heißt ohne sie so weit heranzuziehen, dass man von ihr völlig überflutet wird. Das kontrollierte Heranziehen ist daher ein kraftraubender Vorgang, weil im Heranziehen gleichzeitig auch die Distanz gewahrt bleiben muss, um nicht völlig von ihr vereinnahmt zu werden. Konfrontatives Einbeziehen von Angst ist das genaue Gegenteil aller Vermeidungsstrategien, die eher einem Verstecken, Flüchten oder Verbarrikadieren entsprechen. Interessant ist, dass im Falle des Aus-dem-Weg-Gehens oftmals nicht nur der Angst, sondern damit auch dem Mut aus dem Weg gegangen wird. Durch das Aus-dem-Weg-Gehen wird der Mut gar nicht erst zweckgerichtet dazu verwendet, die proaktive Entscheidung herbeizuführen, Ängste einzubeziehen.

Angst näher an sich heranzulassen und diese mittels Einbeziehung zu verwandeln, wirft die Frage auf, in welche Richtung diese Transformation der Angst, diese Metamorphose von Gefühlen erfolgt. Ist die Verwandlung eine Wendung zum Besseren, eine Umkehr von einem eingeschlagenen Weg der Angst zurück zu einem Weg des positiven Handelns? Sich der Angst auszusetzen, ihr standhaft zu begegnen und immer wieder den Mut aufzubringen, diese näher heranzulassen, um sie zu verwandeln, entspricht auch einer Art selbst herbeigeführter Abhärtung. Diese beiden Effekte zusammengenommen, die Transformation der Angst und die durch wiederholte Übung erzeugte Abhärtung gegen sie resultiert in einem positiven und desensibilisierenden Umgang mit Angst. Es ist dies ein Prozess der Stärkung und Immunisierung gegen Ängste, der im gleichen Ausmaß das Selbstbewusstsein und die Selbstachtung festigt. Erforderlich ist neben dem Willen, sich diesem Prozess zu unterziehen auch die Disziplin, diese Prozedur als zeitlich langwierigen Weitergang durchzustehen.

Ängste besitzen nur unter bestimmten Bedingungen positive Effekte auf Prozesse der Fantasie, Kreativität und all jene Formen zielgerichteten Handelns, deren Bedingungen sich verbessern, sobald der Druck aufgrund von Ängsten abnimmt. Nicht immer ist jedoch die Angst automatisch mit Leistungsabfall gleichzusetzen. Es existieren auch Situationen und Aufgabenstellungen, bei welchen erst durch den Stimulus auf einem mittleren Angstniveau das durchschnittliche Leistungsniveau angehoben wird. Das heißt, auf einem besonders niedrigen und auch auf einem besonders hohen Niveau der Angst sinkt das Leistungsniveau, ein mittleres Angstniveau hingegen wirkt stimulierend beziehungsweise motivierend, wodurch sich jeweils die Leistungsbereitschaft und damit zumeist auch die erbrachte Leistung erhöht. Im sportlichen Wettkampf, vor Prüfungen, Verhandlungen, bei Anbahnungen persönlicher Beziehungen oder vor wichtigen beruflichen Vorhaben und so weiter, wirkt ein subjektiv empfundenes mittleres Angstniveau8 vielfach beflügelnd und hebt das Leistungsniveau an. Die völlige Abwesenheit von Angstgefühlen, im beruflichen Alltag oftmals Druck oder Stress genannt, ist selten in der Lage, das durchschnittliche Leistungsniveau über einen längeren Zeitraum hinweg zu erhöhen; ein zu hohes, extremes Angstniveau hingegen führt in den meisten Fällen zu einem drastischen Leistungsabfall, fallweise sogar zu einem Leistungszusammenbruch.

Die verwandelte Angst, jene, die auf einem subjektiv empfundenen mittleren Angstniveau wirkt, ermöglicht uns, abgesehen von ihrer stimulierenden Wirkung, wie eine Läuterung oder Bekehrung hinter die Angst zu blicken. Die transformierte Angst ist keine besiegte, überwundene Angst – die oftmals doch über einen zumeist verschlungenen Pfad wieder den Weg in unser Inneres findet – sondern sie ist durch die Metamorphose etwas anderes geworden. Die bewusste Einbeziehung der Angst, das Sich-auf-sie-Einlassen entspricht einer Chance, aus dieser Angst etwas anderes, besseres oder hoffnungsvolleres zu formen. Das aktive Zulassen der Angst bedeutet, dass diese nicht mehr direkt vor einem steht, sondern dass das Heranlassen im körperlichen Sinne einen Blick über die Schulter der Angst ermöglicht. Vielfach ist dahinter keine noch größere Angst verborgen, sondern positive Aktivität, Leben und Perspektive.

Die Angst näher an sich heranzulassen bedeutet auch, dass diese immer wieder negative Denkabläufe hinsichtlich dessen, was zukünftig geschehen könnte, auslöst. Zu diesen Gedanken zählen beispielsweise negative Verallgemeinerungen in der Art von: »Das stehe ich nie durch!«, »Das kann auch nur mir passieren!« oder »Warum kann ich nicht alles so leicht nehmen wie die anderen Menschen?« Diese negativen Verallgemeinerungen lösen verschiedene Gefühle aus, von Hoffnungslosigkeit über Wut und Trauer bis zu den verschiedenen Abstufungen von Angst. Um nicht in den negativen Denkabläufen verhaftet, ja geradezu stecken zu bleiben und sich in den negativen Denkspiralen einzudrehen wie in einem Spinnennetz, müssen diese auf den Boden der Realität geholt werden. »Das stehe ich nie durch!« ist eine Verallgemeinerung, die damit entkräftet werden kann, dass man versucht, an jene Beispiele, Erlebnisse oder Situation in seinem bisherigen Leben zu denken, in denen man diese Fragestellungen beziehungsweise diesen Schwierigkeitsgrad der Problemstellung sehr wohl schon einmal oder mehrfach durchgestanden hat. Ängste, welche ein bestehendes Problem bloß zur unlösbaren Katastrophe aufblähen, können in jedem Fall gefahrlos durchgestanden werden und nicht nur das; selbst während man Angst empfindet, kann man aktiv handelndes Subjekt bleiben.

Ähnliches gilt für »Das kann auch nur mir passieren!« Auch diese Verallgemeinerung kann unmöglich sachlich korrekt sein. Denn es ist praktisch unmöglich, dass die betreffende unangenehme Erfahrung beziehungsweise das unerwünschte Ereignis, welches zu dieser emotionalen Aussage geführt hat, von niemandem sonst erfahren und geteilt wird. Es ist hingegen statistisch nahezu sicher beziehungsweise in höchstem Maße wahrscheinlich, dass bei einer Grundgesamtheit von etwa acht Millionen Menschen in Österreich beziehungsweise etwa einer halben Milliarde in Europa, nicht nur eine, sondern sehr viele andere Personen gleiche, gleichwertige oder zumindest sehr ähnliche Erfahrungen machen – und dies auf Tagesbasis, jeden Tag aufs Neue, tun. »Warum kann ich nicht alles so leicht nehmen wie die anderen Menschen?«, deutet ebenfalls darauf hin, dass man sich selbst in die Rolle des Einzelschicksals drängt und daraus negativ verallgemeinernd behauptet, außer einem selbst lebe der Rest der Menschheit mehr oder weniger leicht, heiter und vergnügt dahin. Das leichte, heitere und vergnügte Leben ist bekanntlich – sehen wir von den wenigen wirklichen Optimisten ab – die Ausnahme der Regel. Lebensentwürfe und Lebensverläufe sind voll von Herausforderungen, Überraschungen, Siegen und Niederlagen in allen Schattierungen. Die entscheidende Frage ist stets jene nach dem Wie des Umgangs mit den betreffenden Lebensereignissen, -phasen und -ängsten. Die Frage lautet daher, ob wir die Angst einbinden und in sinnvolle, zweckreiche Aktivität transformieren oder ob wir diese so lange überbewerten, bis sie uns tatsächlich über den Kopf wächst und uns verschlingt. Unsere Haltung zur Angst entscheidet letztlich darüber, ob und wie lange wir sie aushalten, ob sie an unserer Haltung oder wir an ihrer Wirkung zerbrechen.

Zur Haltung kann man aus sich heraus gelangen, durch den Glauben an sich selbst, durch immer wieder neues und couragiertes Aufrichten, durch mutiges Einbeziehen und Transformieren der Angst. Zur Haltung kann man jedoch auch gelangen, indem man sich anhält und Halt sucht; dieser kann auf vielfältige Weise gefunden werden, im zwischenmenschlichen Bereich ebenso wie in jenem des persönlichen Glaubens. Es können vertraute und geliebte Menschen sein, die Halt geben oder eine Religion, die in Phasen des Zweifels oder der Selbstzweifel Halt vermitteln kann. Angst zu ertragen ist wie eine Suche nach Halt, ein Aushalten und Durchhalten, bis der Halt gefunden wird, bis ein vertrautes Terrain betreten wird und man sich wieder orientieren kann. Bis die Schockstarre und die subjektiv empfundene Lähmung aufgrund des Gefühls von Bedrohung weichen und die volle Handlungsfähigkeit zurückkehrt. Das Beispiel der jugendlichen Mutprobe zeigt etwa, wie die Angst inmitten des mitternächtlichen Friedhofs durchwegs kontrolliert wird und immer wieder kurz überhandzunehmen droht. Sie durchflutet den gesamten Körper, doch kurz vor einer neuerlichen emotionalen Überflutung, kurz vor einer möglichen Angststarre, wird körperliche Aktivität eingesetzt, die aus einem unterbrechungslosen, stürmischen Lauf zum Licht der vertrauten Straße besteht. Das Vertraute und Bekannte gibt Halt, es vermindert die Vehemenz der Angstgefühle und setzt auch die körperlichen Symptome der Angst herab, wie etwa die beschleunigte Herzfrequenz, das Schwitzen, Zittern, die flache Atmung et cetera.

Sowohl das Gefühl der Angst als auch jenes der Vertrautheit sind in der wiedergegebenen Geschichte der Mutprobe nur dem betroffenen Jugendlichen durch eigenes Erleben in der betreffenden Situation zugänglich. Bereits die Erzählung des Erlebten und das Nachempfinden der Angst vonseiten der Zuhörer und Leser unterscheidet sich fundamental von der subjektiv empfundenen, beobachtbaren und sogar neurobiologisch messbaren Angst des Betroffenen, wie auch Riemann bestätigt: »Es gibt also Angst nur erlebt … von einem bestimmten Menschen, und sie hat darum immer eine persönliche Prägung, bei aller Gemeinsamkeit des Erlebnisses Angst an sich.« Beim Erleben und Ertragen von Angst ist jeder andere Mensch demnach nur beobachtend und zuhörend dabei. Der Zuhörer kann die tatsächlich empfundene Angst niemals in ihrer vollen Tragweite, sondern nur zum Teil und basierend auf seine eigenen Erfahrungen nachempfinden. Was er jedoch von außen beobachten kann, sind die verschiedenen Reaktionen des Betroffenen auf Angstgefühle und der Umgang mit diesen. Von außen wird sichtbar, ob der Betroffene die Aktivität wählt oder aufgrund der Vermeidungsstrategie die Chance des Umlernens vergibt; dass er nämlich die Möglichkeit gehabt hätte zu erfahren, dass die angstauslösende Situation lösbar, beherrschbar ist. Denn jedes Vermeiden ist aufgrund des bewussten oder unbewussten Umgehens der Angstauslöser auch ein Vergeben von Chancen.

Das Bemühen um Aktivität und Handlungsfähigkeit hingegen ist ein Weg, der uns eine Haltung ermöglicht, um produktiv mit und an der Angst zu arbeiten; sie soll nicht vergeudet werden, indem man sie vermeidet, sondern sie soll verwendet und angepackt werden, um etwas mit ihr oder durch sie zu bewerkstelligen.

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