Das Dilemma der Körpersprache

Es war einmal ein wundervoller Tausendfüßler. Anmutig bewegte er seine tausend Füße über die grüne Wiese. Die anderen Tiere bewunderten ihn sehr. Eines Tages fragten sie ihn: „Tausendfüßler, wie machst du das nur, dass du deine tausend Füße anmutig und würdevoll bewegst. Verrate uns dein Geheimnis?“ Der Tausendfüßler hielt kurz inne und dachte zum ersten mal darüber nach, wie er es anstellt, welche Technik er benutzt und welche Tricks es gibt. “Wartet“ verkündete er stolz „ich zeige es euch!“. Doch im nächsten Moment stolperte er, seine tausend Füße verhedderten sich heillos und vorbei war es mit Anmut, Würde – und Bewunderung.

Das erste Dilemma: Wirken wollen verhindert Wirkung

Genau so wie unserem Tausendfüßler geht es Präsentierenden, wenn sie über Körpersprache nachdenken, wenn sie ihre Körpersprache bewusst einsetzen oder gar verändern möchten. Plötzlich wirkt sie aufgesetzt, unpassend – nicht authentisch. Plötzlich sind sie mehr mit der Wahrnehmung ihrer eigenen Wirkung beschäftigt, mit der Kontrolle ihrer Wirkung auf andere – kurz mit sich selbst, statt mit ihrem Thema, ihrer Mission und ihrem Publikum.

Das zweite Dilemma: Professionell trainiert oder unprofessionell authentisch?

Körpersprache muss natürlich, echt, authentisch, scheinbar unbewusst sein, damit sie uns in ihren Bann zieht. Nichts wirkt unglaubwürdiger und unsympathischer als eine antrainierte Körpersprache. Doch ist sie nur natürlich und authentisch wirkt sie oft naiv, unbeholfen, unprofessionell, im schlimmsten Fall unglaubwürdig, unsicher und unsympathisch. Was also tun?

Das dritte Dilemma: Ein Körperbild, das den einen Teilnehmer anzieht stößt den anderen gleichzeitig ab

Bestimmte Denkstile bevorzugen bestimmte Körperbilder und lehnen andere leidenschaftlich ab – gleichzeitig sitzen im Publikum fast immer gemischte Denkstile. Bestimmte Unternehmenskulturen erwarten ein bestimmtes Körperbild – das falsche kann zum k. o.-Kriterium werden. Wie also den einen gewinnen ohne den anderen abzustoßen?

Das Viertes Dilemma: Echt sein und sich wohlfühlen oder anpassen und sich verbiegen?

Der Denkstil prägt die Körpersprache. Eine stark ausgeprägte Balance-Instruktion äußert sich auch in der Haltung, den Bewegungen, der Mimik, der Gestik ihres Besitzers. Was dem einen Präsentierenden steht, wirkt beim anderen lächerlich. Allgemeine Regeln wie „zeigen Sie Standing“ „stehen Sie ruhig, aufrecht und symmetrisch“ sind zwar richtig, können aber dazu führen, dass ein Präsentierender sich damit vorne nicht wohlfühlt, weil das Körperbild nicht seinen Werten entspricht. Bleibt er wie er ist, verstößt er eventuell gegen die bevorzugten Werte seiner Teilnehmer – passt er sich an, verbiegt er sich. Was tun?

Das fünfte Dilemma: Allgemeine Empfehlungen sind nutzlos – doch ohne allgemeine Empfehlungen ist ein Lehrbuch nutzlos

Über Körpersprache und über Stimme in einem Buch zu schreiben ist so wie über Küsse nur zu sprechen. Denn wie das Küssen, ist die Sprache des Körpers ein aufeinander eingehen, ein Führen und Geführt werden – eine sensible Wahrnehmung von Signalen, auf die man dann wieder sensibel reagiert. Körpersprache braucht die erlebte Situation, das Gegenüber, um sich zu entfalten. Am besten ist ein Training on the Job. Der Trainer setzt sich ins Publikum und bespricht anschließend mit Ihnen Ihre Wirkung. Am zweitbesten ist ein Seminar mit Video und einem Auftritt vor einer relativ großen, am besten unbekannten Gruppe. Auch hier erhalten Sie ein ganz persönliches, individuelles Feedback und haben dazu noch die Möglichkeit, Ihre Fremdwahrnehmung auf Video zu analysieren. Auch gut ist ein ganz individuelles Coaching. Wie also in einem Buch das Gießkannensystem der guten Tipps meiden? Wie Ihnen genau den Tipp zukommen lassen, der zu Ihnen passt und der Sie weiterbringt?

Bisheriger Versuche das Thema Körpersprache zu fassen, sind sehr stark vom Denkstil ihres Verfassers abhängig. Ein Verfasser mit ausgeprägter Dominanz-Instruktion stellt sehr stark Aspekte des Status in den Vordergrund: Seine zentrale Frage dreht sich darum, wer körpersprachlich „gewinnt“. Körpersprache wird zum Schauplatz des Kampfes um Dominanz, Status und Macht. In ihren Büchern geben sie zwar die richtigen aber leider einseitige Tipps, wie man sich ein selbstsicheres, durchsetzungsstarkes Körperbild zulegt: „Stehen Sie gerade und spannen Sie den Körper an! Blicken Sie Ihrem Gegenüber nicht von unten nach oben in die Augen, geben Sie Ihren Teilnehmern fest die Hand usw.“. Ganz anders der gefühlvolle Autor und Trainer: Nichts geht ihm über Authentizität. Auch das ist wichtig und richtig – spiegelt jedoch nur 25 Prozent der Wahrheit wider. Seine Tipps lauten: „Seien Sie echt und natürlich, lieben Sie Ihr Publikum, bauen Sie mit der Körpersprache Brücken usw.“ Ein Trainer und Buchautor mit stark ausgeprägter Stimulanz-Instruktion hat eine Mission: Er will Begeisterung, Spannung, Fantasie! Und genau diese Tipps erhalten Sie: „Verzichten Sie immer auf PowerPoint, seien Sie anders als die anderen, reden Sie spannend und begeistert!“ Auch das ist richtig, aber auch wieder einseitig. Und strukturierte Ratgeber? Sie konzentrieren sich akribisch auf alles, was Sicherheit verspricht oder Sicherheit ausstrahlt. Auch diese Tipps sind wichtig und richtig – aber sie gelten nicht immer, nicht überall und nicht für jeden.

Deshalb meine Bitte an Sie, liebe Leserin und lieber Leser: An dieser Stelle sind Sie noch viel mehr als in allen anderen Kapiteln gefordert, sich wie an einem reichhaltigen Menü nur die Speisen auszusuchen, die Sie mögen und die Ihnen gut tun. Seien Sie ganz besonders wählerisch. Wenn Sie sich für ein neues Körperbild entscheiden, fragen Sie sich und vielleicht andere, ob es zu Ihnen passt. Üben Sie zuerst in unverfänglichen Situationen so lange, bis Sie es verinnerlicht haben. Erst dann zeigen Sie es in Präsentationen vor Publikum.

Die Antwort des limbischen Kommunikationssystems: Flexibilität und Authentizität zugleich

Von Darwin stammt das Zitat: The fittest survive! Es wurde falsch übersetzt mit: der Stärkste überlebt. Die richtige Übersetzung jedoch lautet: Der Flexibelste (Anpassungsfähigste) überlebt. Je flexibler Sie Ihre Körpersprache einsetzen, umso mehr positive Emotionen können Sie erzeugen, umso schneller gewinnen Sie das Vertrauen und die Sympathie Ihrer Zuhörer, umso öfter erzielen Sie Entscheidungen in Ihrem Sinne und umso erfolgreicher werden Sie. Können wir mit dem Wissen des limbischen Kommunikationsmodells die oben genannten Dilemmas lösen? Ja, lautet die einfache Antwort, denn hier schließen sich Authentizität und Flexibilität nicht aus. Wieso das möglich ist?

Wir alle sind im Besitz aller limbischen Instruktionen – und somit steht uns jedes Körperbild zur Verfügung. Es ist echt und authentisch. Doch weil jeder von uns dominante Instruktionen hat, setzen sich auch die dazugehörigen, dominanten Körperbilder durch. Die anderen verkümmern mehr und mehr bis wir glauben, uns steht diese Option nicht zur Verfügung. Use it or loose it! – das ist ein Grundaxiom unseres Gehirns. Manche Körperbilder liegen verschüttet am Boden unserer Persönlichkeit. Diese gilt es wieder zu aktivieren. Wer eine stärkere Balance-Instruktion besitzt, wird sich bevorzugt in sichere Gewässer begeben, seine Schritte werden zögerlicher, seine Haltung abwartend, seine Mimik kontrolliert. Hier finden wir auch eine Erklärung für die Lebensweisheit, ab 40 habe jeder das Gesicht, das er verdient. Innere mentale Programme (Denkstile) prägen sich tief in unsere äußere, sichtbare Hülle ein und machen sich über Körperbilder bemerkbar. Das Körperbild der Stimulanz (lässig, spontan, begeistert, visionär, mit seiner beweglichen Mimik, seinen neugierigen und offenen Augen und den großen Gesten) wird demjenigen mit starker Balance-Instruktion immer mehr abhanden kommen. Wie ein Muskel, den er nicht trainiert. Aber er ist da! Er muss nur wieder aktiviert werden! Er wird zwar nie sein schönster und stärkster Muskel werden – aber er wird so stark, dass Einseitigkeit vermieden wird. Das führt, wie Sie aus dem Kraftsport wissen, zu einem starken, belastbaren und wohlproportionierten Körper. Bleiben wir noch ein wenig bei der Analogie des Muskeltrainings. Wenn wir ins Fitnessstudio gehen, werden wir angehalten, gerade verkümmerte Muskeln gezielt und verstärkt zu trainieren. Das tut am Anfang weh, macht wenig Spaß und der Muskelkater danach ist sehr schmerzhaft. Doch hier steckt das größte Potenzial zu einer harmonischen und kraftvollen Entwicklung.

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