Vorsicht Satire! Von der Kunst mit Zahlen, Daten und Fakten zu führen

»Mehr geht immer«, »Gegen oben hat’s immer Luft«, »Zufrieden ist man nie« das sind Glaubensbekenntnisse, die unaufdringlich penetrant der gesamten Belegschaft eingetrichtert werden. Ambitiöse Ziele zu verfolgen bedeutet, auch Maßstäbe zu setzen, die die Mannschaft fordern! Und wie macht man das? Mit Zahlen, Daten, Fakten. Da weiß man, wo man steht – und und kann sich zurücklehnen, noch mehr anstrengen oder sich so manches schönreden.

Fachliche Vertiefung: Metrik gleich Realität, eine gefährliche Formel

»Zählen und Messen ist die Grundlage der fruchtbarsten, sichersten und genauesten wissenschaftlichen Methoden«

Hermann von Helmholtz 1879.

Wer hätte gedacht, wie recht er einst bekommen wird. In der Zeit, als Thomas A. Edison die erste Glühlampe zum Leuchten brachte und der Salpeterkrieg in Südamerika herrschte, hat der Universalgelehrte vorweggenommen, was einhundertvierzig Jahre später zum Mantra in Unternehmen geworden ist.

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Nur, was in Zahlen messbar ist, gibt es. Das eigentliche Controllerdenken ist im Sog von Balanced Scorecards und Kennzahlen zur Vernunfterklärung geworden. Selbst das, was eigentlich nicht messbar ist, also Faktoren wie Motivation oder Zufriedenheit, wird in eine Skala gequetscht.

Die Sehnsucht nach Objektivität ist das eine, das Verstecken hinter Zahlen das andere. Wer schlechte Zahlen liefert, dem muss man nicht erklären, warum sein Einsatz nicht passt. Man lässt die Zahlen sprechen und das entbietet den Manager von heute, dass er selbst artikulieren sollte, was er als Feedback geben müsste. Jegliche Art von Leistungsbeurteilung wird über den in Zahlen messbaren Leisten geschlagen.

Nun sind ja weder Zahlen noch das Messen schlecht, aber der Umgang mit dem Gemessenen lässt wohl tatsächlich noch etwas Spielraum zur Optimierung. Es fehlt der Referenzpunkt – also nimmt man ihn von nebenan und tauft ihn Benchmark. »Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt«, das wusste schon Albert Einstein.

Als Effekt dieser Messmanie geht das gute Augenmaß gerne verloren. Eine sogenannte Scheinobjektivität dient häufig als Deckmantel für Subjektivität und klare Erwartungshaltung.

»Der Mensch ist das Maß aller Dinge.« Der Satz des Protagoras gibt eigentlich die Richtung vor. Er setzt den Menschen vor die Dinge. Doch jede Wahrnehmung ist von der Perspektive abhängig.

Zählen und Messen ist hilfreich. Das darf aber nicht als Versteck gelten, begründbare Interpretationen zu kommunizieren. Wahrheit ist und bleibt Wahrnehmung. Gerade Führungskräfte sollten dazu stehen, die eigene Wahrnehmung nicht als Wahrheit anzusehen, sie aber als Teil ihrer Erwartung zu formulieren.

Hier beginnt Führung im Rahmen der Kommunikation. Wie verlief das Gespräch mit wichtigen Kunden? Über eigene Erlebnisse lässt sich bedeutend mehr darüber erfahren, wie Beteiligte den Kundenkontakt erlebt haben als über eine Studie, an der einhundert repräsentative Kunden teilgenommen haben und deren Antworten auf Zahlendiagrammen als Zufriedenheit dargestellt werden. Ein Prozent mehr bedeutet mehr Zufriedenheit – aber warum?

Da Zahlen immer retrospektiv und ausschließlich in der Lage sind, die Vergangenheit abzubilden, bietet sich ein echter Dialog doch sehr viel besser an. Wie will ich erfahren, warum ich nicht mehr Kunden habe? Indem ich meine aktuellen Kunden nach ihrer Zufriedenheit frage? Oder indem ich mit potenziellen Kunden versuche, ins Gespräch zu kommen?

Wie kann ich meinem Mitarbeiter helfen, seine Leistung zu entfalten, wenn er nur nach seinem Output gemessen wird? Wenn Zahlen nicht passen, bietet sich die Frage an: »Was tust du, um mehr zu erreichen?« Ursachen liegen möglicherweise viel tiefer. »Was sind deine Erwartungen und wie sehen meine Erwartungen aus?« Vielleicht haben wir auch einfach eine unterschiedliche Betrachtung von »Leistung«. Auch darüber kann man reden, man muss es sogar tun. Dialog und Replik, Argumentation und Nachdenken: Messen wäre zugegeben einfacher, aber echte Auseinandersetzung mit der jeweiligen Subjektivität bringt wohl alle Beteiligten weiter.

Glaubenssätze statt Fakten

Sexismus oder Rassismus, Klimawandel, Coronapolitik oder Impfen. Eines haben diese großen Debatten unserer Zeit gemeinsam: den Whataboutism. Immer wieder wenden Menschen diese Argumentationstechnik an. Gemäß Oxford Living Dictionary wird dabei eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage beantwortet. »What about …?« also »Was ist mit …?« Diesen sogenannten Whataboutism erleben wir heute gefühlt intensiver als früher.

Wer mit der Technik des Whataboutism agiert, hat oftmals das Ziel, vom eigentlichen Kern des Diskurses abzulenken. Zum Beispiel: Leute machen sich stark gegen die Benachteiligung der Frau. Von der Seite des Whataboutismers kommt dann ein Kommentar à la: »Na ja, aber es gibt auch Männer, die von Frauen diskriminiert werden!« Bei Kindern kennen wir so eine Vorgehensweise auch: »Du hast genascht!« – »Nein, hab‘ ich nicht, aber der andere hat doch auch!« Ob beim Kind oder beim Me-too-aber-auch-Männer-sind-Opfer-Typ: Diese Personen fühlen sich im Innersten ertappt. Einerseits müssen sie den Argumenten des Gegenübers irgendwie recht geben, da sie oft als ziemlich klar und eindeutig daherkommen. Das können Fakten, Statistiken oder eben genaue Beobachtungen sein. Andererseits kommt es für sie überhaupt nicht infrage, dem anderen recht zu geben – auf gar keinen Fall. Also was tun in dieser kommunikativen Zwickmühle? Schnell den Kontext verändern und schon hat man die Aussage irgendwie zurechtgebogen.

Schmalspur-Argumentation at its best

Obwohl diese Art der Gegenargumentation so durchsichtig wie auch dünn daherkommt, ist es als Gesprächspartner oft schwierig, dagegen wieder eine Replik zu setzen. Erst recht, wenn der Whataboutism-Anwender sein Notprogramm fährt: Wenn auch die schwächste Argumentation nichts mehr bringt, hat sich in den letzten Jahren das Gesprächskillerwort »Fake-News« nach dem Motto »ist eh alles manipuliert« ganz gut etabliert. Dieser Tatbestand ist auch die größte Problematik: Fakten werden nicht mit Gegenfakten belegt, sondern mit Glaubenssätzen. Das kann nicht funktionieren. Man selbst legt eine Statistik einer demokratisch legitimierten Regierung vor – und wenn das Gegenüber zutiefst der Überzeugung ist, dass »alle Regierungen eh lügen«, kommt man im Dialog nicht weiter.

Wer einen Whataboutismer gegenüber hat, kennt das: Es wird schnell mühsam und man beginnt, sich zu nerven. Im Eltern-Kind-Dialog kommt dann logischer- und meist auch sinnvollerweise das Schwert der Hierarchie zur Anwendung. »Ich hab‘ nicht genascht, aber der andere hat ja auch« muss nicht gegenargumentiert werden. Mit einem »Ich hab‘ dich erwischt, du machst das nicht mehr – basta« ist die Schlaufe unterbrochen. Die gute Stimmung vielleicht auch? Das gehört zu modernen wie traditionellen Erziehungsmaßnahmen eben dazu …

Patt-Situation oder berühmt-berüchtigter Keil

In politischen und gesellschaftlichen Diskussionen enden solche Dialoge dann meist im Patt. Oder eine Seite gibt auf. Oder man verlässt einander genervt. Doch was tun – im Familien- und Freundeskreis genau wie im beruflichen Kontext, unter Kollegen oder Parteifreunden, im Verein oder am Stammtisch? Welche Möglichkeit gibt es, um den Keil nicht weiter hineinzutreiben – erst recht, wenn sich einmal wieder alles um so etwas wie Corona-Maßnahmen oder Impfpflicht dreht? Was funktioniert jetzt noch, um Beziehungen wegen solchen Themen nicht scheitern zu lassen?

Die Lösungen sind so einfach wie wirksam: Entweder, man spricht den Whataboutism an – oder man klammert das entsprechende Thema von vornherein aus: »Ich stelle fest, dass wir uns hier nicht annähern. Lass uns doch dieses Thema beiseitelassen und reden wir über … – wäre das ein Vorschlag?« Das kann funktionieren, tut es auch oft – muss es aber nicht. Denn auch zum Themaausklammern gehört die Bereitschaft beider Seiten – wie es eigentlich immer ist, wenn in der Kommunikation ein Dialog stattfinden soll.

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