Die Annalena-Baerbock-Welt: Das sind wir alle

In einer – extrem störenden – Werbeeinblendung in einem YouTube-Video erklärte mir jüngst eine freudig-überschnappende Männerstimme, “dieses Fernrohr erobert die Welt im Sturm”. Tags später las ich über ein Kammermusik-Ensemble, dass es “hoch dekoriert” sei und schon “in den großen Konzertsälen der Welt” gastieren durfte. Vortragsredner sind in der Regel “bestens gebucht” und gehören zu “gefragtesten Speakern in Europa”. In Pressemitteilungen ist regelmäßig zu lesen, dass Künstler die Zuhörer “von den Sitzen reißen” (was ich mir immer gerne bildlich vorstelle), das Produkt xy “eine neue Ära einleitet” oder die einfache Kabelleger-Tätigkeit beim ZDF im Lebenslauf zur “ZDF-Assistenz” mutiert.

MEIST WENIGER ALS ES IST…..

Egal, ob die Dekoration des Ensembles aus einer Blume der örtlichen Gärtnerei bestand, der hoch gepriesene Konzertsaal sich als Bürgerhaus in Oberpappenrode entpuppte, das Fernrohr als Unschärfe-Maximiser durchgegangen wäre oder die Speaker-Buchung auf eine Selbsteinladung im örtlichen Heimatverein beruhte: Die Baerbock-Welt der leichten Überhöhungen und Übertreibungen in Lebenslauf hat uns selber längst im Griff in der Grauzone zwischen Realität, Wunschfantasie und Lüge.

FLOSKELN & VERNEBELUNG

Annalena Baerbock, grüne Kanzlerkandidatin, ist ein Kind ihrer Zeit – und diese Zeit haben wir alle in den letzten Jahrzehnten geprägt: Politik, Wirtschaft, Medien und wir alle zusammen: Durch Schummeleien im Management, durch Geschäftsberichte, die eher dem Gotteslob als dem Alltag verpflichtet sind, durch eine plastiline Floskelsprache, die zudeckt, was hätte transparent gemacht werden müssen. Durch ausufernde lügennahe Werbung, der wir keine Grenzen gesetzt haben.

Wir haben eine Welt produziert, die nicht der Wahrheit, sondern der Täuschung, der Vernebelung und der Unwahrheit verpflichtet ist.

Klaus-Ullrich Möller

Ein Zeitgeist, geprägt durch plagiierte Doktortitel, durch hoch aufgepumpte Lebensläufe, durch tagtägliche Überhöhung der eigenen Leistung: Sind wir 10 Kilometer gelaufen? Oder doch nur 7? Haben wir 20 Stunden verhandelt mit dem Auftraggeber? Oder doch nur 10? Ist die Erreichung der weltweiten Gewinnbesteuerung von Unternehmen auf 15 Prozent ein “historischer Moment” (Olaf Scholz, Finanzminister)?” Oder doch nur ein Rohrkrepierer?  Sind wir 10 Stunden in den Alpen gelaufen? Oder doch nur 6,5? Hatten wir bei unserer Veranstaltung “full house”? Oder haben wir die Hälfte der Tickets doch nur verschenkt – oder noch eine Schulklasse eingeladen? Essen wir konsequent vegan? Oder nur, wenn alle zuschauen? War das Publikum “aus dem Häuschen”? Oder nur alkoholgeschwängert und triebgeleitet?

DIE WELT DER VERSCHÖNERUNG

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Die Welt der Verschönerung, der Verkleisterungs-Optimierung ist keine gute Welt. Sie verstellt uns den Blick auf die wirkliche Welt. Auf die Welt dessen, was Menschen wirklich geleistet, erarbeitet, erledigt haben. Ist es ok, dass Professoren ihre Bücher im wesentlichen durch ihre Assistenten schreiben lassen und im eigenen Namen veröffentlichen? Nein, ist es nicht. Ist es ok, dass eine Telekommunikationsfirma mit Internet-Download-Raten wirbt, von denen sie selber weiß, dass sie sie nie erreichen kann? Nein, ist es nicht. Ist es ok, dass man Doktortitel im Internet für wenig Geld kaufen kann? Nein, ist es nicht. Ist es ok, dass man in Bewerbunsgesprächen seine Fähigkeiten überhöht, vielleicht überhöhen muss? Nein, ist es nicht. 

LASST UNS ZURÜCKKEHREN ZUR REALEN WELT

Wenn wir alle daran arbeiten, uns und unsere öffentliche Präsenz stärker der Wahrheit – zu der auch Schwächen gehören, stärker dieser Wahrheit als traumvisionären Verschwurbelungen zu widmen, also den Überbietungswettbewerb etwas, nein stark herunterzufahren, würde sich die Welt etwas realer darstellen als sie heute erscheint. Und würde von uns allen Druck nehmen, sich besser zu präsentieren als wir sind. Die Annalena-Baerbock-Welt hat diese Frau selber nicht zu verantworten. Sie ist nur den Übertreibungen zum Opfer gefallen, die wir selbst produziert haben. 

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