Das innere Kind ist im Business angekommen

Inzwischen ist auch in einschlägigen Management-Magazinen von Frozen Feelings, Antreibern und hindernden Glaubenssätzen zu lesen. Das macht Hoffnung, dass endlich mehr und mehr akzeptiert wird, dass der ganze Mensch zur Arbeit geht und nicht nur seine Rollen-Blaupause: die Geschäftsführerin, der Mitarbeiter, die Designerin, der Projektleiter …

Der Mensch kommt mit seiner ganzen, auch privaten, Biografie, mit seinen vielen Gedanken und dazu passenden Gefühlen, mit seinen Ressourcen, all seinen Stärken und Schwächen, Zweifeln, Ängsten und Potenzialen. Das hat große Bedeutung für das Menschenbild und damit das Verhalten von Führungskräften.


Denn was jede Führungskraft und jeder Mitarbeitende damit auch jeden Tag mitbringt sind seine frühen Erfahrungen als Kind. Jeder Mensch entwickelt sein Bild von der Welt und sich selbst in ersten Kinderjahren. Dazu gehört auch die Stellung, die er in seinem Umfeld einnimmt. Die Bedeutung, welche er in der Beziehung zu seinen ersten Bezugspersonen besitzt. So entwickeln wir unsere Identität. Sie ist das, was wir von uns aufgrund der Erfahrungen mit den anderen Menschen glauben. Wir bilden sogenannte Glaubenssätze aus, die unser weiteres Verhalten prägen. Wenn z.B. unsere  Fähigkeiten und Äußerungen oft abgewertet werden, entsteht der identitätsstiftende Glaubenssatz „Ich bin nichts wert“. Er hat meistens zur Folge, dass diese Menschen im Erwachsenenalter u.a. wenig Selbstvertrauen besitzen und Kritik als verletzend empfinden. Da der Glaubenssatz in der Kindheit „programmiert“ worden ist, empfinden wir in der aktuellen Situation den gleichen Schmerz.  Wir reagieren aus der Kindheitserfahrung heraus, obwohl wir doch schon so viel erwachsener sind. Die Psychologie spricht von einem „inneren Kind“, das wir ein Leben lang mit uns herumtragen. Im Gegensatz zum obigen Beispiel kann eine Person, die als Kind meistens mit ihren Eigenarten, Fähigkeiten, Gedanken und Gefühlen akzeptiert wurde, den Glaubenssatz entwickeln „ Ich bin ok so wie ich bin“. Diese Überzeugung führt zu einem starken Selbstbild, dem auch Kritik und größere Herausforderungen wenig anhaben können.


 Diese Erkenntnisse sind überhaupt nicht neu. Wenn allerdings berechtigt gefordert wird, dass die neue komplexere Arbeitswelt mehr Kommunikation erfordert, dann müssen diese individuellen Gegebenheiten –der ganze Mensch!- stärker berücksichtig werden als bisher. Zuerst bei der Selbstreflexion. Wie soll sonst eine Führungskraft genügend Freiraum gewähren, wenn sie es selbst nie gewohnt war, Unterstützung, also: Vertrauen- zu erhalten. Dann ist Vertrauen kein Wert für sie, dem sie in ihre Haltung integriert und bei ihren Handlungen folgt. Wenn ein Teamleiter heute auf gegensätzliche Einschätzungen eines Mitarbeitenden mit scharfem Ton reagiert, ist es wichtig, das er herausfindet, welcher Glaubenssatz bzw. welche frühen Erfahrungen da getriggert wurde. Mit einem geläufigen Bild ausgedrückt: welche roten Knöpfe behindern die Kommunikation?


Im Umgang mit den Mitarbeitenden bedeutet das auch, sich Zeit zu nehmen, um die Befindlichkeiten zu berücksichtigen und nachzuforschen, welche Gründe hinter einem Widerstand stehen. Auch da rebelliert ein inneres Kind. Nur anfangen muss zunächst jeder einmal bei sich selbst. Ein paar Fragen helfen zum Perspektivenwechsel und einem vollständigeren Selbstbild der Führungskraft:

  • „Wie möchte ich in solchen Situationen geführt werden?“.
  • „Und welche dieser Wünsche setze ich in meiner eigenen Führungsarbeit um?
  • Was hindert mich daran? Was genau befürchte ich?
  • Und welche dieser Befürchtungen und deren Konsequenzen kenne ich aus der eigenen Kindheit?
  • Was hätte ich damals gebraucht? Wie kann ich mir genau das heute beschaffen?

Dieser hier im Schnelldurchgang dargestellte Zugang zu dem inneren Kind kann alte Glaubenssatz-Knoten lösen und zu neuen Ressourcen führen. Das Resultat: ein freierer Umgang mit sich selbst und anderen.


Mag sein, dass einige das für zu therapeutisch halten. Führungskräfte sollen hier auch nicht zu Psychologen mutieren. Sie tun allerdings gut daran, sich für die ganze Person zu interessieren und im Sinne des Wortes deren Biografie Wert-zu-schätzen. Die Alternative ist, sich sachlich mit Widerständen auseinander zu setzen. Die Ergebnisse sind wohl vielen bekannt…  Für mich ist es einfach menschlich. Und bevor wir Organisationen transformieren, sollten wir erst einmal uns selbst und unsere Mitmenschen (=arbeitenden) so erkennen, wie sie sind. Gerne können wir das auch Transformation nennen. Oder einfach Respekt.

Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.