Hinterfrage besser alles

Hinterfragen ist unsere einzige Möglichkeit, die Informationsfülle, die auf uns einprassselt, zu sortieren. Denn nicht alles, was auf den ersten Blick richtig und logisch erscheint, ist es auch. Es gibt zwar keine hundertprozentige Sicherheit, dass wir trotz Hinterfragen richtig liegen. Doch die Chancen steigen, gezielter Manipulation zu entgehen. Prof. Michael Hoyer erklärt, wie wir geschickt der Wahrheit näherkommen.

Dieses Zitat der amerikanischen Astronomin Maria Mitchell ist zu meinem Lebensmotto geworden. Denn das Hinterfragen ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um die Fülle an Informationen, Gerüchten, Einflüssen und fremden Interessen, die auf uns einprasseln, so zu sortieren, dass wir unseren Standpunkt auf eine möglichst sichere Basis setzen.

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Es kann also gut sein, dass die Informationen, die Sie erhalten oder die Sie selbst recherchiert haben, zwar plausibel erscheinen, sich später aber dennoch als falsch herausstellen. Okay. Sie sind nicht der liebe Gott und können sich irren. Doch irren Sie sich nicht absichtlich oder aus Faulheit, Informationen zu hinterfragen. Mit nur ein bisschen Übung im Hinterfragen werden Sie in den allermeisten Fällen korrekte und somit sichere Standpunkte einnehmen. Und ein sicherer Standpunkt bringt Sie mehr und mehr in eine Position der Stärke. Sie werden nicht nur selbstbewusster; auch Ihr Selbstwertgefühl steigt.

Wenn Sie etwas hören, das Ihnen merkwürdig vorkommt:

  • Überprüfen Sie die Quelle: Wie seriös ist sie? Wie sehr können Sie dieser Quelle Glauben schenken? – Auch hier gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, aber es reicht, wenn Sie sich nach Ihrem subjektiven Empfinden richten.
  • Fragen Sie nach: Woher weißt du das? Wo kommt diese Information her? Wie hast du das erfahren? Welche Belege gibt es dafür?
  • Konfrontieren Sie mit Gegeninformationen: Sobald Sie merken, die empfangene Information passt mit Ihrem Wissensstand nicht zusammen, konfrontieren Sie Ihren Gesprächspartner mit Ihrer Überraschung und der Gegeninformation.

An der Reaktion Ihres Gesprächspartners erkennen Sie, wie überzeugt er selbst von der gerade dargelegten Information ist. Häufig plappern wir Nachrichten einfach nach, ohne sie jemals geprüft zu haben. Informationen, deren Wahrheitsgehalt unsicher ist, werden beim Hinterfragen sofort sichtbar.

Allerdings: Übertreiben Sie es nicht mit dem Hinterfragen. Wenn ich sage »Hinterfrage alles«, dann meine ich »Hinterfrage alles in einem angemessenen Maß«. In Situationen, die eine hohe Relevanz für Ihr Leben haben (Jobwechsel, Partnerwahl, Umzug in eine andere Stadt, Hauskauf, Abschluss eines mehrjährigen Vertrages), lohnt es sich, jede Information aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich Zeit für die Entscheidung zu lassen. Wenn es jedoch nur darum geht, ein Brot zu kaufen, wäre es übertrieben, vor dem Brotkauf alle Bäckereien der Stadt zu googeln, alle Internet-Bewertungen durchzulesen, ein Ranking der Top 5-Bäckereien zu machen und von diesen zunächst ein schriftliches Angebot einzuholen, bevor Sie sich in Bewegung setzen, um ein Brot zu kaufen.

Ich plädiere also weder für Detailverliebtheit noch für eine Haltung des Misstrauens, sondern für eine Haltung der Stärke. Dazwischen liegt ein großer Unterschied.

Ich habe einen Freund, der hinterfragt tatsächlich fast alles. In jeder Lebenslage. Neulich hat er festgestellt, dass das Kartenmaterial auf seinem Navigationsgerät drei Jahre alt ist. Er hat sein Auto aber erst vor zwei Jahren gekauft. Seine Annahme nach dieser Feststellung: Wahrscheinlich hat ihm der Händler beim Kundendienst altes Kartenmaterial aufs Navi geladen, damit er bald ein neues kauft. Aufgebracht über diese »Frechheit« hat er mich angerufen und einen Riesenterz gemacht.

Nachdem ich ihm eine Zeit lang zugehört habe, habe ich ihn ermutigt, seine Annahme doch zunächst einmal zu überprüfen. Das Hinterfragen beim Kundendienst hat ergeben: Für das Automodell, das er hat, wurde vor drei Jahren Kartenmaterial für die nächsten zwei Millionen Fahrzeuge gekauft. Daher hat sein Fahrzeug Kartenmaterial, welches drei Jahre alt ist.

Hätte mein Kumpel nun aufgebracht beim Kundendienst angerufen – weil er auf den Standpunkt beharrt hätte, dass er durch miese Tricks zu unnötigen Zusatzkäufen animiert wird – hätte er sich sicherlich keine Freunde beim Kundendienst gemacht. Im Gegenteil: Er hätte sich den Ruf eines miesepetrigen, negativen Menschen eingehandelt. So aber – durch angemessenes Hinterfragen – konnte er seinen Standpunkt revidieren: Er fühlte sich nicht mehr betrogen, sondern auf einmal gut beraten. Nach dem Gespräch hat er sich beim Kundendienst bedankt – statt sich zu beschweren. Beim Vertreten seines neuen Standpunktes hatte er eine viel größere Selbstsicherheit. Gleich danach rief er mich an, um sich zu bedanken. Seine Worte waren: »Ich habe mich noch nie so stark gefühlt, wie in diesem Moment, als ich »danke« gesagt habe. Ich wusste einfach, das ist die richtige Reaktion. Und der Mann beim Kundendienst war beeindruckt und glücklich.

Das Hinterfragen ist also auch deshalb wichtig, weil es Ihnen die Möglichkeit gibt, Ihren Standpunkt zu revidieren – und einen viel passenderen Standpunkt einzunehmen. Denn Sie erhalten eine Weitsicht, die Sie die Dinge kritisch, aber realistisch einschätzen lässt. Kurz: Sie sehen einen größeren Ausschnitt der Realität, als wenn Sie nicht hinterfragen. Darum hat Hinterfragen nichts mit Pessimismus zu tun, sondern eher mit Optimismus. Es ist eine durch und durch positive, wahrheitsbejahende Haltung, die Ihnen zu einem sicheren Standpunkt verhilft.

Ohne zu hinterfragen wiederum werden Sie Opfer der Manipulation.

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