Responsibility – Verantwortung als Führungskraft ist eine proaktive Haltung im Alltag: Fehler anzusprechen statt zu vertuschen, Entscheidungen zu treffen und zu ihnen zu stehen, Transparenz zu leben und das Team zu schützen. Letztlich geht es darum, konsequent vorzuleben, wofür man steht, und das eigene Handeln als Fundament für Vertrauen und Erfolg zu sehen.
Als Führungskraft praktiziere ich Responsibility, wenn ich:
- bei Problemen zuerst nach meinem eigenen Beitrag zur Situation frage.
- in Krisen nicht nach Schuldigen suche, sondern nach Lösungen.
- Keine Ausreden akzeptiere – weder von mir selbst noch von anderen.
- konsequent in Ich-Botschaften kommuniziere statt in Man- oder Wir-Formulierungen.
- die Lücke zwischen Wissen und Handeln schließe.
Die Eigen-Anteil-Praxis: ein machtvolles Werkzeug
Eine Methode, die ich täglich anwende, ist die Eigen-Anteil-Praxis. Bei jeder herausfordernden Situation stelle ich mir konsequent diese eine Frage: »Was ist mein Anteil an dieser Situation?« Diese einfache, aber kraftvolle Frage verändert die Perspektive radikal. Statt nach äußeren Umständen oder anderen Personen zu suchen, die ich verantwortlich machen kann, richte ich den Blick nach innen und identifiziere, was in meinem Einflussbereich liegt.
Ein konkretes Beispiel: Als ein wichtiges Kundenprojekt in Verzug geriet, analysierte ich meinen Anteil daran: Hatte ich klare Erwartungen kommuniziert? Die richtigen Ressourcen bereitgestellt? Frühwarnsignale übersehen? Diese ehrliche Selbstreflexion führte zu konkreten Handlungsschritten, die wir sofort umsetzen konnten – ohne Zeit mit Schuldzuweisungen zu verlieren.
Der Circle of Influence: Konzentration auf den Einflussbereich
Bei Viessmann Holzfeuerungsanlagen beobachtete ich ein weit verbreitetes Phänomen: Teams verbrachten enorm viel Zeit damit, sich über Dinge zu beklagen, die außerhalb ihres Einflussbereichs lagen – Marktbedingungen, Konzernentscheidungen, Wettbewerber, sogar das Wetter. Um dieses Muster zu durchbrechen, führte ich ein praktisches Visualisierungstool ein: den Circle of Influence. In Workshops zeichneten wir zwei konzentrische Kreise. Im inneren Kreis notierten wir alles, worauf wir direkten Einfluss hatten. Im äußeren Kreis landeten Dinge, die uns zwar betrafen, auf die wir aber keinen direkten Einfluss hatten. Die Anweisung war klar: Konzentriert achtzig Prozent eurer Energie auf den inneren Kreis. Für den äußeren Kreis gibt es nur zwei produktive Strategien: Entweder findet einen Weg, ihn in den inneren Kreis zu bewegen, oder akzeptiert ihn und verschwendet keine Energie damit. Ein Produktionsteam, das ständig über Lieferengpässe bei einem Zulieferer klagte, erkannte durch diese Übung: Sie konnten zwar nicht die Lieferprobleme direkt beheben, aber sie konnten ihre Bestellprozesse optimieren, Alternativlieferanten qualifizieren und Pufferlager für kritische Komponenten einrichten.
Diese einfache Visualisierung veränderte die Gesprächskultur nachhaltig. Wenn jemand anfing zu jammern, fragten Kollegen nur: »Innerer oder äußerer Kreis?« Dies reichte oft aus, um den Fokus wieder auf lösungsorientiertes Handeln zu lenken.
Die Keine-Ausreden-Kultur bei Viessmann HFA
Bei Viessmann HFA stand ich vor einer besonders herausfordernden Situation: Nach zehn Führungswechseln in zehn Jahren hatte sich eine Kultur der Verantwortungsvermeidung etabliert. Bei Problemen war der erste Reflex, auf frühere Entscheidungen oder andere Abteilungen zu verweisen.
Um diese Dynamik zu durchbrechen, implementierte ich eine radikale Keine-Ausreden-Regel:
#1 Verantwortungsübernahme vorleben
Bei meiner ersten Betriebsversammlung übernahm ich öffentlich die Verantwortung für den aktuellen Zustand des Unternehmens – obwohl ich gerade erst angefangen hatte. Diese symbolische Geste setzte einen neuen Ton.
#2 Die Drei-Lösungen-Regel
Wer ein Problem ansprach, musste mindestens drei mögliche Lösungsansätze mitbringen. Diese einfache Regel veränderte die Gesprächsdynamik von »Wer ist schuld?« zu »Wie kommen wir weiter?«
#3 Verbindlichkeits-Protokoll
Jede Vereinbarung wurde mit Namen und Termin dokumentiert. In jedem Meeting begannen wir mit einem kurzen Status-Update zu offenen Punkten. Diese Transparenz schuf Verbindlichkeit ohne Kontrolle.
#4 Die Vierundzwanzig-Stunden-Reflexion
Bei Rückschlägen erlaubten wir vierundzwanzig Stunden für Frustration und Analyse, danach lag der Fokus ausschließlich auf Lösungen. Dies schuf einen gesunden Umgang mit Misserfolgen.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Nach sechs Monaten beobachteten wir eine messbare Veränderung in der Kommunikation. Teams begannen, über ihre eigenen Beiträge zu Problemen zu sprechen, statt auf andere zu zeigen. Die Umsetzungsgeschwindigkeit von Entscheidungen erhöhte sich dramatisch.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel erlebte ich, als ein Produktionsfehler zu einer verspäteten Auslieferung geführt hatte. Anstatt wie früher nach Schuldigen zu suchen, präsentierte der Produktionsleiter eine gründliche Analyse des Vorfalls, seinen eigenen Anteil daran und einen konkreten Plan zur Vermeidung ähnlicher Probleme in der Zukunft. Diese neue Haltung verbreitete sich wie ein positives Virus im Unternehmen.
Ein praktisches Werkzeug: der Verantwortungs-Dreisatz
Eine der wirksamsten Methoden, die ich entwickelt habe, ist der Verantwortungs-Dreisatz. Diese einfache, aber kraftvolle Struktur hilft, in jeder Situation vom Problem zur Lösung zu kommen:
#1 Eigenanteil erkennen
»Mein Anteil an dieser Situation ist …« Hier geht es darum, ehrlich zu reflektieren, ohne in Selbstvorwürfe zu verfallen. Der Fokus liegt auf konkreten Handlungen oder Unterlassungen, nicht auf persönlichem Wert.
#2 Handlungsmacht beanspruchen
»Was ich jetzt tun kann, ist …« In diesem Schritt identifizierst du mindestens drei konkrete Handlungsoptionen. Die Anzahl ist wichtig – sie verhindert das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken.
#3 Verbindliches Commitment aussprechen
»Ich verpflichte mich zu …« Der letzte Schritt ist ein klares, zeitgebundenes Commitment zu einer spezifischen Aktion. Dies schafft Verbindlichkeit und verwandelt Absicht in Handlung.
Als ein strategisches Projekt bei Bösch in Verzug geriet, wendete ich diesen Dreisatz in einem kritischen Meeting an: »Mein Anteil an dieser Verzögerung ist, dass ich die Komplexität der Schnittstellenproblematik unterschätzt und nicht frühzeitig genug nach Unterstützung gefragt habe. Was ich jetzt tun kann, ist: erstens, ein interdisziplinäres Task-Team zusammenstellen; zweitens, externe Expertise hinzuziehen; oder drittens, das Projekt in kleinere, besser handhabbare Module aufteilen. Ich verpflichte mich, bis Montag einen detaillierten Umsetzungsplan für Option eins vorzulegen und das Team zusammenzustellen.«
Diese strukturierte Art der Kommunikation veränderte die Dynamik des Meetings vollständig. Statt in Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen zu versinken, konnten wir uns auf konkrete nächste Schritte konzentrieren. Das Projekt wurde schließlich mit nur zweiwöchiger Verspätung erfolgreich abgeschlossen.
Ich ermutige alle meine Führungskräfte, diesen Dreisatz regelmäßig anzuwenden – insbesondere in herausfordernden Situationen. Er zwingt uns, die Opferhaltung zu verlassen und in die Position des aktiven Gestalters zu wechseln.

Peter Mender ist Führungsexperte und Unternehmer mit internationaler Top-Management-Erfahrung. Er entwickelte das DINAMIS®-Modell – ein praxiserprobtes System empathischer Hochleistungsführung – aus drei Jahrzehnten Berufserfahrung im internationalen Vertrieb und Marketing sowie als Geschäftsführer bei Hilti, Bösch, Viessmann und anderen. Seine Führungsphilosophie verbindet Menschlichkeit mit klarer Zielorientierung. Heute begleitet er mit seiner Beratungsfirma Führungskräfte und Vertriebsteams im DACH-Raum auf dem Weg zu wirksamer, wertebasierter Führung.

