Was wäre, wenn wir nicht scheitern könnten?

Haben Sie einmal beobachtet wie ein Kind Radfahren lernt? Es scheitert sich voran – bis es unendlich stolz auf zwei Rädern davonsaust. Frei nach dem Motto: Try, learn, refine. Und glauben Sie mir ohne Mißerfogle wäre jeder Erfolg nur halb so schön-

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer Verfassung, in der es unmöglich wäre, zu verlieren. Alles gelingt Ihnen. Jeder Schritt, den Sie machen, ist ein Erfolg. Was würden Sie tun?

Es ist ein schöner Gedanke, aber lassen Sie uns ehrlich sein, er ist Ideologie. Nicht scheitern zu können und nur erfolgreich zu sein – ein schönes, aber unrealistisches Gedankenspiel. Dabei träumen viele Menschen genau davon, erfolgreich zu sein, ohne auf dem Weg dorthin zu scheitern. Sie haben große Ziele und Pläne für ihr Leben, welche die meisten nie erreichen. Denn es kam etwas dazwischen. Der Misserfolg.

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Vor einigen Jahren war ich auf einem Alumni-Treffen der Hochschule, an der ich studiert habe. Ich habe viele frühere Kommilitonen getroffen und fand es total spannend zu erfahren, was aus dem einen oder anderen geworden ist. Mir fielen direkt einige ehemalige Studienkollegen ins Auge, die damals der Ich-will-nur-Einsen-schreiben-Fraktion angehörten. Diejenigen, die alles guten Noten untergeordnet haben und dachten, eine Zwei zerstörte ihre Karriere.

Die meisten von diesen hatten zu Studienzeiten große Ziele. So gut wie jeder wusste, was er in seinem Leben erreichen möchte. Jeder von ihnen hatte eine Vision und das ist schließlich die Grundvoraussetzung für Erfolg. Einige von ihnen haben von tollen, gut bezahlten Jobs in großen, international agierenden Unternehmen geträumt. Andere wollten bei den führenden Unternehmensberatungen arbeiten. Wiederum andere träumten von ihrem eigenen Unternehmen und dem Leben in der Selbstständigkeit. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, weil es mich damals faszinierte. Vielleicht war ich auch etwas neidisch. Ich wusste zu Studienzeiten noch nicht, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Mir fehlte die Vision. Es gab eine, vor dem Studium, aber die hat ein jähes Ende genommen.

Die wenigsten lebten ihren Traum. Kaum einer hat auch nur eines seiner großen Ziele erreicht oder befand sich auf einem guten Weg dorthin. Der eine hat seine Ziele früh über Bord geworfen, nachdem er in der Bewerbungsphase nach dem Abschluss eine Absage nach der anderen bekommen hatte. Der andere war mittlerweile bei Studium Nummer drei, weil er der Meinung war, ein Bachelor und ein Master reichen nicht, um am Markt zu bestehen. Wieder ein anderer war arbeitslos und Kandidat Nummer vier war am Jammern, weil er mit seinem Unternehmen nach drei erfolgreichen Jahren pleitegegangen ist. Er beschwerte sich in einem Zuge, wie schlimm und unfair das Leben sei, und fragte sich, warum ausgerechnet er so viel Pech haben musste.

Ich konnte das nicht verstehen. Für mich waren das keine Gründe, seine Ziele nicht zu erreichen oder, was noch schlimmer ist, sie zu verwerfen. Ich habe nach meinem Studium auch über ein Jahr lang keinen Job gefunden, trotz weit über dreihundert Bewerbungen und Absagen am fließenden Band. Meine ersten Erfahrungen in der Selbstständigkeit waren eher mäßig. Mein Weg zum Redner und Buchautor war von so vielen Hürden, Hindernissen und Rückschlägen gepflastert, dass ich oftmals kurz davor war aufzugeben. Würde ich andere Menschen aus meinem Umfeld fragen, ob ich in meinem bisherigen Leben Pech hatte, würden sie, ohne mit der Wimper zu zucken, »Ja« sagen. Trotzdem bin ich meinen Weg gegangen und habe meine Ziele beharrlich verfolgt.

Neben der Ich-will-nur-Einsen-schreiben-Fraktion waren da noch die durchschnittlichen bis weniger guten Studenten, zu denen ich damals auch gehörte. Die meisten, mich eingeschlossen, sind ihren Weg gegangen. Viele über Umwege, aber der Großteil hatte seinen Platz im Leben gefunden und machte auf mich einen glücklichen Eindruck.

Natürlich darf man das nicht verallgemeinern, was auch gar nicht meine Absicht ist. Es gibt genügend ehrgeizige Studenten, die ihr Studium mit ausgezeichneten Noten beendet haben und ihr Traumleben leben oder auf dem Weg dorthin sind. Trotzdem habe ich mich gefragt, wie das sein kann. Wie können Menschen, die ihr Studium mit Auszeichnung beendet haben, mit so großen Träumen und Zielen im Kopf, kaum etwas von diesen erreichen? Niemand von denen ist auf den Kopf gefallen, ganz im Gegenteil, es sind alles intelligente Menschen. Das Studium lag jetzt schon über zehn Jahre zurück. Eine verdammt lange Zeit, in der jeder von uns viel schaffen und erreichen kann.

Es liegt in unserer Natur, dass wir nach solchen bewussten Erfahrungen anfangen, etwas genauer hinzuschauen und uns damit beschäftigen. Ein Blick in mein direktes und erweitertes, damaliges Umfeld hat schnell gezeigt: Die meisten haben große Träume und Ziele, leben und erreichen diese aber nicht. Besonders nach Vorträgen höre ich immer wieder das Gleiche: Eigentlich möchte man in seinem Leben ganz was anderes machen, aber die wenigsten tun genau das. Und warum? Weil sie nicht scheitern können! Wer immer nur Erfolge hatte, lässt sich von einer Niederlage schnell entmutigen und bleibt im schlimmsten Fall lange handlungsunfähig.

Das Ganze fängt in der Schule schon an. Wir werden von klein auf immer nur bewertet und benotet. Anstatt sich einfach mal über die Erkenntnis zu freuen, dass wir auf dem falschen Weg sind und somit die Chance haben, einen besseren zu wählen. Aber nein, weit gefehlt. Stattdessen werden wir dafür mit einer schlechten Note bestraft.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was ich Ihnen damit sagen möchte. Es ist ganz einfach: Wir lernen in jungen Jahren bereits, gute Noten zu schreiben und erfolgreich zu sein, aber wir lernen nicht, zu scheitern. Weder in der Schule noch im Studium oder der Ausbildung und schon gar nicht im Berufsleben. Das führt letztlich dazu, dass uns unsere irrationalen Gedanken leiden lassen, sobald etwas schiefläuft. Als Reaktion darauf geben wir dann unsere Vorhaben auf und retten uns vor dem Scheitern, indem wir unsere Ziele begraben.

»Dreier-Kandidaten beherrschen die Welt«

(Harry S. Truman, 33. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika)

Vor einigen Monaten, als ich begonnen habe, dieses Buch zu schreiben, habe ich durch Zufall einen sehr interessanten Beitrag in der Huffington Post gelesen. Der Artikel hatte den Titel »Zehn Gründe, warum Schüler mit schlechten Noten im echten Leben erfolgreicher sind«. Die eigentliche These des Beitrags war recht simpel und spiegelt die Einstellung vieler Menschen wider: Gute Noten bedeuten einen guten Abschluss. Ein guter Abschluss bedeutet einen Studienplatz an einer prestigeträchtigen Universität. Ein Abschluss an einer prestigeträchtigen Universität wiederum ist ein Garant für einen gut bezahlten Job. Ein gut bezahlter Job legt den Grundstein für ein glückliches und erfolgreiches Leben.

Bill Gates, Mark Zuckerberg, Steve Jobs – haben keinen Universitätsabschluss. Peer Steinbrück ist zweimal in der Schule sitzen geblieben. Albert Einstein, Elton John und Tumblr-Gründer David Karp haben sogar die Schule abgebrochen.

Der Autor des Beitrags hat sich im weiteren Verlauf mit der Frage auseinandergesetzt, wie es denn sein kann, mit solch schlechten schulischen Leistungen so Außergewöhnliches zu erreichen. Das Ergebnis sind zehn Gründe, warum Nicht-Musterschüler später die erfolgreicheren Menschen werden. Der letzte und zugleich wichtigste Grund: Sie können scheitern! Eine Lektion, die jeder lernt, wenn er nicht nur Einsen schreibt. Jeder von Ihnen, der schon einmal zu einer Nachprüfung antreten musste, hat seinen früheren Mitschülern oder Kommilitonen, die immer Bestnoten hatten, eine Stehaufmännchen-Mentalität voraus. Sie wissen, wie es ist, zu scheitern. Dadurch, dass in der Schule nicht immer alles glatt lief, konnten Sie sich einen enormen Vorteil erarbeiten, denn Sie haben keine Angst vor Fehlern, die so viele überehrgeizige Menschen lähmt.

Kaum jemand schätzt Situationen, in denen Dinge einfach mal schieflaufen oder wir es schlicht und einfach versauen. Wer gesteht sich schon gerne ein, an einer Aufgabe gescheitert zu sein? Oder eine falsche Entscheidung getroffen zu haben? Ein ganzes Projekt vor die Wand gefahren zu haben? Sicherlich die wenigsten. Die meisten Menschen vergessen dabei nur einen entscheidenden Punkt: Wann immer ich etwas beginne, kann ich auch verlieren. Und das ist großartig!

Ja, Sie haben richtig gelesen, es ist großartig! Es kommt so oft vor, dass Fehlschlüsse zu großen Entdeckungen führen. Wer an seinen Niederlagen wachsen möchte, der muss richtig mit ihnen umgehen. Glauben Sie mir, ich bin genauso oft gescheitert wie alle anderen auch. Vielleicht sogar öfter. Aber es hat mich nie davon abgehalten, meine Ziele weiter zu verfolgen. Ganz einfach deswegen, weil ich anders mit meinen Rückschlägen umgegangen bin.

Vor vielen Jahren habe ich in meinem damaligen Freundeskreis den Titel »Künstler des Scheiterns« erhalten. Das war indirekt als Kompliment gemeint, denn sie nannten mich so, weil ich bei den verschiedensten Dingen gescheitert bin, es letztlich aber immer irgendwann geschafft habe. Früher habe ich dem keine Bedeutung beigemessen. In den letzten Jahren habe ich mich aber zunehmend gefragt, was das eigentlich genau bedeutet: Künstler des Scheiterns. Zugegeben, es klingt jetzt nicht positiv, oder vielleicht doch?

Was kann der Künstler des Scheiterns, was andere nicht können? Und ist er am Ende vielleicht doch derjenige, der seine persönlichen Ziele erreicht, erfolgreich ist und ein glückliches sowie erfülltes Leben führt?

Der Unterschied zwischen erfolgreichen und erfolglosen Menschen ist, dass erfolgreiche Menschen anders auf Misserfolge reagieren. Erfolglose Menschen jammern über die Umstände, das Schicksal, die ungerechte Welt, den bösen Chef, verbunden mit der quälenden Frage: »Warum zum Teufel immer ich?« Fehler wollen sie nicht wahrhaben, ignorieren sie oder machen immer wieder die gleichen. Erfolgreiche Menschen hingegen fragen sich: »Wozu bin ich gescheitert und was kann ich ändern?« Sie nutzen ihre Niederlagen, um besser zu werden. Es ist die identische Ausgangssituation, aber beide werden einen völlig anderen Weg im Leben gehen. So schön die Frage »Was wäre, wenn ich nicht scheitern könnte?« auch ist, die wirklich wichtigen Fragen sind: Wie reagiere ich auf das, was passiert und wie will ich auf das reagieren, was mir passiert?

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