So machen Sie sich richtig wütend

Kennen Sie die häufigste Ursache für Konflikte? Nein, es sind nicht die unnachgiebigen anderen. Es ist Ihr Kopfkino. Regelmäßig treffen Sie unrealistische positive Annahmen und wenn diese nicht erfüllt werden, ist der Konflikt so gut wie vorprogrammiert. Machen Sie sich das bewusst!

Oft höre ich in Trainings Aussagen wie folgende: »Der Geschäftsführer hat in Harvard studiert, da kann er doch nicht so inkompetent mit seinen Mitarbeitern umgehen!!!«

Meine Antwort darauf ist die: Es gibt die Regenbogenwelt und die reale Welt. Die Regenbogenwelt ist die vorgestellte Welt, in der alles so ist, wie es sein sollte. Geschäftsführer sind sozial kompetent, Mitarbeiter sind aus sich heraus motiviert und ausschließlich in dem Job, den sie lieben, und alle gehen freundlich und fair miteinander um. Und dann gibt es da noch die reale Welt: Nur weil ein Geschäftsführer in Harvard studiert hat, ist er noch lange nicht sozial kompetent, Mitarbeiter haben auch mal schlechte Tage oder ganz andere Sorgen und andere Beweggründe für ihren Job, viele Menschen sind verletzt und daher eher schwierig im Umgang … Man kann nun sagen, dass die Regenbogenwelt aber richtig ist. Sie ist die moralisch richtige Welt und viele haben das Gefühl, dass sie ein Recht auf diese Welt haben. Ich kann dem nur zustimmen und sagen, dass ich auch finde, dass Führungspersonen und Mitarbeiter all die wunderbaren Eigenschaften haben sollten, die wir uns von ihnen wünschen. Das Problem ist nur, dass unser Fokus auf das, was sein sollte, den Blick auf das verstellt, was wirklich ist. Wir können nicht mit jemandem zusammenarbeiten, gut verhandeln oder gar einen Konflikt lösen, wenn wir so tun, als wäre er ganz anders, als er ist. Nur wenn wir uns der – vielleicht enttäuschenden Wahrheit (eine Täuschung fällt von uns ab) – stellen, können wir im Kontakt mit der Person das Bestmögliche erreichen.

Wenn wir uns der Realität stellen und uns auf eine reale Lösung mit unserem Gegenüber geeinigt haben, ist das das Bestmögliche. Und das kann mehr sein, als wir uns vorher erhofft hätten. Es kann aber natürlich auch sein, dass die Erkenntnis, was mit dieser Person möglich ist, und die folgende Lösung sehr ernüchternd ausfallen.

So oder so können wir nur von der realen Situation ausgehen. Mehr als das Bestmögliche für diese Situation, mit dieser Person gibt es für den Moment nicht. Wenn wir das Ergebnis nicht akzeptieren können, macht es Sinn, die Situation ganz zu verändern. Ich denke oft an das bekannte Motto ›Love it, change it or leave it‹. – Liebe deine Situation, verändere sie oder verlasse sie. In schwierigen Situationen können wir uns fragen: Was ist mir wichtig? Welche Bedingungen für die Zusammenarbeit oder Beziehung möchte ich auf jeden Fall erfüllt haben? Wie kann ich das in diesem Fall erreichen? Falls ich es nicht erreichen kann, welche Alternativen sehe ich? (Wenn Sie den Eindruck haben, Ihre Situation ist nicht mehr positiv zu gestalten, finden Sie im späteren Kapitel Trennung kann eine Lösung sein auf Seite 82 ff. noch weitere hilfreiche Gedanken.)

Tipp: Wenn wir aufhören, uns darüber zu ärgern, dass die Realität nicht unsere Erwartungen erfüllt, können wir real umsetzbare Lösungen finden.

Der zu gut bezahlte Chef und der faule Mitarbeiter

Gerade haben wir uns mit zu positiven Annahmen beschäftigt, die eine Konfliktlösung erschweren können. Aber natürlich können uns auch negative Annahmen oder unbewusste Glaubenssätze im Weg stehen. Wie können wir uns also noch zusätzlich erfolgreich wütend machen und vielleicht sogar Konflikte aus dem Nichts erschaffen?

›Hilfreich‹ sind hier Glaubenssätze wie: »Vorgesetzte sind grundsätzlich zu gut bezahlt und inkompetent. Mitarbeiter denken selber viel zu wenig und sind sowieso faul und unmotiviert. Und überhaupt ist die Welt schlecht.«

Wie führen uns solche oder ähnliche Glaubenssätze in Konflikte? Es gibt im Leben viele Situationen, die einer Interpretation bedürfen. Und sobald wir nicht sicher sind, warum ein Mitarbeiter oder eine Führungskraft auf eine bestimmte Weise gehandelt hat, springen unsere Vermutungen – unsere oft gar nicht bewussten Glaubenssätze ein, um uns die Welt zu erklären. Geht der Mitarbeiter früher als sonst aus dem Büro – klar: faul und unmotiviert. Dabei hat er vielleicht gerade einen neuen Kunden akquiriert und stattet ihm noch spontan einen Besuch ab. Oder der Chef fährt nicht nur mit einem neuen Auto auf den Hof, er grüßt dann noch nicht mal – klar: zu gut bezahlt und dann noch nicht einmal Manieren. Aber vielleicht hat er lange auf das Auto gespart oder etwas geerbt und war dann gerade abgelenkt, als er natürlich hätte grüßen wollen …

Ich habe auch für mich festgestellt, dass es sich immer, wenn ich wütend bin, lohnt, mir zu überlegen, was ich eigentlich erwartet hatte. Hatte ich eine unrealistisch positive oder negative Erwartung? Was habe ich übersehen? Will mein Gegenüber vielleicht in meinem Sinne handeln, tut es aber auf eine ganz andere Weise, als ich es tun würde?

Vielleicht passiert es Ihnen auch, dass Sie hin und wieder überrascht sind, wie schnell sich Wut auflösen kann, wenn Sie sich in Ruhe überlegen, welche Erwartung sie unbewusst gehegt haben.

Tipp: Wenn wir wütend sind, lohnt es sich sehr, uns zu fragen: Was hatte ich eigentlich erwartet? Wenn wir unsere Erwartungen hinterfragen und loslassen, können wir die Realität wieder wahrnehmen. Und oft ist dann die Wut bereits verraucht.

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