Das Kürbisproblem – Was will der eigentlich?

Regelmäßig führen unterschiedliche Positionen zu suboptimalen Ergebnissen oder gar Konflikten. Eine der Hauptursachen ist, dass man die hinter einer Position liegenden Interessen nicht kennt. Doch woran erkenne ich eine Position und woran die dahinterliegenden Interessen? Die Kommunikationsexpertin Monika Heilmann erklärt, wie sie der Position auf den Grund gehen …

Eine Geschichte, in der der Unterschied zwischen Interesse und Position klar wird

Zwei Personen streiten sich um einen Kürbis. Jede dieser beiden Personen möchte den Kürbis haben – um jeden Preis. Beide versichern sich gegenseitig, dass ihnen der Besitz des Kürbisses äußerst wichtig ist. Als Lösung ihres Problems einigen sie sich darauf, den Kürbis in der Mitte durchzuschneiden. Mit dem Ergebnis, dass beide unzufrieden sind. Weshalb?

Die beiden haben nur ihre Forderung, ihre Position „Ich möchte den Kürbis haben“ ausgetauscht, ohne sich jeweils nach dem dahinter liegenden Interesse zu erkundigen. Ohne danach zu fragen, welche Verwendung von jedem mit dem Kürbis vorgesehen ist. Hätten die beiden sich füreinander interessiert, also versucht herauszufinden, was den anderen bewegt und wofür ihm der Kürbis wichtig ist, hätten sie Folgendes festgestellt: Eine Person wollte die Hülle des Kürbisses haben, um diesen auszuhöhlen, ein Gesicht hineinzuschnitzen und den Kürbis mit einer brennenden Kerze in den herbstlichen Vorgarten zu stellen.

Die andere Person wollte den Inhalt, das Fruchtfleisch des Kürbisses, um daraus eine leckere Kürbiscremesuppe zu kochen.

Hätten die beiden Personen einander einfach gefragt, wofür ihnen der Kürbis wichtig ist, was jeder von ihnen mit dem Kürbis tun möchte, wozu sie ihn verwenden möchten. Hätten sie doch nur mal versucht, ihr hinter der Position „Ich möchte den Kürbis haben“ liegendes Interesse herauszufinden. Es wäre so einfach gewesen!

Interessen und Positionen vergleichen

Natürlich können auch gegensätzliche, einander widerstehende Interessen vorliegen. Umso grundlegend wichtiger ist es in Gesprächen, die Interessen beider Seiten aufzudecken und festzuhalten, was verbindet und was trennt.

Interessen 

  • Sind die Wünsche und Bedürfnisse oder Motive hinter den Positionen
  • Bieten Raum für Optionen und kreative Lösungen
  • Kenntnisse über Interessen sind für ein besseres gegenseitiges Verständnis unabdingbar. Wichtig: Verdeckte Interessen aufspüren
  • Interesse = Was sind die Bedürfnisse?
  • „Ich möchte den Kürbis haben, um …”

  • „Ich brauche den Kürbisinhalt, weil …”

  • „Für mich ist der Kürbis wichtig, weil …”

Positionen

  • Sind der nach außen vertretene Standpunkt
  • Sind Forderungen, Meinungen oder Behauptungen
  • Es gilt, die Motive dahinter herauszufinden
  • Position = Was ist die Meinung?
  • „Ich möchte den Kürbis haben.”
  • „Der Kürbis steht mir zu.”

Wie finden Sie die Interessen heraus?

  • Stellen Sie Fragen und nochmals Fragen!
  • Versetzen Sie sich in den anderen hinein. Seien Sie empathisch!
  • Zeigen Sie Wertschätzung, nehmen Sie eine wertschätzende innere Haltung zu Ihrem Gesprächspartner ein.

Tipp: Liefern Sie den Grund, weshalb Sie den Kürbis haben möchten und weshalb Sie ihn brauchen! Das Interesse ist der Grund, die Motivation, für den die Position steht. Es ist das, was Ihren Gesprächspartner wirklich interessiert, was er wirklich möchte!

Beispiele für Fragen:

  • „Aus welchen Gründen möchten Sie, dass …”
  • „Was bewegt Sie dazu, dass …”
  • „Wofür ist Ihnen das wichtig?” (Weitere „W-Fragen“ finden Sie in Kapitel 6)

Aus einem Coaching: Vorbereitung eines Coachees auf ein Gespräch

Die Abteilung Organisationsentwicklung einer Verwaltung plant in einer Außenstelle aufgrund von Kosteneinsparungen beziehungsweise zurückgehender Umsatzzahlen zwei nicht besetzte Personalstellen abzubauen. Ein Gespräch meines Coachees, Mitarbeiter in der Organisationsentwicklung, mit dem Geschäftsführer der Außenstelle steht an.

Interessen des Mitarbeiters Organisationsentwicklung  

  • Personalkosten sparen durch Abbau von Planstellen, gegebenenfalls dadurch Sparen von Raumkosten
  • Erhalt der anderen Arbeitsplätze
  • Erhalt der Außenstelle für die Kunden
  • Erhalt und Ausbau des Kundenservices   

Interessen des Geschäftsführers

  • Erhalt der Außenstelle und der Arbeitsplätze
  • Erhalt und Ausbau des Kundenservices
  • Schnelle Besetzung der Planstellen, um damit auch die Höhergruppierung des Geschäftsführers sicherzustellen (Die Eingruppierung ist abhängig von der Anzahl der Mitarbeiter)

Es ist durchaus auch möglich, dass die Positionen der Gesprächspartner dieselben sind und die beiden trotzdem nicht zu einer Einigung kommen. Auch hier ist es wichtig für die Gesprächspartner, die hinter den Positionen steckenden Interessen herauszufinden.

Aus einem Coaching für ein Ehepaar, das dringend Urlaub benötigt, beide sind völlig erschöpft von ihrer Arbeit.

Interessen der Ehefrau   

  • Abschalten im Urlaub
  • Aktiv werden
  • Zeit mit dem Partner genießen
  • Sportliche Aktivitäten
  • Mit netten Menschen zusammen sein
  • Spaß haben
  • Neue Leute kennenlernen
  • Ausflüge unternehmen

Interessen des Ehemannes

  • Ruhe genießen
  • Ein Buch lesen
  • Beine ausstrecken
  • Nichts tun
  • Zeit mit der Partnerin verbringen
  • Gemütlich die Mahlzeiten einnehmen
  • Abschalten
  • Ausschlafen

Halten Sie Ihre Interessen und die Interessen des anderen schriftlich fest, beispielsweise auf einer Flipchart-Tafel. Für beide sichtbar. Beachten Sie und notieren Sie vor allem auch vermeintlich belanglose oder momentan nicht relevante Interessen.

Unser Fehler liegt meistens darin, dass wir der Meinung sind, die einzige richtige Lösung zu wissen. Deshalb entwickeln wir einen Tunnelblick und sehen die Lösungen rechts und links des Weges nicht mehr oder wollen diese nicht mehr sehen. So gehen Sie vor:

Ungünstige Aussage   

  1. Meine Position/Position des Gesprächspartners. Besser: Notieren Sie die Positionen auf einer Flipchart-Tafel oder wenigstens auf DIN A 4-Papier, um diese von beiden Gesprächspartnern schriftlich und sichtbar festzuhalten.
  2. Meine Interessen/Interessen des Gesprächspartners. Besser: Hinterfragen Sie, was dahinter steht oder steckt. Notieren Sie diese Interessen auf einer zweiten Seite. Hinter gegensätzlichen Positionen können durchaus gemeinsame und ausgleichbare Interessen liegen – sowie natürlich auch sich widersprechende. Listen Sie auch Interessen auf, die Ihnen zunächst unwichtig erscheinen. Manchmal bemerken wir die Wichtigkeit erst, wenn wir das Thema notiert haben oder sogar noch später.
  3. Was sind unsere Gemeinsamkeiten/unsere gemeinsamen Interessen? Besser: Finden Sie die Übereinstimmungen heraus und notieren Sie diese auf einer dritten Seite. Worin liegen Sie mit Ihrem Gesprächspartner bereits auf einer Linie, welches sind Ihre gleichartigen Interessen?
  4. Wir haben noch unterschiedliche Auffassungen und Interessen in folgenden Punkten: … Besser: Nun kommen Sie zum Kern Ihres Gesprächs, zu den Themen, die Sie noch trennen. Wo die Interessen zwischen Ihnen beiden noch auseinander sind, für die Sie noch eine Lösung finden wollen oder müssen. Halten Sie diese auf einer weiteren Seite fest.

Das Aufzählen und Notieren der verschiedenen Interessen hat noch einen weiteren Vorteil. Schauen Sie sich diese Aufzählung genau an. Sie gibt ihnen die Möglichkeit, über Tauschgeschäfte nachzudenken. Sie wissen: Gespräche zu führen ist ein Geben und Nehmen. Deshalb sollte Sie das Festhalten der unterschiedlichen Interessen zu Tauschgeschäften inspirieren.

Das Grundproblem bei einem Gespräch liegt nicht in gegensätzlichen Positionen, sondern im Konflikt der beiderseitigen Sorgen, Nöte, Engpässe, Wünsche und Ängste. Sorgen und Wünsche sind Interessen! Die Interessen sind die Gründe dafür, eine entsprechende Position beziehungsweise entsprechende Ziele zu vertreten. Hinter gegensätzlichen Positionen können durchaus gemeinsame, miteinander vereinbare Interessen stecken. Beispiel Kürbis. Das gilt auch dann, wenn es am Anfang nicht so scheint.

Tipp: Zum Vorteil beider Gesprächspartner ist es, Folgendes zu überlegen: „Wenn ich Ihnen bei X entgegenkomme, wie weit können Sie dann mir bei Y entgegenkommen?“ Wenn Sie das Interesse oder Bedürfnis des anderen zufriedenstellend erfüllen konnten, dann wird er auch Ihnen leichter einen Gefallen tun.

So denken zu lernen, das ist ein Ziel des Harvard-Konzeptes. Sie haben bestimmt etwas im Hintergrund, was Sie leicht abgeben können. Probieren Sie mal aus, was Sie dafür vom Gesprächspartner als Gegenleistung bekommen können.

Wenn Sie in einem Gespräch nicht weiterkommen, wenn Sie festsitzen oder ein Vorwärtskommen blockiert ist, haken Sie nach:

  • Weshalb ist gerade diese Position für Ihren Gesprächspartner so wichtig?
  • Welche Ideen, Vorstellungen, Interessen verbergen sich dahinter?

Denken Sie darüber nach: Vielleicht sind die Argumente und Positionen Ihres Gesprächspartners gar nicht so übel? Betrachten Sie die Interessen von Ihnen beiden, die hinter den Positionen stehen. Welche Gemeinsamkeiten entdecken Sie?

Die Grundfrage für Ihr Gespräch lautet: Welches Interesse steckt auf beiden Seiten hinter den Positionen beziehungsweise hinter den Forderungen? Positionen sind starr und festgelegt, mit Interessen können Sie aufeinander zugehen und aufeinander eingehen. Nehmen Sie sich Zeit und die Geduld, die Interessen beider Gesprächspartner herauszufinden und diese genau zu betrachten. Öffnen Sie Ihr Visier für verschiedene Lösungsoptionen und denken Sie daran: Es gibt nicht nur die eine Lösung – sondern meistens mehrere! Wir müssen es nur zulassen, diese zu sehen!

Ihre innere Einstellung

Voraussetzung für Ihr Interesse an Ihrem Gesprächspartner sollte selbstverständlich sein, dass Sie wirklich wissen wollen, was hinter seiner Position steckt. Dass Sie ihn und seine Wünsche, Interessen und Bedürfnisse verstehen wollen und respektieren.

Sicher ist: Der andere spürt, ob Sie in einem Seminar oder mit diesem Buch Floskeln auswendig gelernt oder sich antrainiert haben, um damit nach seinen Interessen zu fragen, weil es eben laut dem Harvard-Konzept so sein muss.

Der andere bemerkt sehr wohl, ob Sie seine Interessen und Bedürfnisse erfragen, weil es Ihnen ein echtes, inneres Anliegen ist, auf ihn einzugehen. Ob es Ihnen wirklich wichtig ist, mit ihm eine gemeinsame Lösung, eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu erreichen.

Wenn Sie ein Gespräch führen mit dem Gedanken, dass nur Ihr Lösungsvorschlag (beziehungsweise nur Ihre Position) der einzig richtige ist und Ihr Gesprächspartner sich Ihren Argumenten anschließen muss, weil ausschließlich Ihre Argumente stichhaltig sind, wird es schwierig für Sie werden, eine zufriedenstellende, ja überhaupt eine Lösung zu erreichen.

Denken Sie einmal darüber nach: Vielleicht sind die Argumente und Positionen Ihres Gesprächspartners gar nicht so übel? Betrachten Sie die Interessen von Ihnen beiden, die hinter den Positionen stehen. Welche Gemeinsamkeiten entdecken Sie?

In meinem Seminar „Erfolgreich Verhandeln“, in welchem eine konstruktive, wertschätzende Gesprächsführung in Verhandlungssituationen geübt wird, trainieren die Teilnehmenden unter anderem die Vorbereitung und den Aufbau ihrer Argumentation. Dazu gehört, sich in die Situation des Gesprächspartners hineinzuversetzen (gedanklich in seine Haut zu schlüpfen) und Einwände und Gegenargumente, die vom anderen auf die eigenen Argumente vorgebracht werden könnten, zu finden.

Ein weiterer Teil der Übung ist, auf diese Einwände mit wertschätzenden, Interesse zeigenden Fragen einzugehen. Das ist nicht einfach, führt aber bei den meisten Teilnehmenden zu zwei Aha-Erlebnissen. Einerseits stellen sie fest, dass die Einwände des anderen durchaus berechtigt und nachvollziehbar sind. Und andererseits bemerken sie, dass sie sich bis dato vor einer Verhandlung oder einem Gespräch noch nie so intensiv in den Gesprächs- oder Verhandlungspartner hineinversetzt hatten.

Durch diese Übung eignen sich die Seminarteilnehmenden völlig neue Sichtweisen an. Sie sagten, sie hätten bisher immer versucht, den anderen möglichst massiv und ausdauernd mit ihren Argumenten zu überzeugen. Und je mehr der andere widersprochen und Einwände gebracht habe, umso vehementer hätten sie ihre Argumente vertreten und sich somit gegenseitig hochgeschaukelt.

Ein Wechsel der Perspektive oder wenigstens gedanklich in die Haut des Gesprächspartners zu schlüpfen ist überaus lohnenswert, Erfolg versprechend und in Konfliktsituationen deeskalierend.

 

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