ChatGPT als Ghostwriter

Macht es wirklich Sinn, ChatGPT als Ghostwriter für das Schreiben von Fachartikeln zu „engagieren“? „Der ‚Autor‘ dieses Artikels hält mich für blöd.“ Dieses Gefühl haben Redakteure von Fachzeitschriften immer öfter, wenn ihnen Berater oder allgemein „Spezialisten für …“ vereinbarte Fachartikel für ihre Magazine mailen.

Denn wenn sie die Artikelentwürfe lesen, stellen sie nicht selten fest: Dieses Manuskript wurde eindeutig nicht von dem Berater bzw. „Spezialisten für …“, sondern von ChatGPT verfasst. Ist dies der Fall, erkennen erfahrene Redakteure dies meist schnell, denn die von dem KI-System erstellten Artikel sind in der Regel alle nach dem gleichen Strickmuster bzw. Schema verfasst.

ChatGPT ist eben doch eine Maschine und kein Mensch!

So wird in deren Einstieg zumeist in modifizierter Form zunächst nochmals der Auftrag wiederholt, den der Berater bzw. „Spezialist für …“* mit seinem Prompts ChatGPT gab.

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Der Einstieg lautet also zum Beispiel:

„In der modernen von rascher Veränderung geprägten Arbeitswelt wird es immer wichtiger, dass Führungskräfte über die Kompetenz ‚Tritratrulala‘ verfügen. Dieser Artikel erläutert den Lesern, was der Begriff Tritratrulala bedeutet und worin sich diese Kompetenz im Betriebsalltag zeigt. Außerdem beschreibt er an konkreten Beispielen aus dem Firmenalltag, wie Führungskräfte ihre Tritratrulala-Kompetenz steigern und Unternehmen sie hierbei unterstützen können.“

ChatGPT arbeitet die Teilaufträge sehr systematisch ab

Erst danach beginnt der eigentliche Artikel, in dem die vorgenannten Punkte systematisch abgearbeitet werden. Und am Schluss des Artikels befindet sich stets ein „Fazit“, in dem die Kernaussagen des Artikels nochmals zusammengefasst sind. Dabei sind Redakteure der Auffassung: Wenn ein Artikel gut geschrieben ist, also seine Kernbotschaften klar rüberkommen, dann ist ein Fazit am Schluss reine Platzverschwendung.

Der Ghostwriter ChatGPT erfüllt selten die Erwartungen der Redakteure

Stellen Redakteure fest, dass ein Artikel nach dem vorgenannten Grundschema gestrickt ist, dann ist ihnen in der Regel auch schon klar und zwar ohne dass sie die Passagen zwischen der Einleitung und dem Fazit gelesen haben: Dieser Artikel entspricht nicht den Erwartungen, die ich als Fachredakteur an einen Fachartikel habe, denn er kaut weitgehend nur die Inhalte wider, die Interessierte auch jetzt schon beim Googeln im Internet problemlos finden – denn anhand dieser Inhalte erstellte ChatGPT den Artikelentwurf, unter dem nun der Name des Beraters bzw. „Spezialisten für…“ als Autor steht.

Fachartikel zeichnen sich durch eine differenzierte Betrachtung aus

Was in dem Artikel jedoch mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fehlt, ist zum Beispiel eine differenzierte Betrachtung,

  • warum die Tritratrulala-Kompetenz in manchen Branchen und Unternehmensbereichen bzw. Professionen wichtiger als in anderen ist oder
  • warum die Tritratrulala-Kompetenz – unter einem neuen (meist englisch-sprachigen) Begriff – plötzlich so gehypt wird, obwohl sie eigentlich ein alter Hut ist, oder  
  • mit welchen Problemen die Unternehmen im Betriebsalltag kämpfen, wenn sie die Tritratrulala-Kompetenz bei ihren Führungskräften entwickeln möchten.

In Fachartikeln muss man die Felderfahrung der Berater spüren

Was in dem Artikel fehlt, ist also genau das, warum der Fachredakteur den Berater bzw. Spezialisten, als einen Mann (bzw. eine Frau) aus der Praxis, bat, einen Artikel für sein Magazin zu schreiben und er nicht selbst entsprechende Prompts bei ChatGPT eingab – was er nicht nur ebenso gut, sondern oft sogar besser bzw. zielgenauer als der Berater bzw. „Spezialist für…“ hätte tun können, da er im Regelfall die Leserschaft seines Magazins und deren Erwartungen besser kennt.

Erhalten Redakteure – meist kurz vor Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe – ein solches Manuskript von einem Berater, dann haben sie meist ein Problem, nämlich: Sie müssen das Manuskript entweder selbst umschreiben, damit dieses ihren Erwartungen und denen der Leserschaft entspricht, oder sie müssen in ihrem Magazin mangels Alternative oder aufgrund des Zeitdrucks den Artikel weitgehend so, wie er ist, publizieren, obwohl er eigentlich nicht ihren Qualitätsanforderungen entspricht.

Ein Fachartikel ist mehr als ein Social Media-Post 

Dies ist immer häufiger der Fall, da viele Spezialisten gleich welcher Couleur vor ihrer Entscheidung „Nutze ich ChatGPT oder nicht?“ nicht reflektieren, möchte ich

  • einen Post für die Social Media (der primär der Kommunikation „en passant“ dient),
  • einen Blog- oder Wiki-Beitrag für meine Webseite (der primär meine Internet-Präsenz puschen soll) oder
  • einen Artikel für Fachzeitschriften (mit dem ich primär meine Expertise und Felderfahrung als Berater zeigen möchte)

schreiben. Sie nutzen stattdessen für alle vorgenannten Texte (und viele mehr) ChatGPT sozusagen als Ghostwriter. Entsprechend ist häufig die Qualität ihrer Fachartikel-Entwürfe. Sie ist nicht höher als die der Posts, die sie in ihren Social Media Accounts, oder der Blog- und Wiki-Beiträge, die sie auf ihren Webseiten publizieren. Als „Experten für …“ profilieren sie sich hierdurch nicht.

Viele Berater sind stolz auf ihre mit ChatGPT erstellten Artikel

Dies den „Artikelautoren“ offen zu sagen, fällt jedoch nicht nur uns als PR-Berater, die ebenfalls häufig mit ChatGPT-Texten konfrontiert sind, schwer. Denn die Praxis zeigt: Nicht wenige Berater sind auf die Artikel, die ChatGPT anhand ihrer Prompts erstellt hat, mindestens ebenso stolz wie auf Artikel, die früher ihrer eigenen Feder (und ihren Gehirnzellen) entsprangen. Schließlich erachten viele von ihnen das Formulieren smarter Prompts als eine neue Schlüsselkompetenz im KI-Zeitalter.

Berater reagieren oft pikiert auf eine kritische Rückmeldung

Entsprechend pikiert reagieren sie, wenn man ihnen rückmeldet „Ihre Textentwürfe sind vielleicht gute Social Media- oder Blog-Beiträge, als Fachartikel sind sie jedoch ungeeignet“. Das wissen auch die Fachredakteure. Deshalb erledigen sie in der Regel die Mehrarbeit, die ihnen die Berater mit ihren von ChatGPT erstellten Artikeln aufbürden, selbst. Zugleich entscheiden sie jedoch für sich: Künftig mache ich um diesen Berater bzw. Spezialisten einen Bogen. Das heißt: Ich erteile ihm keinen Auftrag mehr zum Schreiben eines Artikels.

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