Burn-up – Was macht krank?

Einen 18-Stunden-Tag, Wochenenddienste und spontane Dienstreisen nach Asien oder Amerika? Ja, Investmentbanker in der Londoner City haben das. Sie werden dafür weit überdurchschnittlich bezahlt und machen den Job maximal zwanzig Jahre. Aber müssen Sie das auch machen, muss das der gemeine Arbeitnehmer, selbst der durchschnittliche Geschäftsführer in Deutschland machen? Nein.

Die gängige Behauptung ist: Die Anforderungen an die Arbeitnehmer wachsen, der Druck nimmt zu. Entsprechend gerne wird diese Pauschalaussage immer von Gewerkschaftern und Betriebsräten gebracht, auch und gerade im Zusammenhang mit Burn-out. Burn-out sei „das Ende einer Spirale aus ständiger Überforderung, aus immer neuen Arbeitsanforderungen und permanentem Zeitdruck.“ Begründet wird die Behauptung mit ständigen Veränderungen in den Betrieben, größeren Arbeitsmengen für jeden einzelnen, höheren Zeitanteilen, die auf der Arbeit verbracht werden oder in denen man abrufbar sein muss, mit vorgegebenen und schwer zu erreichenden Zielen sowie immer engeren Anweisungen und Kontrollen.

Zunächst ist festzuhalten, dass das Spielen mit der Angst vor Entlassungen fies ist, weil Arbeit existenziell ist. Es wird seit der Ära Kohl, seit wir ein riesiges Heer von Arbeitslosen haben, gespielt. Heute haben wir zudem

  • Zeitarbeitsverträge, die jungen Arbeitnehmern jede planbare Perspektive für den Aufbau eines Lebens mit Familie und Haus nehmen.
  • Leiharbeitnehmer, mit denen als billige Konkurrenz die eigenen Mitarbeiter ausgespielt werden.
  • sogenannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse, früher Dumpinglöhne genannt, von denen man mehr als eines benötigt, um überhaupt über die Runden zu kommen.
  • Lohndrückerei durch die Drohung, ansonsten würden Arbeitsplätze verlagert.

Das alles ist für Arbeitnehmer von Übel. Der Zustand mag zu beklagen sein, er wird aber von niemandem anders zu verbessern sein als von den Arbeitnehmern selbst. So, wie Arbeiter alle anderen früheren Übel in der Arbeitswelt weggekämpft und unsere heutigen Standards in der Arbeitswelt errungen haben. Doch die Solidarität der Arbeitnehmer ist sehr porös. Wer in festem Lohn und Brot ist, ist offensichtlich nicht gewerkschaftlich organisiert, nicht kampf- und streikbereit, sondern satt und träge.

Die Schieflage zwischen Mensch und Arbeit

Wie konnte es zu dieser Schieflage zwischen Mensch und Arbeit kommen? Liegt es am Wandel der Arbeit, an den gestiegenen Anforderungen, oder haben sich unsere Vorstellungen von dem verändert, was Arbeit ausmacht und wo unser Platz darin ist?

Jeder sollte wissen, auf welche Arbeit er sich einlässt

Ein Koch in der Gastronomie sollte nicht damit hadern, in den Abendstunden arbeiten zu müssen, denn bekanntlich haben Restaurants dann geöffnet. Ein Angestellter in der öffentlichen Verwaltung sollte die Bearbeitung von Formularen nicht als extrem langweilig empfinden, denn jeder, der sich im öffentlichen Dienst bewirbt, weiß, dass dort sehr viel mit Formularen gearbeitet wird. Ein Seemann sollte seefest sein, denn sein Arbeitsplatz ist nun mal auf dem Wasser.

Sich auf Arbeit bewusst und positiv einzulassen, bedeutet, sich in dieser Arbeit wiederzufinden und in ihr einen Sinn zu sehen. Das bedeutet, einerseits die eigenen Fähigkeiten und Erwartungen, andererseits den Inhalt von und die Anforderungen an die Arbeit zu kennen und beides miteinander abgleichen zu können.

Nehmen wir zum Beispiel Lehrer. Wir alle haben mit ihnen zu tun gehabt, als Schüler und viele als Eltern. Diese Berufsgruppe hat als dankbare Klientel zu Burn-out eine eigene Bibliothek geschrieben bekommen. Burn-out scheint also in dieser Berufsgruppe ein großes Thema zu sein. Woran liegt das? Jeder Lehrer hat aus der eigenen Schulzeit eine Idee davon, was es heißt, den Beruf Lehrer auszuüben. Jeder halbwegs interessierte Mensch weiß, dass sich die Zustände an den Schulen nicht unbedingt verbessert haben, also die Anforderungen an Lehrer wohl gestiegen sind. Andererseits ist der Staat sicher kein neokapitalistischer Ausbeuter.

Lehrer sollten sich, aber auch uns gegenüber ehrlich sein. Sind sie aus Begeisterung für den Beruf Lehrer geworden und jetzt der Realität nicht gewachsen? Oder gab es andere Erwägungen, Lehrer zu werden, zum Beispiel kein ausgeprägtes Interesse für einen anderen Beruf oder die dreizehn Wochen langen Ferienzeiten? „Hey, ich werde ja richtig gefordert. Hey, ich arbeite ja gar nicht nur vormittags.“ Manchmal kommt es anders, zweitens als man denkt. Viele Eltern machen die Erfahrung, dass es nur wenige Lehrer gibt, die vernünftig ausgebildet, aufgrund ihrer Persönlichkeit geeignet und mit Begeisterung Lehrer sind. Wer war zuerst da, die verkannte Realität Schule oder die Fehleinschätzung des eigenen Ich?

Auch kenne ich nur sehr wenige Lehrer, die – das soll ja ein typisches Merkmal von Burn-outern sein – besonders ehrgeizig sind und wirklich Außergewöhnliches erreichen wollen in ihrem Leben. Es sei denn, sie wollen in den Bundestag (immerhin sind 9 Prozent aller Bundestagsabgeordnete Lehrer!).

Bei Titeln wie „Wie bekomme ich Burn-out?“ beschleicht mich manchmal der Verdacht, sie könnten gelesen werden wie das Bild, das je nach Betrachtung eine alte oder eine junge Frau zeigt, hier als Erklärungsversuch, wie es zu Burn-out kommen kann oder als Anleitung, sich via Burn-out aus dem Arbeitsleben zu verabschieden.

Jeder sollte sich fragen, wie er seine Arbeit angeht und was er daraus erwarten darf. Wer Lohn fordert, aber nicht leistet, sollte nicht böse sein, wenn die Reaktionen von Kollegen und Vorgesetzten nicht ausgesprochen positiv sind. Andererseits, wer meint, sich trotz flexibler Arbeitszeiten immer die Knute geben zu müssen und um 7 Uhr im Büro zu sein, sollte seinem Körper keine Vorwürfe machen, wenn der nach Jahren signalisiert, dass er nicht mehr kann. Wer nicht Nein sagen kann, sollte sich nicht wundern, wenn bei ihm gerne Arbeit abgeladen wird. Wer, um sich wichtig zu machen, freiwillig um das Statussymbol Blackberry bettelt, sollte nicht erstaunt sein, wenn seine Vorgesetzten dann auch dieses Medium nutzen, um mit ihm zu kommunizieren, auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten. Wer selbst schon vor Beginn der Arbeitszeit mit Asien telefonieren muss und am selben Tag nach Ablauf der Arbeitszeit selbst auch noch mit den USA mailen muss (um es jedem zu erzählen), sollte sich ausrechnen können, dass seine Arbeitszeit über Durchschnitt liegt (und über dem gesetzlichen Maximum). Wer nach Überstunden giert, weil er das Geld mitnehmen möchte, um das Haus zu finanzieren, sollte sich nicht über zu wenig freie Zeit beklagen. Zu allem gehören immer zwei. Es ist weder fair noch richtig, für mein Handeln und Unterlassen allein andere verantwortlich zu machen.

Jeder sollte sich fragen, was er bereit ist, mitzumachen

Sollten Sie Führungskraft sein, antworten Sie mal Ihrem Kollegen, der ebenfalls Vorgesetzter ist, auf die Frage, ob Sie viel zu tun haben: „Ach, weißt du, ich mach mich nicht tot.“ Unsicheres Schweigen wird seine Reaktion sein. Es ist unter Vorgesetzten uncool, nicht überlastet zu sein, weil es angeblich wichtig macht, so beschäftigt zu werden, dass es eigentlich nicht zu schaffen ist. Überzogene Arbeitszeiten signalisieren Einsatz. Das kommt bei Vorgesetzten gut an. So simpel ticken Vorgesetzte. So antwortete einmal ein Vorgesetzter auf die Frage, weshalb wohl Herr X in den Vorstand berufen worden ist: „Der war immer sehr fleißig!” Arme Führungskultur.

Lange Arbeitszeiten sind für Vorgesetzte Statussymbol und Karrierebaustein, für Sachbearbeiter sind bezahlte Überstunden eine Selbstbedienungsschublade, die immer dann gezogen wird, wenn Sonderanschaffungen wie Auto oder Haus abzubezahlen sind.

In Wirklichkeit sind beide Schlechtleister, weil sie ihre Arbeit nicht – wie andere – in der dafür vorgesehenen Zeit schaffen. Dass es für eine Führungskraft und für einen Sachbearbeiter spricht, seine Arbeit locker innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens gut zu machen, sieht niemand.

Was an Qualität rauskommt, interessiert ohnehin keinen – niemand misst und beurteilt angebliche Mehrarbeit

Dafür kommt vorgeschützte Betriebsamkeit immer gut an. Memos, Projektentwürfe und Präsentationen werden erstellt, aber nie gelesen. E-Mails werden, möglichst via Blackberry, aus der Hüfte abgeschossen. Geantwortet wird vom Flughafen aus oder sonntags um 22:43 Uhr. Kurz und schnell, aber inhaltslos reingehackt sind diese Informationen schon morgen überholt. Das ist nicht schlimm. Tiefgängig arbeiten ist ohnehin Teufelszeug. So braucht keiner Angst zu haben, Fehler zu machen. Ständige Erreichbarkeit und ihre Oberflächlichkeit schützt vor Ängsten, dass etwas an einem vorbeigeht. Allein, es werden immer mehr Bälle, die in der Luft zu halten sind. Beruhigendes und neudeutsch nachhaltiges Arbeiten sieht anders aus.

Jeder sollte sich fragen, was er für das Betriebsklima tut. Zwar bestätigen 80 Prozent der Arbeitnehmer, dass sie sich auf die Zusammenarbeit mit Kollegen verlassen können und sich gegenseitig helfen. 30 Doch reicht das? Wie bringe ich mich in mein Team ein? Knüpfe ich kollegiale Freundschaften? Nehme ich an außerbetrieblichen Aktivitäten wie Betriebsausflügen oder einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt teil? Denke und tue ich

  • nur das, was mein Chef von mir verlangt,
  • etwas nur wegen der Karriere oder
  • gar nicht, weil ich desinteressiert bin?

Früher gab es gemütliche Runden innerhalb und außerhalb der Firma. Heute bemängeln viele Mitarbeiter das kalte Klima in den Glastürmen und Betonburgen. Aber sie selbst sorgen auch nicht für Wärme. „Gefühle habe ich zu Hause” ist Ausdruck der Verweigerung, sich nicht nur als Arbeitsroboter, sondern als ganzer Mensch zu sehen und einzubringen. Dabei ist derjenige, der sich selber aktiv in eine Gemeinschaft einbringt, zufriedener als die Passiven, wissen Psychologen. Bedarf es wirklich eines Coachs und einer Teamrunde, damit wir lernen, dass der positive, aktive Umgang miteinander bei allen Beteiligten mehr Wohlbehagen erzeugt? In der Familie und bei Freunden machen wir diese Erfahrungen doch von ganz alleine.

Jeder sollte sich fragen, ob die Ansprüche, die er an seinen Arbeitgeber stellt, eigentlich legitim und realistisch sind. Gerade in den schicksten Glastürmen mäkeln Mitarbeiter am Lichteinfall, der Tastatur und dem Mittagessen in der Kantine. An den Arbeitstätigkeiten, den Arbeitsabläufen und der IT sowieso. Sind das wirklich relevante Punkte? Wie so oft gewöhnen wir uns sehr schnell an die angenehmen Dinge und nehmen sie als selbstverständlich – und damit nicht mehr wahr. Augen schließen, bis hundert zählen, Augen auf und alle Punkte auflisten, die Ihren Arbeitsplatz und Ihre Arbeitsrahmenbedingungen angenehm machen. Angefangen bei der Tatsache, dass sie überhaupt Arbeit haben … Viele von uns sollten danach feststellen, wie gut es ihnen geht.

Hinzu kommt: Ein Arbeitgeber hat sich an die rechtlichen Voraussetzungen für die Gestaltung von Arbeitsplätzen zu halten. Aber kein Arbeitgeber ist verpflichtet, das Umfeld meines Arbeitsplatzes bis ins Detail so zu gestalten, wie ich es gerne hätte. Das geht schon deshalb nicht, weil die lieben Kollegen das dann auch gerne hätten, die wollen es aber mit Sicherheit anders als ich. Das geht schon bei der Raumtemperatur los: rauf oder runter?

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