Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Liebespartner Ihnen rät, mehr im Sinn der lateralen Führung mit Ihnen zu interagieren? Vermutlich wären Sie mindestens entgeistert, und ein Fragezeichen stünde in Ihrem Gesicht. Nicht so im umgekehrten Fall.
Aus rekonstruierbaren Gründen hat die Funktion „Führungskraft“ Schlagseite bekommen: hin zu einer „ganzheitlichen“ psycho-physisch-sozialen Gesamtverantwortung für Mitarbeiter. Seit Jahrzehnten reüssieren Vertreter bestimmter psychologischer Konzepte und Repräsentanten der Unternehmen beratenden Zunft damit, den Mitarbeiter als „ganzen Menschen“ in den Fokus des Führens zu rücken und neuerdings Führungskräfte für das Ausgebranntsein von Mitarbeitenden schuldig zu sprechen. Täter und Opfer sind identifiziert, und während auf der Führungsseite die Anforderungen ins Nichtleistbare steigen, stehen auf der anderen Infantilisierung und Psychotherapeutisierung hoch im Kurs.
Bei dieser Totalisierung von Zuständigkeit und Therapeutisierung von Führung handelt es sich nicht um eine Geschmacksfrage. Gerade weil praktische Folgen unausweichlich sind, sollte dieser Trend grundsätzlich befragt werden, unter anderem bezüglich der Legitimität und der Leistbarkeit. Beide Aspekte können besonders klar mit dem Begriff der Rolle verdeutlicht werden.
Führungskräfte und Mitarbeitende sind eben dies: Rollenträger, -spieler,– inhaber in einer Wirtschaftsorganisation. Jede Rolle enthält einen allgemein verbindlichen Kern, der Erwartungen, Rechte, Pflichten und dasjenige rahmt, was innerhalb einer Rolle in der Kommunikation thematisiert werden kann und was nicht. Eine Chefin muss sich in ihrer Rolle als ergebnisverantwortliche Führungskraft eben nicht für pädagogische Probleme ihres Mitarbeiters in dessen Rolle als Vater interessieren; dieser wiederum ist durch seine Rolle verpflichtet, seine Erziehungsprobleme seiner Vaterrolle zuzuweisen und nicht zu beanspruchen, dass Chefin, Kollegen, eigene Mitarbeiter etc. Nachsicht üben, wenn er seine professionelle Aufgabe unzureichend wahrnimmt und seine Rolle mangelhaft ausfüllt.
Der Fokus auf „Rolle spielen“ verbindet sich wie auf der Bühne mit Verhalten. Kombiniert man beides, bekommt der pragmatische Blick auf Führung eine neue Chance. Durchaus im Einklang mit den Behavioral Sciences und dem ihnen unterlegten verhaltenspsychologischen Paradigma können sich Führende wie Geführte am Manifesten, am sinnlich Wahrnehmbaren orientieren. Der Preis: Alles Innerseelische, inklusiv hypothetische Deutungsanstrengungen, wird expediert.
Der Gewinn des Rekurses auf Rolle und Verhalten:
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Gestoppt wird die Legitimität psychologisierter Ansprüche von Mitarbeiterseite.Gestoppt wird gleichzeitig die
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Totalisierung von Führung und Unternehmen.Mitarbeitende werden in ihrer auf Partizipation zielenden
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Aufforderung beim Wort genommen, „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren und „ernst genommen“ zu werden.
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Führende werden von prinzipiell nicht wünschenswerten und ebenso wenig leistbaren Anforderungen entlastet.Eine Rückbesinnung auf Kernfunktionen von Führenden und Geführten ist möglich.
Führende sollen, so mein Plädoyer, nicht psychologisiert führen müssen. Führende sind weder Erzieher noch Psychologen, die mit Kindern oder Patienten umgehen. Führende interagieren mit anderen Erwachsenen in einem zielbezogenen Unternehmenskontext, in dem jeder Rolleninhaber freiwillig einen Vertrag signiert hat, bestimmte Aufgaben zu erfüllen.

Dr. Regina Mahlmann, promovierte Soziologin und Philosophin, arbeitet als Coach, Beraterin und Referentin in und für Unternehmen – als Sparringpartnerin für das Topmanagement und als Impulsgeberin und Begleiterin von Gruppen, insbesondere in veränderungsreichen und daher spannungsreichen Phasen eines Unternehmens.