Das Gegenteil von Kreativität ist Methode

Wenn in der Firma die Standardideen ausgehen, ruft der Chef zum Brainstorming. Wir sehen nur mäßig begeisterte Mitarbeiter. Sie wissen schon, was kommt und dass es nicht funktioniert.Vieles spricht dagegen und die Praxis zeigt, dass die Ergebnisse eher medioker sind. Es sind Menschen am Werk, die nicht geübt sind und normalerweise andere Tätigkeiten verrichten. In anderen, sensiblen Bereichen beschäftigen Sie doch auch Profis.

Nach meiner Betrachtungsweise liegt einer der Fehler in der Bewertung und Zuordnung von Kreativität in der unklaren Abgrenzung der Begrifflichkeiten. Die in diesem Kapitel aufgeführten Techniken sind eben nicht kreativ, weil Sie in der Regel nicht von geübten Verwirrten ausgeführt werden, sondern ungeübte, vielleicht sogar unbegabte Verbohrte anleiten sollen, kreativ zu sein. Dabei bleiben diese Kreativitätstechniken immer in der Technik »Wie geht das?« stecken, ohne die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen auch nur ansatzweise zu beleuchten. Dies bezeichne ich als Kreativismus. Kreativismus behauptet, auf der Basis einer Technik einen kreativen Output zu liefern. Ein mechanisches Abspielen von Etüden, das technisch gesehen sogar richtig sein kann – aber, um in der Metapher zu bleiben, leider die Seele der Musik vermissen lässt. Gut geeignet für Marschmusik und Techno (was musikalisch-technisch gesehen dasselbe ist), aber der Groove fehlt. Kreativität, die nicht groovt, fehlt die Seele und die Leidenschaft, sowohl in der Entstehung als auch in der Umsetzung. Kreativismus ist l’art pour l’art. Sie kommt aus nichts und führt zu nichts. Das fände ich noch nicht mal so sehr verwerflich. Das eigentliche Unheil, das durch Kreativismus angerichtet wird, besteht darin, den Verbohrten vorzugaukeln, sie könnten mithilfe von ein paar ungelenken Techniken, Kreativseminaren oder der Implementierung von komplexen Design Thinking-Methoden die Kuh vom Eis holen. Das ist etwa so, wie wenn Sie jemanden nach einem dreiwöchigen Crashkurs an die Steuereinheit eines Raketenstartsystems setzen. Dieser Crashkurs wird seinem Namen alle Ehre machen. Wenn alle Systeme fehlerfrei und planmäßig laufen, könnte der Start vielleicht sogar gelingen. Aber die Systeme werden nicht fehlerfrei laufen. Nicht in der Kreativität und im Kreativismus schon gar nicht.

Brainstorming, fünfzig Jahre erfolglos

Die beiden Hauptmerkmale eines Brainstormings sind eine konkrete, klar definierte Aufgabenstellung und eine wertfreie Annahme der gemachten Assoziation. Meistens scheitert es schon an der Aufgabenstellung. Dies erfordert Arbeit im Vorfeld.

Weiterhin davon auszugehen, wir könnten Begriffe wertfrei annehmen, scheitert sicher. Wir sind nicht in der Lage, nicht zu werten. Sie nicht. Und ich auch nicht. Wir können im besten Fall unsere Bewertung rational reflektieren und sie bewusst umkehren.

Mindmapping, Brainstorming in Excel

Also können wir etwas anderes machen. Mindmapping ist super, weil es so aussieht, als ob es ein kreatives Chaos wäre, aber trotzdem zu einer Struktur kommt. Aus dieser Struktur können wir nachher irgendetwas ablesen. Das ist sehr gut. Das ist Brainstorming in Excel. Es ist wie beim Brainstorming. Das reine Zusammentragen von Begriffen ist gut, nützt jedoch wenig. Erst die bisoziative Verknüpfung und die maßlose Extrapolierung führt zu brauchbaren Ergebnissen. Dazu brauchen Sie dann wieder das richtige Mindset.

Es wird sehr häufig angeraten, das Mindmapping alleine zu tun, was ich im Übrigen sowieso, besonders am Anfang, empfehle. Untersuchungen (Stroebe/Nijstad 2004) haben ergeben, dass mehr Personen zwar mehr Ergebnisse produzieren, diese aber weniger qualifiziert sind.

Design Thinking für Laien ungeeignet

Im nächsten Schritt machen wir dann Design Thinking. Das hört sich super an, ist aber über die Maßen komplex und somit sind Laien völlig überfordert. Design Thinking ist leider auch für Themen außerhalb des Designs ziemlich ungeeignet – allenfalls in der Abstraktion. Selbst im Design ist es nur eingeschränkt nutzbar – und dort auch nur als Tool für Menschen, die schon in Kreativität geübt und talentiert sind. Ansonsten ist die Technik ohne Modifikation leider unbrauchbar. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Basisliteratur des Design Thinking schon über hundert Seiten umfasst und somit als Prozess viel zu kompliziert ist.

Hier liegt auch das Kernproblem. Das Verändern der Prozesse, Brainstorming, Mindmapping, 6-Hüte-Methode, Design Thinking, ändert nichts an der Tatsache, dass sie von Leuten ausgeführt werden, die unbegabt sind, weder ausgebildet noch geübt sind. Dies führt schließlich nur zu durchschnittlichen Ergebnissen, die sich dann auch am Markt nicht durchsetzen. Wodurch alle frustriert sind.

Der Frust rührt vor allen Dingen von der Tatsache, dass sie keine Übung haben, kreativ zu denken. Jetzt sollen sie das auf Befehl tun, natürlich wieder auf einer messbaren Basis – und mit quantitativem Output. Kreativität ist aber quantitativ nicht messbar. Qualitativ schon. Allerdings fehlen den meisten die entsprechenden Beurteilungsmaßstäbe. Das hängt mit der mangelnden Übung zusammen.

Die Entscheidung über eine kreative Leistung wird, in den meisten Fällen, nicht von Kreativen, sondern von einer Person getroffen, die gar keine Beurteilungsmaßstäbe besitzt. Im schlimmsten Falle eine Jury, zusammengesetzt aus dem Kulturbürgermeister, dem Chef der Kreissparkasse und einem Vertreter der IHK.

Besonders ist Kreativität, beziehungsweise deren Ergebnis, nicht eindeutig objektivierbar. Das heißt, dass ein relativ geringer kreativer Aufwand bei ebenso geringer Komplexität zu großartigen Ergebnissen führen kann. Aber auch das Gegenteil ist möglich.

Die Strukturen moderner Firmen bilden kreative Prozesse nicht ab. Kreativseminare helfen dabei auch nicht weiter. Deshalb werden – meist außerhalb dieser Strukturen – sogenannte Thinktanks oder Innovation Engines gebildet. Die oben genannte Problematik überträgt sich hierbei in vielen Fällen 1:1, spätestens wenn diese Innovationsansätze dann ins Haupthaus transferiert werden sollen.

Wie Kreativberater und Kreativseminare versagen

Um dem Denken von Firmen und Unternehmen gerecht zu werden, erstellen viele »Kreativberater« sogenannte Innovationsprozesse. »Innovationsmanagement als Teil eines integrierten Managementprozesses.« Diese laufen dann nach dem Motto ab: Kreativworkshop, Ideenpool, Entscheidung, Vorbereitung, Umsetzung, Implementierung, Innovation, Live-Going. Kreativität von BWLern für BWLer. Manager brauchen Ergebnisse.

Wie kommen Unternehmen denn zu der Erkenntnis, kreativer oder innovativer sein zu wollen? Hierzu gibt es im Wesentlichen zwei Ansätze. Der eine ist: Sie selbst sind schon kreativ und schaffen es, Innovationen umzusetzen. Dann herzlichen Glückwunsch. Weiter so. Eine Erweiterung der Sichtweise kann nicht schaden. Sie sind unruhig, wollen mehr und suchen nach neuen Blickwinkeln, Ansichten und Haltungen. Sie sind gut, haben Expertise und wollen Ihr Wissensgebiet erweitern. Sie finden Bestätigung oder Diskrepanzen. Damit Ihnen geholfen werden kann, brauchen Sie professionelle Hilfe von Experten auf höchstem Niveau.

Der andere Ansatz ist der, dass Sie nicht so genau wissen, wie man kreativ sein kann, aus kreativen Ansätzen Innovationen entwickelt und diese implementiert. Jedoch haben Sie bemerkt, dass die Märkte innovationsgetrieben sind, die Halbwertszeit von Produkten immer kürzer wird. Wenn Sie aus diesem Grund Berater engagieren, die Kreativprozesse in Ihr Unternehmen einbauen, dann wird Ihnen der Schritt von »ganz schlecht« nach »medioker« schon enorm vorkommen. Darum geht es aber nicht bei Innovation. Es geht immer um »exzellent«.

»Kreativismus ist der verzweifelte Versuch, Kreativität in ein Korsett zu zwängen.«

Wenn Sie Ihren Berater verstehen und seine Methoden leicht nachvollziehen können, weil diese Prozesse in ihrer Form durchaus auch von der Buchhaltung kommen könnten, dann ist Vorsicht angesagt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um ein Produkt, wie ich es weiter oben erwähnt habe. Betriebswirtschaft im Innovationskleidchen. Betriebswirtschaft hilft oft und ist wichtig. Aber an dieser Stelle leider überhaupt nicht. Verbohrte sind toll im Skalieren von Bekanntem. Sie haben ein Produkt und weiten die Märkte oder die Produktion aus. Das können Verbohrte. Wenn aber Märkte Produkte nicht annehmen, weil sie einen anderen Bedarf haben, eine andere Kultur oder weil eben Tastenhandys nicht mehr angesagt sind, wissen die Verbohrten nicht mehr weiter, da das im MBA nicht gelehrt wird.

Verwirrte finden Lösungen für Probleme, von denen Sie nicht wussten, dass Sie sie haben, mit Methoden, die Sie nicht verstehen. Wenn Sie diese sehen und verstehen wollen, dann müssen Sie Ihre Kanäle erweitern, das heißt Ihre Denkstrukturen verändern. Dann werden auch plötzlich die Methoden klar.

Strukturen, die Firmen administrativ handhabbar halten, sind im kreativen Prozess aber eher schädlich als nützlich. Kreativität kann nur gelingen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, und diese sind in erster Linie darin zu finden, dass in der Firma ein kreativer Geist herrscht und gelebt wird. Wenn Sie verstärkt innovativ sein wollen, dann müssen Sie genau das sein. Es reicht nicht, gelegentlich ein Designbüro zu beauftragen, Produkt A oder B mal eben hübsch zu machen. Sie müssen Kreativität wollen. Mit jeder Faser.

Es reicht nicht, weil es gerade angesagt ist, einen Kreativen einzustellen oder ein Produkt upzugraden. Hierbei geht es um neue Produkte, neue Inhalte und besonders: neue Haltungen.

Neue Haltungen zu erzeugen, ist jedoch etwas, das nicht verordnet werden kann. Hierbei hilft nur vorleben, vormachen und eine neue Unternehmenskultur etablieren. Die bekannten Akteure sind auch oft nicht geeignet, da sie in der Vergangenheit oft andere Verhaltensweisen an den Tag gelegt haben. Deshalb setzen wir auf eine langsame, aber stetige Veränderung. Diese kann ebenso wenig, wie sie erzwungen werden kann, von außen vorgeschrieben werden. Nicht nur aus diesem Grund scheitern zahlreiche Versuche etablierter Unternehmensberatungen. Das Geheimnis liegt in der unterschwelligen Veränderung, die durch Einsicht und Bedeutsamkeit für die Veränderung geschieht. Ein allgemeingültiges Rezept hierzu zu verschreiben, wäre nicht nur kleingeistig, sondern sogar fahrlässig. Jedes Unternehmen ist anders. In anderen Märkten, mit anderen Rahmenbedingungen, mit anderen Voraussetzungen. So braucht auch jedes Unternehmen seinen eigenen Weg.

»Man ändert nichts, wenn man den Zustand modifiziert. Wahre Veränderung macht den alten Zustand überflüssig.«

Radikale Umstellungen sind möglich, stellen aber, nach unserer Erfahrung, die Ausnahme dar. Insbesondere bei Betrieben, die noch gesund sind und ein profitables Grundrauschen generieren können, sind schlagartige Veränderungen eher schädlich. In solchen Fällen setzen wir auf das Prinzip: sichern, aufbauen, verändern (vgl. »Sichern, aufbauen, verändern« S. <?>).
Kreativität ist nicht abhängig von einer bestimmten Technik, sie wird dadurch nicht besser oder schlechter. Geeignet sind Menschen, die die richtigen, kreativen Denkstrukturen haben. Dazu gehören neben den reinen Künstlern, wie Schriftstellern, Malern, Tänzern, die große Gruppe der Gestalter aber auch Wissenschaftler, kreative Dienstleister, Anwälte, Manager, Ärzte und so weiter. Diese Personengruppe hat gar keine Kreativitätsproblematik, da deren Denken automatisch kreativ sein muss, da sie sonst diese Berufe nicht ausüben könnten. Diese Gruppe macht sich beim reinen Tun über Kreativitätstechnik keinen Kopf, weil sie in den Denkmethoden versiert ist. Damit wird das Nachdenken über die Methode irrelevant.

Kreativität auf Knopfdruck gibt es – aber anders

Nähern wir uns aus der Sicht des Verbohrten. Für den Verbohrten stellt sich Kreativität als etwas dar, was er anhand einer Technik einleitet, beispielsweise Brainstorming. Danach erhält er ein Auswahlergebnis, das er dann entweder in ein weiteres Tool oder in eine Bewertungsliste übertragen kann. Nach dem Übertragen sind die nachvollziehbaren Dinge erledigt und der mystische kreative Prozess beginnt. Jetzt fallen sozusagen die Navigationsinstrumente aus und der Verbohrte steckt fest. Muss er auf einen nicht näher definierten und nicht nachvollziehbaren Dialog mit dem Unterbewusstsein hoffen? Die Verwirrten betonen hierbei immer den Aspekt der Entspannung. Also wird der Verbohrte, wenn er die Möglichkeit hat, jetzt duschen oder spazieren gehen oder auf der Wiese sitzen, einen Joint rauchen und hoffen, dass ihn die Muse küsst. Aus dieser Sicht ist eine absichtsvolle Kreativität sicher eher ein Glücksfall.

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