Das letzte Ass im Ärmel

Wenn einem die Argumente ausgehen, so hat man oft noch ein letztes Ass im Ärmel. Ein Ass, das sticht, das stachelig ist und dies aus einem bestimmten Grund. Es macht das Gegenüber wehrlos. Mit Absicht.

Es ist der Trumpf aus dem Kartenblatt der Naivität, gegen die bekanntlich kein Kraut gewachsen ist und auch nicht das Intellektuelle. Warum? Weil es sich der Diskussion entzieht und dieser stachelige Trumpf, auf dieser letzten Karte, steht: Gesunder Menschenverstand.

Es ist jener Knüppel, der seinerzeit und heute der Jugend zwischen die Beine geworfen wird, und später dann der Liebe und auch denjenigen jeden Alters, die vor dem Küchenbord der guten Dinge eine Stufe höher steigen und die angeblich verbotenen Früchte naschen wollen.

Die Berufung auf den gesunden Menschenverstand ist vage. Keine Empirie, keine Forschung liegt dem zugrunde… na ja, Erfahrung wird man zum Beweise anführen… nur ist Erfahrung nicht generalisierbar oder doch …, ach ja, je mehr Menschen die gleiche Erfahrung haben, sozusagen sämtliche Einwohner von Hinterdorf, potenziert sich dies zum gesunden Menschenverstand, er wohnt gleich neben dem Thron der Wahrheit.

Was ist er denn… mit welchem Recht wirft er um sich… was hat er denn schon alles angerichtet? Es ist das Argument der Allgemeinheit oder eigentlich verkürzt, ein Ausdruck der Gemeinheit, der Gemeinheit des Vagen, des Undifferenzierten.

Schaut man sich das Wort Menschenverstand genau an, so besteht es aus zwei Teilen. Zum einen ist da der Mensch und zum anderen der Verstand. Inwieweit das zusammengehört, mag man heute sehr bezweifeln.

Allerdings ist der Begriff des Verstandes nicht genau definiert und hier möchte ich wagen, ihn zu definieren oder besser noch, ihn abzugrenzen. Also, das Denken zu unterscheiden vom Verstand. Der Unterschied liegt darin, dass das Denken frei ist und der Verstand ist festgelegt.

Eine Kurzform des hier von mir karikierten Verstandes wäre die Kurzform der Ode an die Glocke von Friedrich Schiller, die wir als Jungs liebten, die vom Dichter nicht autorisiert ist, aber hier ins Schwarze trifft. Sie hieß „Loch in Erde, Bronze rin, Glocke fertig, Bimbimbim.“ Und wenn die Bronze reingegossen ist, bimmelte die Glocke in der Erden unheilvoll über allem.

Es ist die Schnelligkeit des Verstandes, wohlgemerkt nicht des Denkens, die ihn in die Irre führt. Es ist die Schnelligkeit, mit der er nach Lösungen sucht, – die Bronze ist noch nicht einmal kalt – und immer, ja immer findet er zur Not die Lösung, in dem er sich schließlich selbst zitiert mit dem Prädikat „gesund“. Doch noch ehe der Klang der Glocke im Land verhallt, bluten im Lande die Herzen der Menschen. Warum? Der gesunde Menschenverstand vergaß den feinen Unterschied, der Mensch hat Herz und Verstand.

Das Herz hat keinen Verstand, sehr wahr, aber das Herz kann denken… und kommen wir nun zum Denken: Das Denken ist frei, das Herz schlägt frei. Es wurde meist nur in der Liebe besungen, doch birgt es einen weiteren Teil in sich…. das Herz kann Denken ohne Grenzen…. aus ihm kommt nicht nur die Liebe, es kommt auch die Sehnsucht, der Geist der Erfinder, der Mut. Freiheit und Denken sind eins.

Verstand läuft wie auf Eisenbahnschienen in Denksystemen, mit stählernen Leitplanken an der Autobahn, um bloß nicht vom Wege abzukommen. Der Verstand stimmt sehr wohl in sich, allerdings nicht zu verwechseln mit der Frage, ob es stimmt, was dabei rauskommt.

„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern/ sing nicht ihre Lieder/ geh doch in die Oberstadt/ mach’s wie deine Brüder“ war ein Lied von Franz Josef Degenhardt aus dem Jahre 1965 und verkörperte die Idee vieler Eltern, aus ihren Kindern etwas „Besseres“ werden zu lassen… begründet aus gesundem Menschenverstand. Der gesunde Menschenverstand, o je… alles gut… nur hörte er nur sich selbst, verleugnete die Neugier, die er erstickt in vagen Parolen.

Die Struktur des Verstandes, seine naive Vagheit, gleicht auch heute noch demjenigen Verstand, den wir von unseren Urgroßeltern kennen und es ist das letzte Ass im Ärmel, wenn einem nichts mehr einfällt. In dem berühmten Wildwestfilm „High Noon“ wurde man für diesen Trick erschossen von Gary Cooper mit einem 45-er Colt und zwar höchstpersönlich….

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