Wie oft haben Sie schon in einer PowerPoint Präsentation – in welchem Zusammenhang auch immer – die Begründung „Motivation der Mitarbeiter“ gelesen? Klingt positiv ist positiv und vor allem ist es ein stereotyper Allgemeinplatz. Alle sind dafür und keiner stellt Fragen. Leistung, Motivation, Sport – ein Dreiklang der Manageraugen glänzen lässt. Doch dieser ewige Reflex auf den Sport nervt, denn Sportler unterliegen ganz anderen Bedingungen als Arbeitnehmer …
Dafür hallen im Zusammenhang mit Motivation stereotyp zwei Themen durch die Besprechungsräume, die auch sonst gut zusammenpassen und bei Männern glänzende Augen erzeugen: der Vergleich mit dem Sport, vorzugsweise Fußball, und Geld, oft getarnt als Bonus.
Der ewige Reflex auf den Leistungssport nervt. Sportler befinden sich in einer ganz anderen Welt als Arbeitnehmer. Ein Sportler arbeitet immer auf den nächsten Wettkampf, auf das nächste Spiel hin. Er trainiert die ganze Woche und steht maximal einen halben Tag im Wettkampf. Seine aktive Zeit ist nach rund fünfzehn Jahren vorbei. Ein Arbeitnehmer muss Tag für Tag, vierzig Stunden die Woche Leistung bringen, und das dreißig oder vierzig Jahre lang. Er braucht einen lagen Atem, muss mit seinen Kräften haushalten. Würde er sich wie ein Einzelathlet jeder gegen jeden verhalten, wäre es mit Teamwork und bereichsübergreifender Zusammenarbeit vorbei. Ja, aber es gibt doch auch Mannschaftssportler? Stimmt, die gibt es, aber haben Sie schon einmal ein Unternehmen gesehen, dass sich wie eine Bundesligamannschaft im Fußball, Handball oder Eishockey einen Kader hält, der zwei- oder dreimal größer ist als die tatsächlich benötigte Anzahl Mitarbeiter? Wenn sich in einem Unternehmen ein Mitarbeiter verletzt oder zum Beispiel wegen familiärer Probleme ein Formtief hat und ausfällt, dann interessiert das nicht und dann füllt nicht sofort ein Ersatz die Lücke auf, sondern das dürfen die restlichen, auf dem Arbeitsfeld befindlichen Kollegen übernehmen.

Beim Sport bleiben die Rahmenbedingungen weitestgehend gleich, also die Sportart, die der Sportler betreibt, die Regeln der Sportart usw. Arbeitnehmer sehen sich ständigen Veränderungen mit neuen Anforderungen ausgesetzt wie neuen Produkten, neuen Organisationen und Strukturen, neuen Arbeitsabläufen, Aufgaben und Inhalten, neuen Arbeitsmitteln wie Fertigungsanlagen oder IT-Systemen. Wer soll sich da intensiv auf das nächste Spiel konzentrieren können? Und wer hat die Möglichkeit, sein Leben lang auf derselben Position zu spielen, seine Technik ständig zu verbessern und mit seinen Erfahrungen zu arbeiten?
Abgesehen davon: Nicht jeder kann und möchte an der Spitze sein. Es gibt viele Arbeitnehmer, die ihre Arbeit gut und gerne machen, die keine weiteren Ansprüche stellen. Was will ein Arbeitgeber mehr? Ich nenne solche Mitarbeiter immer „eine sichere Bank“ (das stammt noch aus der Zeit vor der Finanzkrise). Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die vorsätzlich auf schlechte Leistungen aus sind. Ich kenne aber viele Arbeitnehmer, die unter schlechter Qualität der Produkte, ineffizienter IT, dschungelhaften Zuständigkeiten und nicht vorhandener Mitarbeiterführung leiden. Die Trainerfrage ist nur leider unter Vorgesetzten nicht beliebt und wird, ganz anders als im Sport, von den Verantwortlichen in Unternehmen sehr selten gestellt.
Wie Belohnung wirkt
Nehmen Sie ein Team von elf Mitarbeitern. Zwei bringen überdurchschnittliche Leistungen, sie sind die Leistungsträger. Zwei bringen unterdurchschnittliche Leistungen, sie ziehen das Team runter. Die restlichen Sieben erledigen die Aufgaben mehr oder weniger so, wie sie es aus Sicht des Arbeitgebers machen sollen. Das kann man Durchschnitt nennen, ich nenne es gute Leistungen, weil diese Mitarbeiter die Erwartungen des Arbeitgebers voll erfüllen. Genau dafür zahlt der Arbeitgeber den vereinbarten vollen Lohn.
Sie sprechen jetzt im Rahmen der jährlichen Beurteilungsgespräche mit den Mitarbeitern. Die beiden, die nicht so gut waren, weisen Sie auf ihre Defizite hin, fordern sie auf, sich zu bessern, versuchen, sie zu motivieren. Die Sieben, die eine gute Leistung gebracht haben, loben Sie, zusätzliches Geld gibt es für die aber nicht. Die beiden mit den sehr guten Leistungen werden sehr gelobt, ihre Bedeutung für das Team wird herausgestellt und sie bekommen einen Bonus oder gleich eine Gehaltserhöhung.

Das machen Sie zwei oder drei Jahre so. Welcher Effekt stellt sich ein? Die zwei mit den schlechten Leistungen sind immer noch da, bringen immer noch schlechte Leistungen, aber das Team trägt sie ja und außerdem wollen Sie als Vorgesetzter weder die Auseinandersetzung mit den Mitarbeitern noch den Ärger mit dem Betriebsrat. Die beiden Mitarbeiter wissen jetzt, ihnen passiert nichts, sie müssen sich nicht anstrengen. Sie sind die Gewinner des Systems. Die sieben mit den guten Leistungen stellen fest, dass die beiden schlechten Kollegen mit ihren Minderleistungen durchkommen und dass sie selbst für ihre guten Leistungen keinen Zusatznutzen zu erwarten haben. In diesem System sind sie die Verlierer. Sie werden sich deshalb früher oder später fragen, weshalb sie denn gute Leistungen erbringen sollen. Damit sinkt auch in der Gruppe der sieben die Leistung. Die beiden Leistungsträger bekommen mehr Geld. Sie fühlen sich zunächst gut.
Durch diese Situation sinkt die Leistung im Team stetig. Die beiden Leistungsträger fordern Jahr für Jahr immer mehr Geld, erstens weil sie immer mehr schlechte Leistungen zu kompensieren haben, zweitens weil sich der Effekt des Extrageldes bei gleich bleibender Höhe abschleift. Früher oder später haben Sie als Führungskraft zwei Probleme: Glaubten Sie wirklich, zwei Mitarbeiter können für das ganze Team arbeiten? Sie stellen fest: nein, das funktioniert nicht. Glaubten Sie wirklich, Sie könnten das zusätzliche Geld Jahr für Jahr steigern? Sie stellen fest, der Topf hat einen Deckel. Beides merken auch Ihre beiden Leistungsträger. Sie fühlen sich früher oder später ausgenutzt. Damit haben Sie zwei Freunde weniger.
Was von den Vorgesetzten gerne übersehen wird, ist, dass nicht nur die beiden Leistungsträger Zusatzgeld bekommen, sondern auch die beiden Schlechtleister. Sie bieten dann mindere Leistungen und bekommen dennoch den vollen Lohn. Das war den anderen Mitarbeitern natürlich schon lange aufgefallen …

Bei den Investmentbankern und anderen läuft das auch? Ja, aber mit welchen irrwitzigen Folgen! Und verdient das Unternehmen, für das Sie arbeiten, auch so gut, um solche astronomischen Boni zahlen zu können? Und selbst wenn es gut verdient, an wen geht das Geld, an die Mitarbeiter oder an die Eigentümer?
Der erste Denkfehler der Zusatzvergütung ist, auf die Guten zu setzen und die Schlechten zu schonen, mit Geldsegen oben das ausgleichen zu wollen, was am unteren Ende der Leistungsskala schlecht läuft. Nicht nur die Zugaben für die Starken sind das Problem, sondern die Geschenke an die Schwachen. Die darf es nicht geben. Ein wirtschaftliches Unternehmen ist nicht die Heilsarmee. Bei General Electric unter Jack Welch wären die schwachen Mitarbeiter wahrscheinlich rausgeflogen. Das ist nicht unsere Kultur. Die Schwachen müssen stärker werden, nämlich die vom Arbeitgeber geforderte Leistung erbringen, oder sich verändern. Das ist nur fair, nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch den anderen Kollegen gegenüber, die die volle Leistung bringen. Es ist auch sozial, weil dem Mitarbeiter sowohl Unterstützung als auch eine Alternative geboten wird. Viele Mitarbeiter sehen sich übrigens realistischer als die Vorgesetzten denken. Veränderung, weniger Anforderung und weniger Leistungsdruck wird von manchem geradezu als Befreiung empfunden. Eine Kündigung sollte die Ultima Ratio sein, falls ein Mitarbeiter weder kann noch will und keine Bereitschaft zeigt, mit dem Arbeitgeber eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung innerhalb des Unternehmens zu finden.
Trugschluss Nummer zwei ist zu glauben, dass ein finanzielles Anreizsystem mehr Leistung erzeugt. Dafür gibt es auch in der Wissenschaft keinen Nachweis. Niemand nimmt sich Tag für Tag vor, bessere Leistungen erbringen zu wollen, um am Ende des Jahres mehr Geld zu erhalten. Wer jemals einen Bonus erhalten hat, rotiert deswegen nicht in ewiger Dankbarkeit. Money has no memory. Der Geldeffekt verpufft so schnell wie der Sprit im Hummer. Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen auf die Frage, welchen Betrag ihr Wunschgehalt ausmachen sollte, regelmäßig den doppelten Betrag ihres realen Einkommens nennen, und zwar unabhängig davon, wie hoch ihr reales Einkommen ist. Eine Gehaltserhöhung bewirkt also keine Motivation, sondern nur weitere Begehrlichkeiten. Auch Mitarbeiter, die wissen, dass sie im Vergleich zum Markt viel Geld verdienen, können zunehmend eine allgemeine Unzufriedenheit mit „dem Laden“ aufbauen, vor allem dann, wenn sie zwar über das Geld geködert und ruhiggestellt werden sollen, aber weder sich einbringen noch Karriere machen können. Sie sehen sich im „goldenen Käfig“. Geld kann eine permanente Missstimmung nicht ausgleichen, es kann geradezu deprimierend wirken: „Würde ich nicht so gut bezahlt werden, wäre ich schon lange weg und müsste das hier nicht mehr aushalten.“

Die Voraussetzungen, eine Extravergütung zu bekommen, werden regelmäßig von denen gesetzt, die am schärfsten darauf sind, von den Vorgesetzten. In diesem Kreis hackt keiner dem anderen ein Auge aus. Der Bonus muss fließen, als Bestätigung, wie toll alle sind, und als gute Grundlage für die weitere Zusammenarbeit, also Geld gegen Loyalität. Deshalb werden die Bedingungen für mehr Geld immer so gesetzt, dass die, die es bekommen sollen, es auch tatsächlich am Ende des Jahres im Umschlag haben. Eine sich selbst erfüllende Planwirtschaft, in der zunächst die Vorgesetzten den Rahm abschöpfen. Schlechtleister kann ein solches System nicht bewegen, weil sie wissen, dass diese Trauben für sie unerreichbar hoch hängen. Auch die Guten merken sehr schnell, dass sie nicht in diesen Kreis aufgenommen sind. Die, die mehr bekommen, speisen das sehr schnell in ihr Gehalt ein. Deshalb haben die Investmentbanker auch so aufgeheult, als der Bonus wegen der Finanzkrise – manchmal kotzen die Pferde eben doch vor der Apotheke – 2009 ausfiel und der obligatorische neue Porsche beim Händler stehen bleiben musste. Zugaben für die Leistungsträger bringen höhere Kosten, aber nicht mehr Leistungen.
Natürlich ist es einfacher, das fremde Geld des Arbeitgebers auszugeben als sich mit Mitarbeitern, die schlechte Leistungen erbringen, auseinanderzusetzen. Deshalb rufen immer schwache Vorgesetzte nach einem Bonussystem. Gute Führungskräfte bieten den Mitarbeitern einen fairen Lohn und fordern dafür die volle vereinbarte Leistung. Punkt.

Der Jurist Jörg Steinfeldt, Jahrgang 1962, war über 25 Jahre Führungskraft bei einem internationalen Spezialversicherer, unter anderem im Personalbereich. Er ist Buchautor und Autor zahlreicher Fachartikel. Steinfeldt ist bekannt dafür, den Finger in offene Wunden zu legen und über den Tellerrand zu denken. Schon in seinem Debüt-Buch „Was Sie schon immer über Führung wissen wollten“ räumt er schonungslos mit den Management-Mythen auf. Er ist in Hamburg geboren, wo er mit seiner Frau wohnt, während seine drei Kinder in die Welt hinausziehen.