Die Positive Psychologie, ursprünglich angetreten, um dem einseitigen Fokus der klassischen Psychopathologie entgegenzuwirken, hat sich längst von einem emanzipatorischen Forschungsfeld zu einer ideologischen Disziplin gewandelt – natürlich nicht in der Forschung, aber im Denken vieler Menschen. Der Diskurs hat also die Disziplin längst hinter sich zurückgelassen.
Der zentrale Imperativ der Gegenwart: Sei glücklich. Sei resilient. Sei dankbar.
Diese Aufforderung klingt harmlos, ja beinahe humanistisch. Tatsächlich aber errichtet sie ein normatives Regime emotionaler Selbstoptimierung, das psychologisch wie gesellschaftlich hochproblematisch sein kann.
Indem die Positive Psychologie Glück, Optimismus und subjektives Wohlbefinden als höchste Güter postulierte, werden negative Affekte systematisch delegitimiert. Trauer, Wut, Zweifel, Angst (allesamt wertvolle Signale) gelten nun Vielen als Defekte, die es auszumerzen gilt. Wer traurig ist, muss „arbeiten an sich“; wer zweifelt, hat „noch nicht genug innere Ressourcen aktiviert“; wer wütend ist, fehlt es angeblich an Achtsamkeit.
Die Folge ist eine subtile, aber wirksame Gefühlsdiktatur: Nicht die Realität, sondern die individuelle emotionale Anpassungsfähigkeit wird zum Maßstab psychischer Gesundheit. Die Verantwortung für alle Belastungen wird damit perfide individualisiert. Strukturelle Missstände, toxische Arbeitskulturen oder gesellschaftliche Ungleichheiten verschwinden hinter der Behauptung, man müsse nur „positiver denken“.
Diese neoliberale Logik verschiebt das psychische Leid vom sozialen Kontext ins individuelle Versagen. So wird die Positive Psychologie ungewollt zum Komplizen eines Systems, das produktive Konformität über genuine emotionale Authentizität stellt. Statt kollektive Solidarität und strukturelle Veränderung zu fördern, entstehen neue Zwänge: der Zwang zur ständigen Selbstkontrolle, zur performativen Positivität, zur Selbstüberwachung.
𝐖𝐞𝐫 𝐰𝐢𝐫𝐤𝐥𝐢𝐜𝐡 𝐟𝐫𝐞𝐢 𝐬𝐞𝐢𝐧 𝐰𝐢𝐥𝐥, 𝐦𝐮𝐬𝐬 𝐝𝐚𝐬 𝐑𝐞𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐮𝐟 𝐧𝐞𝐠𝐚𝐭𝐢𝐯𝐞 𝐄𝐦𝐨𝐭𝐢𝐨𝐧𝐞𝐧 𝐯𝐞𝐫𝐭𝐞𝐢𝐝𝐢𝐠𝐞𝐧.
Kurz gesagt: Die Positive Psychologie hat dem Kapitalismus eine zusätzliche Waffe in die Hände gegeben. Wer ihre Dogmen nicht befolgt, gilt in Unternehmen schnell als defizitär. Damit wird sie ein kaltes Instrument sozialer Disziplinierung; ein psychologisches Pendant zur permanenten Leistungsbereitschaft im ökonomischen Raum.

Prof. Dr. Dr. Oliver Hoffmann ist Professor für Innovationsmanagement und Experte für Wirtschafts- und Innovationspsychologie. Er erforscht psychologische Bedingungen zukunftsfähiger Arbeit und KI-Auswirkungen auf Kommunikation, Kreativität und Entscheidungsprozesse. Er berät internationale Unternehmen an der Schnittstelle von Technologie, Psychologie und strategischer Transformation.