Sehr gerne und bewusst spreche ich von Meisterschaft. Die Rolle des Meisters ist nach meinem Verständnis die wichtigste. Denn in ihr liegt, dass wir unser Handwerk und unsere (Transformations-) Kunst beherrschen. Ein Meister erkennt den anderen Meister. Das ist vielen unklar, die sich selbst als Meister bezeichnen. Wir erkennen im anderen die Meisterschaft. Wir sind nicht besser als andere. Wir sind vielleicht nur einen anderen oder weiteren Weg gegangen. Wir wissen: Niemand muss erst höher werden, um ein Meister zu sein.
Im Nia beispielsweise sieht mich eine Black-Belt-Trägerin als angehenden Blue Belt an – und erkennt vielleicht schon meine Reife. Es fehlt nichts. Es ist stimmig. Gerade die Kampfkünste sind nach meinem Verständnis eine passende Einladung, über Meisterschaft nachzudenken und zu sprechen. Oder wie in diesem Falle: schreiben.
Wir sehen das Meistern des Weges im Anderen. Meisterschaft ist kein Status. Sie ist eine Haltung. Und für mich ist sie auch eine Verpflichtung. Gerade in der üblichen Augenhöhe-Diskussion mag in ihr eine Antwort liegen, die vielen gar nicht bewusst ist. Viele reden von Augenhöhe. Doch unter Meistern stellt sich diese Frage nicht. Nicht auf Augenhöhe zu sein, ist meines Erachtens nach ein Thema für diejenigen, die noch im Mangel sind. Die vergleichen. Die befürchten, nicht genug zu sein. Und damit dem anderen eine ungefragte Machtposition oder Ähnliches einräumen, beziehungsweise zuweisen. Doch wenn du Meisterschaft erlangst, weißt du, dass es keinen Vergleich gibt. Es braucht ihn nicht. Beide sind Meister. Meister ihres Fachs oder ihrer Disziplin. Es gibt nur Wege. Und jeder Weg ist anders. Aus diesem Grunde nenne ich ausgewählte Veranstaltungen auch Meisterklassen. Du siehst die Meisterschaft im Anderen – auch, wenn er selbst sie noch nicht erkennt. Damit haben wir etwas sehr Kostbares in unseren Händen, wie wir unsere Teilnehmer sehen und sehen können. Sie sind oft sehr viel weiter, als sie denken. Deshalb dürfen wir ihnen auch viel zumuten. Sie müssen eben nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.
Meisterschaft bedeutet, zu wissen, dass man nichts weiß. Und trotzdem weiterzugehen. Ein wahrer Meister beginnt in einer anderen Disziplin wieder als Schüler. Das nährt unser Verständnis von Lernen.
Das Kompetenzstufenmodell
Wenn wir lernen, üben, trainieren – oder selbst trainiert werden –, passiert immer das Gleiche: Wir starten in der unbewussten Inkompetenz. Wir wissen nicht, dass wir etwas nicht können. Noch nie Gitarre gespielt? Kein Problem. Wir denken nicht einmal darüber nach. Dann kommt der Moment, wo wir beginnen. Wir halten die Gitarre. Greifen in die Saiten. Und merken, wie wenig unsere Finger das tun, was wir wollen. Willkommen in der bewussten Inkompetenz. Wir üben weiter. Wiederholen Griffe. Spielen einfache Lieder. Der Nachbar erkennt plötzlich durch die Wand »Father and Son« von Cat Stevens. Wir sind angekommen bei der bewussten Kompetenz. Doch das Ziel ist noch nicht erreicht. Wahre Meisterschaft beginnt erst dort, wo alles von selbst fließt. Du sitzt am Lagerfeuer. Jemand ruft ein Lied. Deine Finger spielen einfach. Ohne Denken. Ohne Zögern. Du bist in der unbewussten Kompetenz.
Für mich ist dieses Kompetenzlevel die Haltung, in der ich selbst nackt arbeiten könnte. Oder mich jemand nachts um drei oder vier Uhr wecken könnte und ich sofort anfangen kann zu arbeiten. Ursprünglich stammt dieses Modell der Kompetenzstufen von Gordon Training International, doch beziehe ich mich hier sowie in meinen anderen Werken auf O’Connor und Seymour (1995). Es braucht alle vier Schritte, also das Durchschreiten der vier Kompetenzstufen, bis wir etwas wirklich verinnerlicht haben. Dann erst haben wir in meinen Augen das Mandat, wirklich kompetent und sicher Räume für Transformation und Veränderung zu gestalten. Doch Meisterschaft geht noch weiter. Viele glauben, hier höre der Weg auf. Doch das ist ein Irrtum. Wahre Meisterschaft beginnt erst, wenn du nicht nur beherrschst, was du tust – sondern frei wirst, es ständig neu zu erfinden. Meisterschaft heißt nicht nur, dass du dein Handwerk blind beherrschst. Sondern dass du es loslassen kannst. Dass du improvisierst. Dass du spielst. Dass du Neues kreierst, weil dein Können so tief in dir sitzt, dass es dein Körper, dein Geist, deine Intuition automatisch abrufen. Diese innerlich getragene Kompetenz macht frei und souverän. Damit können wir gut durch ungewöhnliche Prozesse führen.
- Das Spiel auf höchster Ebene
- Ein Meister steht mitten im Chaos – und bleibt ruhig.
- Er braucht keine Agenda, um zu wissen, was jetzt dran ist.
- Er kann mitten in der Nacht geweckt werden – und sofort eine Intervention starten, die Leben verändern kann.
Meisterschaft heißt: Du kannst dich auf deine Intuition verlassen, weil dein Fundament so stark ist, dass du alles andere loslassen kannst. Es ist wie ein Musiker, der die Regeln der Musik so sehr verinnerlicht hat, dass er sie jederzeit brechen kann – um etwas völlig Neues zu schaffen. Es ist das Spiel auf der höchsten Stufe der Lernpyramide: Kreation.
Meister erkennt Meister
Ein Meister erkennt den anderen Meister daran, dass er ihn nicht belehren muss. Er könnte stattdessen eher Fragen stellen, neugierig und wissbegierig sein. Noch tiefer und weiter verstehen wollen. Sondern dass er in ihm den gleichen Weg sieht – auch wenn dieser ganz anders aussieht.
Wir können das Gold im Anderen sehen. Das macht uns reich. Das nährt unseren inneren Reichtum. Dadurch benötigen wir weniger Status im Außen. Die innere Reife trägt uns.

Barbara Messer, CSP, Horizonautin, international ausgezeichnete Rednerin, mehrfache Trainingspreisträgerin und Autorin von über 25 Büchern. Sie vereint Fachwissen (BBA, diverse Fachweiterbildungen, systemischer Coach, NLP-Trainer etc.) mit Herz (gelernte Altenpflegerin, Clown, Nia Brown Belt). Kleeblattfinderin, Tausendsassa, Visionärin, Mentorin für Transformation. Ihre Vielfalt inspiriert Menschen – klug, kreativ und grenzenlos.

