Alles, was im Hier und Jetzt passiert, ist für uns Menschen deutlich interessanter als das, was erst stattfinden beziehungsweise gar nur unter Umständen konkret wird. Mit der Vergangenheit assoziieren Menschen Dinge wie: schon vorbei, nicht für jetzt von Bedeutung und kann man nicht mehr ändern. Mit der Zukunft auf der anderen Seite verknüpfen wir Stimmungen wie weit weg, unsicher, kann sich noch ändern oder hat jetzt noch keine Wirkung. Entscheidend im Sinne beeinflussender Kommunikation sind aber die Verbindungen, die Menschen mit der Gegenwart bilden: realistisch, lebendig, konkret, greifbar, spannend, von Bedeutung.
Wenn du kommunizierst, egal ob beruflich oder privat, dann willst du natürlich alles andere als dass das, worüber du sprichst, von deinem Gesprächspartner oder Publikum als unbedeutend, unsicher oder vage interpretiert wird. Ersetze deshalb, wann immer du größtmögliche Wirkung deiner Worte erzielen willst, Vergangenheit und Zukunft durch die direkte Gegenwartssprache. Durch das Sprechen in der Gegenwart erweckst du bei deinen Gesprächspartnern, ohne dass diese es merken, deutlich größeres Interesse für die von dir übermittelten Inhalte und Aussagen, als wenn du andere Zeitformen benutzt. Du sitzt in einem Kaffeehaus und erzählst von deinem Urlaub: „Also, wir sind in das Hotel gekommen. Es hat sicher an die 35 Grad gehabt. Und ich habe noch zu Rudi gesagt …“ oder du wählst die Gegenwartssprache „Also, wir kommen in das Hotel. Es hat sicher an die 35 Grad. Und ich sage zu Rudi …“
Dreimal darfst du raten, bei welcher Version deine Freunde gespannter zuhören. Und weil es so gut fuktioniert, kann man es in jeder Talkshow mit Politikern bewundern. Anstatt „Wir werden die Steuern senken. Wir werden soziale Gerechtigkeit schaffen. Die Wünsche der Wähler werden bei uns immer im Mittelpunkt stehen.“ wird der gewiefte Profi „Wir senken die Steuern. Wir schaffen soziale Gerechtigkeit. Die Wähler stehen bei uns immer im Mittelpunkt.“ verkünden.
Unterbewusstsein und Gegenwart
Erfolgreiche Rhetorik wirkt immer im Unterbewusstsein deines Gesprächspartners. Und dieses lebt ausschließlich im Hier und Jetzt. Vergangenheit und Zukunft kennt es nicht! Interessiert es nicht! Existiert für es nicht! Der Verstand hingegen arbeitet nur in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Vom Bewusstsein geleitet, stellt er stets Überlegungen an, die vergleichende und prüfende Komponenten beinhalten. Um dies tun zu können, bedarf es der Bewertung von Erfahrungen aus der Vergangenheit und möglicher Wenn-dann-Szenarien in der Zukunft. Damit eine Information rasch und zügig vom Unterbewusstsein deines Gesprächspartners aufgenommen, gespeichert und vor allem geglaubt wird, braucht es also die direkte Form der Gegenwart. Vergangenheitsformen oder Zukunftssprache verwirren das Unterbewusstsein und erschweren es ihm, Dinge zu verarbeiten. Das Bewusstsein muss Übersetzungsarbeit leisten. Beim Weg der Information hin zum Unterbewusstsein deines Gesprächspartners kommt es zu kleinen Unterbrechungen. Anstatt das Tor zum Unterbewusstsein deines Gegenübers weiter zu öffnen, verlagern sich Teile deiner Kommunikation genau auf die Ebene, die du vermeiden willst: die bewusste. Aufforderungen, Suggestionen und rhetorische Beeinflussungstechniken werden entweder erkannt oder nur beschränkt angenommen.

Gegenwartssprache ist die Sprache der Profis
Rhetorik- und Kommunikationsexperten weisen immer wieder auf die Bedeutung dieser Technik hin. Werbe- und Kommunikationsagenturen setzen bewusst auf die ›Gegenwartisierung‹ der Sprache. Verkaufprofis sowieso. Und wenn du jetzt einfach ein paar Romane aus deinem Bücherregal zur Hand nimmst, erkennst du, dass einige berühmte Autoren Erzählungen und Biografien bewusst in der Gegenwartsform schreiben.
Zum Beispiel Henri Charrière in seinem bekannten Roman ›Papillon‹: »Der Himmel vor den Fenstern ist grau. Die Tür uns gegenüber führt sicher in den Schwurgerichtssaal, denn wir befinden uns im Palais de Justice de la Seine in Paris. In wenigen Augenblicken wird man mich wegen Mordes anklagen. Mein Anwalt, Dr. Raymond Hubert, kommt mich begrüßen.«
Oder Hape Kerkeling in ›Ich bin dann mal weg: Meine Reise auf dem Jakobsweg‹: »Bei strömendem Regen setze ich mich auf einen Stein am Wegesrand und genieße das nicht vorhandene Pyrenäen-Panorama. Ein Blick nach rechts sagt mir, dass ich den steilen Aufstieg nicht mehr schaffen werde, da der Gipfel, wenn ich von meinem bisherigen Entenmarschtempo ausgehe, wahrscheinlich noch Stunden entfernt liegt. Ein Blick nach links verrät, dass ich den wahrscheinlich dreistündigen, nicht minder steilen Abstieg auch nicht mehr auf die Reihe bekomme. Dies ist also ein Notfall und so gönne ich mir einen Müsliriegel und eine klatschnasse Zigarette. Triefende Nässe verleiht dem Tabak eine besondere Note.«
Kaum ein Leser nimmt bewusst wahr, dass diese Romane in der Gegenwart geschrieben sind. Er weiß ja, dass die Handlung in der Vergangenheit stattfand. Und doch lesen sich die Bücher spannender als andere und man hat den Eindruck, sich mitten im Geschehen zu befinden. Würdest du einen Leser nach Beendigung der Lektüre fragen, in welcher Zeitform der Roman geschrieben ist – er würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Vergangenheitsform nennen. Gleich jenem Leser merkt auch dein Gesprächspartner, wenn du die Technik der Gegenwartssprache anwendest, diese nicht im Geringsten. Du beeinflusst ihn, ohne dass er es realisiert.
Gegenwartssprache ist deine natürliche Sprache
Wir alle benutzen oft, ganz automatisch – ohne es zu merken – die Gegenwartssprache, wenn wir über Vergangenes oder Zukünftiges sprechen. Oft findet auch mitten in der Erzählung oder Beschreibung ein Wechsel der Zeiten statt.
»Wir sind also in Prag angekommen. Es hat geschüttet. (Wechsel) Da sehe ich plötzlich diesen kleinen Touristenstand. Ich also hin – völlig durchnässt. Der Verkäufer schaut mich mitleidig an und sagt …«
»Wir werden im nächsten Quartal einige Veränderungen in unserer Abteilung durchführen. Dies wird rasch und zügig geschehen. (Wechsel) Hans Milessnig ersetzt Rita Platter. Platter geht dafür in die Abteilung für Customer Relations und übernimmt dort die Position der Gruppenleiterin. Diese Rochade bewirkt …«
Du siehst also: Du weißt bereits, wie es geht. Und nicht nur das – du setzt es auch schon dann und wann erfolgreich ein. Jetzt geht es also nur noch darum, dass du daran arbeitest, diese Technik wann immer möglich, in allen (und zwar in wirklich allen) Gesprächssituationen anzuwenden. Mit der Zeit sprichst du dann ganz automatisch, ohne viel nachzudenken, in der Gegenwart.

Mag. Martin Sernko zählt zu den führenden Kommunikationsexperten Europas. Bekannt für seinen eigenen, unverwechselbaren Stil – geprägt von hoher Dynamik, Innovation und Motivation –, steht er dafür, Altbekanntes stets kritisch zu durchleuchten sowie gänzlich neue Ansätze und Techniken zu entwickeln.