„Dann machen wir mal agil!“ Ein Entschluss, der in den Chefetagen schnell gefasst ist. Blind vor agilem Aktionismus werden agile Teams zusammengestellt – die erhofften Synergieeffekte bleiben aus. Oft tritt sogar das Gegenteil ein. Christian Polz hat die häufigsten Fehler beim Aufbau agiler Teams identifiziert und illustriert, wie sich diese vermeiden lassen.
Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Ohne agile Teamarbeit läuft in vielen Unternehmen gar nichts mehr. Umso wichtiger ist es, Fehler beim Aufbau agiler Teams zu vermeiden.
#1 Die agile Notwendigkeit macht Sie blind
Der moderner Mythos heißt Agilität. Das ist verständlich, denn mit Agilität ist vor allem die Flexibilität der Unternehmen gemeint, sich den ständig wechselnden Rahmenbedingungen anzupassen. In von Veränderungen, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz geprägten VUKA-Zeiten stellen Agilität und Flexibilität notwendige Voraussetzungen dar, um Zukunft zu gestalten und zu gewinnen.
Jetzt folgt das große Aber: Die Notwendigkeit zur Agilität darf nicht vergessen lassen, dass nicht jeder Mitarbeiter und nicht jedes Team bereit und willens ist, agile Strukturen aufzubauen. Die agile Konsequenz lautet darum: Erheben Sie Agilität nicht zum Selbstzweck. Agilität muss sich Ihren Unternehmensstrukturen anpassen.
#2 Sie scheren jedes Team über einen Kamm
Jedes Team durchläuft eine Entwicklung, jedes Team ist anders, jedes Team ist einzigartig. Immerhin setzt es sich aus einzigartigen Individuen zusammen. Und die Teamentwicklung ist ein dynamischer, kein statischer Prozess. Jedes Team hat eine innere Ordnung, eine Historie, eine Entwicklungsgeschichte, eine spezifische Art und Weise, in der die Teammitglieder miteinander umgehen, kommunizieren und zusammenarbeiten. Es ist Ihre Aufgabe, diese individuelle innere Ordnung und überdies die Entwicklungsphase, in der sich das Team befindet, zu erkennen. Befindet sich das Team (nach Bruce W. Tuckman) in der Orientierungs-, der Konfrontations-, der Integrations- oder der Leistungsphase (Forming, Storming, Norming, Performing)? Beachten Sie, dass die Phasen ineinander übergehen können und ein Team in eine frühere Phase zurückkehren kann.
Agile Konsequenz: Führen Sie eine Teamanalyse durch, stellen Sie den Reifegrad Ihres Teams fest.
#3 Sie vernachlässigen den Agilitätsfaktor
Mit der Individualität eines Teams ist auch gemeint, dass es verschiedene Agilitätsreifegrade gibt. Da sind zunächst einmal die klassischen Teams, deren Mitglieder Anleitungen und Vereinbarungen brauchen, um zu guten Ergebnissen zu gelangen. Oft sind solche Teams in der Produktion oder der Verwaltung tätig, ihre Aufgabe besteht darin, im operativen Geschäft konkrete Ziele zu erreichen. Oder es geht darum, vor allem Routinetätigkeiten zu erledigen, und das ist in fast allen Branchen und Bereichen gegeben, ob es sich nun um eine Schlosserei, eine Arztpraxis oder eine Behörde handelt.
Auf der anderen Seite haben wir es mit hochentwickelten agilen Teams mit hohem Selbstorganisationsgrad zu tun, die nur ohne klassische Führung erfolgreich sind. Die Teammitglieder benötigen keinen Teamleiter, der ihnen sagt, wo es langgehen soll. Hierarchische Strukturen sind kontraproduktiv. Und dann haben wir da noch die Teams, die sich in einer agilen Transformationsphase befinden und sich erstmals mit holokratischen „cheflosen“ Strukturen beschäftigen. Sie sammeln erste Erfahrungen damit, sich selbst zu organisieren und in flachen Hierarchien zu wirken.
Die agile Konsequenz lautet hier: Erwerben Sie die Kompetenz, Ihren Führungsstil dem Team und dessen agilem Reifegrad anzupassen. Ob hierarchisch, transaktional, situativ, transformational, agil oder coachend: Ihr Führungsstil muss darauf angelegt sein, das Team als ganzheitliches Gebilde weiterzuentwickeln.
#4 Sie überschätzen die Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu organisieren
Nicht jeder Mitarbeiter kann mit der Notwendigkeit umgehen, eigene Entscheidungen zu treffen und selbstständig zu agieren. Das gilt auch für die Mitglieder agiler Teams. Viele leistungsfähige und hochintelligente Teammitglieder benötigen trotzdem klare Anweisungen und Zielvorgaben. Andere wiederum gehen jeder Kreativität verlustig, wenn Sie sie in ein Prokrustes-Bett zwängen wollen – Prokrustes ist in der griechischen Mythologie ein Riese, der Reisenden ein Bett zur Nachtruhe anbietet und sie „passend“ macht, indem er sie verstümmelt oder streckt.
Nicht alle Mitarbeiter sind von ihrer Persönlichkeit her geeignet, selbstorganisierend zu arbeiten. Das sollten Sie akzeptieren und die nächste agile Konsequenz ziehen: Ihre Teammitglieder bringen ihre besten Leistungen, wenn Sie sie individuell unterstützen. Rücken Sie bei der Teamführung den Menschen und den Mitarbeiter mit seinen jeweiligen Potenzialen, Fähigkeiten und Stärken in den Fokus.
#5 Ihr agiles Mindset ist unzureichend
Wenn Sie auf Mitarbeiter zeigen und deren unzureichende Bereitschaft zur agilen Teamarbeit beklagen und ihnen mangelhafte agile Kompetenz vorwerfen, sollten Sie bedenken, dass dabei drei Finger auf Sie selbst weisen. Wenn es bei der agilen Teamarbeit nicht rundläuft und die erwarteten Ergebnisse ausbleiben, vergessen viele Führungskräfte ihre eigene Verantwortung. Also: Mangelt es Ihnen am agilen Mindset? Müssen Sie erst die entsprechenden agilen Führungskompetenzen erwerben und aufbauen?
Agile Konsequenz: Gehen Sie in die selbstkritische Reflexion: Wie ist es um Ihr agiles Mindset bestellt? Wo gibt es Erweiterungsbedarf?
#6 Agile Tools einführen – und fertig!
Unternehmen und Führungskräfte glauben, es genüge, agile Tools wie Design Thinking, Scrum, Kanban, Lean Management oder das Daily Meeting einzuführen – und schon seien Teams, Abteilung und Unternehmen agil unterwegs. Noch wichtiger jedoch ist der theoretische „Überbau“: Die Mitarbeiter sollten die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit agiler Teamarbeit einsehen und nachvollziehen können. Damit agile Teams funktionieren können, ist es gut und richtig, wenn sich alle Beteiligten mit den notwendigen Tools und Methoden auskennen und sie nutzbringend einzusetzen verstehen.
Darum – so die agile Konsequenz – gehört es in Ihre Verantwortung als Führungskraft, die Mitarbeiter in den Umgang mit den agilen Tools einzuweisen und ihnen zu zeigen, wie sie sie nutzen können, um ihre Aufgaben besser zu erfüllen.
#7 „Hundehäufchen-Management“ als Strategie
Die genannten Stolpersteine ließen sich vermeiden, wenn die Verantwortlichen in Geschäftsleitung und Management aktiv dabei mitwirken würden, sie aus dem Weg zu räumen. Zentrale Voraussetzung dafür ist, sich vom „Hundehäufchen-Management“ zu verabschieden: Der Unternehmer, der Geschäftsführer, der Verantwortliche an der Spitze lässt etwas fallen – und verschwindet rasch wieder. „Hundehäufchen-Management“ drückt sich in der folgenden Haltung aus: „Wir führen jetzt agile Teamarbeit ein, nun macht mal“ – und weg ist er. Die Führungskräfte mögen zusehen, wie sie zurechtkommen. So kommt es zur fatalen Verantwortungsdiffusion – niemand fühlt sich zuständig und verantwortlich. „Wird sich schon jemand drum kümmern …“
Agile Konsequenz
Die Verantwortlichen an der Spitze müssen die agile Vision mitliefern, den agilen Leitstern am Himmel zeigen und überzeugend erläutern, warum die Einführung agiler Teamarbeit notwendig und sinnvoll ist. Darum: Weisen Sie nach, welchen konkreten Nutzen die agile Teamarbeit für das Unternehmen, die Führungskräfte, jeden einzelnen Mitarbeiter und alle anderen Beteiligten hat und vermeiden Sie die o. g. Fehler beim Aufbau agiler Teams.
Christian Polz ist der Judoka im Zweireiher. Der Inhaber und Geschäftsführer von 3P-Leadership überträgt seine philosophischen und mentalen Prinzipien aus dem Judo in die Führungswelt. Sein Prinzip: „Siegen durch Nachgeben“. Als Coach, Berater und Supervisor entwickelt er für seine Kunden maßgeschneiderte Teamkonzepte, die den Menschen im Blick behalten.